Coronaimpfung

Geimpft oder nicht? Für Schüler "kaum Thema"

Antonia, 15, bemerkt keine Spannungen zwischen geimpften und ungeimpften Schülern.
Antonia, 15, bemerkt keine Spannungen zwischen geimpften und ungeimpften Schülern.(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Besonders seitdem der Impfstatus von Kindern durch ein goldenes Pickerl sichtbar ist, sorgen sich Eltern wegen einer möglichen Stigmatisierung und Zwist in den Klassen. Wie sehen Schüler und Lehrer die Situation?

Drei Wochen lang galten in Österreich für alle Schüler dieselben Regeln. Egal ob geimpft, genesen oder keins von beiden: Jeder und jede wurde getestet. Nun müssen nur noch die Ungeimpften gurgeln, spülen oder ein Staberl in ihre Nase stecken. Und im Ninja-Pass, in den das aktuelle Testergebnis per Pickerl eingetragen wird, leuchtet bei den geimpften Schülern ein großer, goldener Sticker. Auf den sehr unterschiedliche Reaktionen folgten.

Als unkomplizierte Maßnahme, um die Situation überschaubar zu halten, beurteilen ihn die einen. Als Zurschaustellen des Impfstatus und Grenzüberschreitung die anderen. Hat die neue Sichtbarkeit der Antikörper Auswirkungen? Und die Tatsache, dass nun manche testen müssen und andere nicht? Werden so Ressentiments befördert, eventuell sogar Mobbing? Oder ist das vor allem die Sorge der Eltern, während die Kinder sich eigentlich für ganz andere Dinge interessieren als die Zahl der Geimpften in der Klasse?

Jugendliche erzählen. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es deshalb Streit gibt“, sagt die 15-jährige Antonia. „Bei uns in der Klasse jedenfalls nicht – und über andere habe ich auch nichts gehört.“ Wie viele Kinder genau in ihrer Klasse ungeimpft sind, weiß sie gar nicht: vielleicht fünf, meint sie. In ihrem Freundeskreis seien sich aber alle einig, dass es besser ist, sich impfen zu lassen. Kürzlich hätten vor ihrem Gymnasium in Wien Impfgegner Zettel verteilt, da sei etwas über die „drei wahren G“ gestanden: „Glücklich sein zum Beispiel und noch irgendetwas. Ich fand das ziemlich dumm“, sagt sie lapidar. Eine große Sache war auch das offenbar nicht.

Ähnliches erzählt der 13-jährige Emil über seine Schule: „Wir haben keinen Streit deshalb, es ist auch gar kein Thema.“ Als die Impfung neu war, hätten die Schüler untereinander schon diskutiert, jetzt aber nicht mehr. In seiner Klasse seien überhaupt nur zwei oder drei Kinder nicht geimpft, erzählt er, bei einem Mädchen sei es aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Und die Lehrer würden die Impfung zwar empfehlen, aber er bemerke dabei keinen Druck.

Einen solchen spürt auch der 14-jährige Scipio aus Niederösterreich nicht. „Die Lehrer versuchen hauptsächlich, sich herauszuhalten, und sagen auch selbst nicht, ob sie geimpft sind.“ Das Thema würde unter den Schülern „sehr selten aufkommen“, sagt er. Allerdings scheint es, wenn doch darüber gesprochen wird, eher unangenehm für die Minderheit in der Klasse zu sein: „Die, die nicht geimpft sind, wollen es meistens nicht sagen, aber man weiß es doch.“

Manchmal gebe es dann schon Späße darüber, meint er. Das gehe aber keinesfalls in Richtung Mobbing, weil im Grunde der Impfstatus kein Thema sei. Auch von Lehrerseite hört man wenig darüber, dass es wegen der Impfung Konflikte zwischen den Schülern gebe. Wobei naturgemäß Lehrer nicht alles erfahren, worüber Schüler sprechen. Und ja: auch nicht immer die nötige Sensibilität an den Tag legen. So wurde kürzlich eine HAK-Lehrerin in Oberösterreich von ihren Schülern per Handy aufgenommen, als sie diese in mehr als despektierlichem Ton zur Impfung drängte. Wer sich nicht impfen lasse, sei ein „Dodl“, hörte man sie schimpfen.

