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Urteil: Julian Assange muss mit Auslieferung an USA rechnen

FILE PHOTO: WikiLeaks' founder Julian Assange leaves Westminster Magistrates Court in London
FILE PHOTO: WikiLeaks' founder Julian Assange leaves Westminster Magistrates Court in LondonREUTERS
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Der Londoner High Court kippte die Ablehnung des US-Auslieferungsantrags für Wikileaks-Gründer Julian Assange. In den USA drohen dem Australier wegen Spionage- und Hochverratsvorwürfen bis zu 175 Jahre Haft. Die USA versprachen nun, ihn gut zu behandeln.

Ein Berufungsgericht in London hat die Ablehnung des US-Auslieferungsantrags für Julian Assange gekippt. Das teilte ein Richter am Londoner High Court am Freitag mit. Der Gründer der nicht unumstrittenen „Enthüllungsplattform" Wikileaks muss nun damit rechnen, doch noch an die Vereinigten Staaten ausgeliefert zu werden.

Ein britisches Bezirksgericht hatte Anfang des Jahres in erster Instanz die Auslieferung des 50-Jährigen unter Berücksichtigung seines psychischen und gesundheitlichen Zustands und der zu erwartenden Haftbedingungen in den USA untersagt. Zudem sei die Gefahr sehr hoch, dass er wegen der Auslieferung oder nach deren Vollziehung Suizid begehe. Washington hatte diese Entscheidung angefochten.

Die US-Justiz will Assange wegen Spionage und Hochverrat den Prozess machen. Dem gebürtigen Australier drohen dort bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft. Vorgeworfen wird ihm, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning, einer ehemaligen Militärangehörigen, geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Manches davon zeigt mögliche Kriegsverbrechen. Er habe damit das Leben von US-Informanten vor Ort in Gefahr gebracht, ebenso die Sicherheit von US-Truppen, und jedenfalls militärische Geheimnisse verraten, so die US-Justiz. Seine Unterstützer sehen in ihm hingegen einen investigativen Journalisten bzw. Aktivisten, der Kriegsverbrechen ans Licht brachte.

Informationsquelle Chelsea Manning praktisch begnadigt

Manning (33) galt zu der Zeit ihrer Kooperation mit Wikileaks bzw. Assange indes noch als Mann und hieß mit Vornamen Bradley. Er war Transsexuell, outete sich 2013, ließ sich 2014 als Frau unter dem nunmehrigen Vornamen Chelsea registrieren und unterzog sich einer Hormontherapie.

2010 wurde er/sie wegen der Zusammenarbeit mit Assange verhaftet und 2013 wegen Spionage und Datendiebstahl zu 35 Jahren Haft verurteilt. US-Präsident Barack Obama erließ ihr 2017 den Großteil der Strafe und Manning kam frei.

BRITAIN-US-COURT-EXTRADITION-APPEAL
BRITAIN-US-COURT-EXTRADITION-APPEALAPA/AFP/NIKLAS HALLEN

Bei Anhörungen vor dem High Court in London hatten indes im Oktober im Fall Assange beide Seiten erneut ihre Argumente vorgebracht. Die US-Anwälte warfen der britischen Justiz vor, sich bei ihrer Einschätzung auf fehlerhafte Gutachten verlassen zu haben. Außerdem sicherten die USA zu, im Falle einer Inhaftierung nicht wie befürchtet "Spezialmethoden" anzuwenden sowie einer Verlegung von Assange in ein australisches Gefängnis zuzustimmen.

Angebliche Mordpläne der CIA

Assanges Verteidiger hingegen setzten unter anderem auf neue Enthüllungen über angebliche Anschlagspläne, die vor einigen Monaten durch Medienberichte ans Licht gekommen waren. Investigative Journalisten hatten unter Berufung auf nicht näher präzisierte US-Quellen berichtet, der US-Auslandsgeheimdienst CIA habe Anschlagspläne auf Assange geschmiedet, während dieser sich in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhielt.

Dorthin war er 2012 geflüchtet, weil er einem anderen Auslieferungsbegehren entgehen wollte, nämlich aus Schweden: Dort wurde gegen ihn wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe ermittelt. Assange fürchtete, Stockholm werde ihn nach seiner Auslieferung weiter an die USA überstellen.

Botschaftspersonal „terrorisiert"

Im April 2019 wurde Assange aus der Botschaft verwiesen und von der Polizei verhaftet, nachdem ihm Ecuadors Präsident, Lenín Moreno, das Asylrecht entzogen hatte. Moreno wollte damit die Beziehungen zu den USA und Europa, die wegen dieses Falls von Botschafts-Asyl angeknackst waren, reparieren.

Es hieß freilich auch, Assange habe sich im Lauf der Jahre ungut verändert, sei aggressiv und respektlos, habe Besitztümer der Botschaft zu deren Schaden benützt und das Personal „terrorisiert", sodass die Gewährung von Asyl untragbar geworden sei.

Versicherungen der USA reichen aus

Seine Unterstützer indes hatten gehofft, die Enthüllungen bezüglich der Mordpläne würden die hohe Gefährdung Assanges belegen und somit seine Auslieferung weiter verhindern. Zudem seien die Versicherungen der USA zu wenig konkret und belegt.

Im Prozess vor dem High Court befanden der Vorsitzende Richter, Lord Chief Justice Lord Ian Burnett, sowie Lord Justice Sir Timothy Holroyde als Co-Richter, die Auslieferung für zulässig. Als Grund führten sie die Versicherungen der US-Anwälte an, dass man Assange schonend behandeln werde. Damit seien die Bedenken der Richterin erster Instanz hinfällig geworden.

Suizidgefahr oder -Drohung keine „Trumpfkarte"

Der britische Kronanwalt James Lewis, ein renommierter Jurist, der auf Seiten der USA argumentierte, wies insbesondere darauf hin, dass die Erstrichterin ihr Urteil auch auf die hohe Suizidgefahr Assanges aufgebaut habe. Diese Begründung sei problematisch, denn damit könne die reine Annahme einer Suizidgefahr, insbesondere nach einer dementsprechenden Andeutung der betreffenden Person, eine „Trumpfkarte" für jeden werden, der seine Auslieferung an wen auch immer verhindern möchte. Die USA indes würden ihre diplomatischen Zusagen zugunsten Assanges als „bindend" und ernsthaft sehen. „So etwas verteilt man nicht wie Smarties", sagte Lewis.

December 10, 2021, London, UK: Stella Moris arrives at the Royal Courts of Justice in London, where her partner Julian
December 10, 2021, London, UK: Stella Moris arrives at the Royal Courts of Justice in London, where her partner Julianimago images/ZUMA Press

Assanges Angehörige beschreiben seinen Gesundheitszustand seit Monaten als schlecht und besorgniserregend. Bei den letzten Anhörungen nahm der 50-Jährige teilweise per Videoschaltung aus dem Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh teil, fühlte sich zeitweise aber auch nicht in der Lage, das Geschehen zu verfolgen. Die beiden Richter fanden indes nicht, dass Assange wirklich so krank ist, dass eine Auslieferung deswegen nicht möglich wäre.

Dem Berufungsgericht zufolge sollte bei der Entscheidung am Freitag keine der beteiligten Parteien zugegen sein. Die Verlobte von Julian Assange, Stella Moris, kündigte allerdings auf Twitter an: "Ich werde dort sein."

„Alarmierende Konsequenzen für Pressefreiheit"

"Wenn die USA erfolgreich sind, wird das alarmierende Konsequenzen für die Pressefreiheit haben. Bei diesem Fall geht es nicht nur um Assange, sondern um das Recht aller Journalisten, ihre Arbeit zu tun, und um das Recht der Öffentlichkeit, sich zu informieren", sagte die Londoner Vertreterin der NGO Reporter ohne Grenzen, Rebecca Vincent, die das Verfahren eng begleitete.

Ob der Rechtsstreit am Berufungsgericht seinen Endpunkt findet oder letztlich beim höchsten britischen Gericht - dem Supreme Court - landen könnte, war zunächst unklar. Dass die Verteidigung in Berufung geht, gilt allerdings als wahrscheinlich.

(APA/dpa/wg)

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