Elternklagen an Mittelschulen. Solche Fälle zitiert Evelyn Kometter, oberste Elternvertreterin an den Pflichtschulen, gern. Die Kinder seien einfach froh, dass sie zur Schule gehen können. Sie würden akzeptieren, dass manche geimpft seien und andere nicht, aber „das Schulpersonal treibt manchmal einen Keil hinein“, sagt sie. Sie kenne sogar Fälle, in denen Lehrer mit Noten argumentieren würden, dass die Kinder sich impfen lassen müssten. Denn falls nicht, könnten sie dann an verpflichtenden Schulveranstaltungen nicht teilnehmen. Und die Reaktion der Direktoren? „Die verniedlichen das, reden das schön“, so Kometter. Bei den Skikursen heiße es von Lehrern auch manchmal, dass sie nur geimpfte Kinder mitnehmen wollen. „Manche Schulen sagen auch, bevor sie da ein Risiko mit vielen Ungeimpften eingehen, sagen sie lieber gleich ab.“ Der Druck komme jedenfalls nicht von den Kindern, sondern von den Erwachsenen.“ Wobei die Elternvertreterin das Problem als „sehr standortspezifisch“ definiert. Neun Elternteile hätten sie insgesamt mit solchen Problemen kontaktiert. Keine hohe Zahl, möchte man anmerken, das Problem ist für Kometter trotzdem ein großes: Wenn Eltern sehen würden, dass ihr Kind ausgegrenzt wird, „nehmen sie es vielleicht aus der Schule“.


Lehrer teil Pickerln nicht aus. Wenn man miteinbezieht, wie weit in der Bevölkerung die Meinungen bei den Coronamaßnahmen, der Impfung und dem Sichtbarmachen derselben auseinandergehen, ist es eigentlich erstaunlich, wie wenig die Schüler untereinander zu streiten scheinen. Ist das Problembewusstsein von Erwachsenen einfach geschärft – und antizipiert, was vielleicht erst noch kommt? Oder sind wir übersensibilisiert in einer Sache, die für die Jugendlichen schlicht weniger interessant ist, als wir annehmen?

Kürzlich schrieb ein steirischer Mittelschullehrer einen offenen Brief an das Bildungsministerium, in dem er sagte, er werde die goldenen Ninja-Pickerln, die in der Direktion lägen, an kein Kind vergeben. Er argumentierte das mit der Kinderrechtskonvention und der steigenden „Wahrscheinlichkeit einer (gewollten?) Ungleichbehandlung, die zu einer Ausgrenzung durch geimpfte Kinder führen kann“. Außerdem, schrieb er, sollte eine Belohnung – und nichts anderes sei das Pickerl – aus pädagogischer Sicht „ausschließlich auf eine erbrachte positive Leistung folgen“. Interessant wäre freilich, ob hier nicht noch mehr als eine besondere Sorge um die Kinder dahintersteckt. Übrigens sind, auch wenn man im Gespräch mit manchen AHS-Schülern das Gefühl bekommen kann, die geimpften Schulkinder bei Weitem nicht in der Mehrheit. Unter den Zwölf- bis 15-Jährigen sind aktuell 29,7 Prozent voll immunisiert, wie es vom Gesundheitsministerium heißt. Und bei den 16- bis 20-Jährigen sind es 55 Prozent. Eine Aufschlüsselung der Impfquote nach Schultypen (wie es beim Lehrpersonal gemacht wurde) gibt es bisher nicht.


Geimpfte in der Minderheit. Die Lehrerin Maria Lodjn erzählt jedenfalls, dass es an ihrer Mittelschule in Wien sehr wenig geimpfte Kinder gebe, „grob geschätzt zwischen drei und acht pro Klasse“. Ihr selbst wurde von Schülern auch mehrfach der sichere Tod vorhergesagt, weil sie geimpft ist. Die Jugendlichen dürften das mit Bedauern gesagt haben: dass Lodjn für ihren Beruf brennt, merkt man im Gespräch sofort. Die Impfkampagne, erzählt sie, habe jedenfalls die meist fremdsprachigen Familien ihrer Schüler nie erreicht. Die Eltern seien verunsichert bis ängstlich, hätten auch im Umkreis viele schwere Erkrankungen erlebt.

Aber in ihren Communitys gebe es kaum Aufklärung. Und die Kinder selbst würden ihre Informationen von der Videoplattform TikTok beziehen. „Da steppt der Bär. Es gibt ein neues Video, dass man zwei Jahre nach der Impfung stirbt.“ Das goldene Pickerl sei jedenfalls kein Anreiz für die Kinder, sich impfen zu lassen. Und das ständige Testen? Da mache die Schule keinen Unterschied nach Impfstatus: „Wir testen alle“, erzählt die Lehrerin. Es habe deshalb auch noch keine Beschwerden gegeben.

Mittlerweile habe man das Testen im Griff, „aber es ist ein Mehraufwand, der zulasten der Schülerinnen und Schüler geht“. Also: weniger Unterrichtszeit für die Kinder, wobei sie ohnehin schon so viel verloren haben. Denn während die AHS-Kinder meist zu Hause testen, findet es an den Mittelschulen in der Schule statt. Das System „ist einfach auf AHS-Schüler und deren Eltern zugeschnitten, und nicht einmal dort schaffen das alle“, sagt die Lehrerin. Die Kinder würden über das viele Testen in den Klassen aber nicht schimpfen, weil sie nach dem vergangenen Jahr einfach froh seien, in die Schule gehen zu können: „Sie sind so happy, dass sie da sind – das Letzte, was sie wollen, ist wieder Home-Schooling.“ Nun testen an der Mittelschule also alle gemeinsam weiter. Vielleicht sei ein Hintergedanke dabei gewesen, dass man Spannungen vermeiden wollte, so die Pädagogin. Aber: „Ich glaube nicht, dass es unter den Kindern ein besonderes Thema ist.“ Eine Spaltung innerhalb der Klassen bemerke sie jedenfalls nicht.

Lodjn beurteilt die Stimmung in ihrer Mittelschule also so, wie viele AHS-Lehrer sie an ihrem Standort beschreiben. Nur eben mit vielen ungeimpften und wenig geimpften Kindern. Was in einer Klasse durchaus tragisch sei: Da sitze ein immunsupprimiertes Kind, das absoluter Risikopatient sei. Und die Klassenkollegen seien nicht alle geimpft. „Aber es ist nicht unser Job, die Eltern zu überzeugen“, sagt Lodjn. Sie würde sich mehr Arbeit in den einzelnen Communitys wünschen – eine Maßnahme, auf die schon viele Experten hingewiesen haben. Und vielleicht ein Elterncafé an der Schule, in dem es Beratung gibt. Klar ist für sie: „Kein Kind kann etwas dafür, wenn es nicht geimpft ist. Das Kind kann sich nicht frei entscheiden, wenn die Eltern dagegen sind – das ist eine Illusion.“


Und das Ministerium? Im Spannungsfeld zwischen Eltern, Lehrern und Kindern bewegt sich auch das Unterrichtsministerium. Es bekam viel Schelte wegen der ungenügenden Vorbereitungen während des Sommers, mittlerweile steht es nicht mehr im Fokus. Viele Schulen machen ohnehin, was sie für richtig halten. Oder was ihnen ganz einfach möglich erscheint.

Mancherorts werden diejenigen Kinder, die die ganze Woche über keinen PCR-Test brachten, am Freitag nach Hause geschickt. Andernorts versucht man das zu vermeiden. Die Regeln sind komplex, und die einzelnen Standorte suchen sich ihren Weg durch Vorgaben, die man auf verschiedene Weise auslegen kann. Mit Empfehlungen will das Ministerium immer wieder dahingehend lenken, dass die Schulen möglichst viel Unterricht, Übungen und Aktivitäten wie etwa Skikurse ermöglichen sollen. Und zwar für alle Kinder, nicht nur die geimpften. Auf das Problem, dass die Ungleichbehandlung nach Impfstatus in den Klassen für Zwist sorgen könnte, wurde Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) übrigens schon im August angesprochen. Er zeigte sich verbal recht ungelenk bei dem Thema, traf dann aber eine klare Entscheidung bei der Maskenpflicht, die je nach Risikostufe gilt. Hier stand nämlich auch die Überlegung im Raum, ob nur die nicht geimpften Kinder Masken tragen müssen. Faßmann wollte sie für alle – eine bewusste Entscheidung, um einer Stigmatisierung vorzubeugen, wie er sagte. Letztendlich wird es aber am (offenbar relativ unaufgeregten) Ton der Lehrer liegen, wie die Stimmung in den Klassen ist.


„Echt uncool.“ Das Spannungsfeld von gemeinsamen Maßnahmen und Unterscheidungen nach Impfstatus dürfte die Schulen aber noch eine Weile begleiten. Wie auch das goldene Pickerl, das vielleicht auch gar nicht der geeignete Aufhänger für die Diskussion rund um eine Stigmatisierung ist. Denn viele Schüler versenkten den Ninja-Pass in ihren Schultaschen oder Rucksäcken, sobald sie ihn bekamen. Und wollen ihn auch nicht mehr herausholen, weil er ihnen peinlich ist. „Echt uncool“, hört man immer wieder.

Aber auch unter denjenigen, die ihn nett oder sogar „eigentlich echt süß“ finden wie die 15-jährige Antonia, ist er selten in Gebrauch. Die Schülerin hat ihn aus einem ganz profanen Grund bisher nicht benützt: Das Handy mit dem Grünen Pass ist einfach schneller bei der Hand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Derzeit gilt in allen Bundesländern – bis auf Vorarlberg – die mittlere Warnstufe (Archivbild)
Coronavirus

Mit Sicherheit in der Schule

Keinesfalls soll es zu Schulschließungen kommen. Deshalb kontrolliert der Minister das Abwasser und lässt Kinder weiterhin gurgeln und spülen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.