Klimakrise

Wohnen im Speckgürtel: „Der Kompromiss ist das Klima“

(c) Marin Goleminov
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Die Wahl der Wohnform hat großen Einfluss auf den ökologischen Fußabdruck. Das Einfamilienhaus im Speckgürtel schneidet beim Ressourcenverbrauch besonders schlecht ab. Mehr Fläche, ein hoher Energieverbrauch und längere Wege treiben die CO2-Emissionen in die Höhe.

Das Einfamilienhaus ist ein Meilenstein in vielen österreichischen Biografien. Mit dem Richtfest wird der Eintritt ins Erwachsenenalter gefeiert. Zahlreiche Fernsehwerbungen verstärken dieses Bild. Über einem gigantischen Zweistockhaus geht die Spätsommersonne unter, ein glücklicher Vater steht am Grill, das Wasser im Pool glitzert mit den Augen der Kinder um die Wette. Größer, schöner, besser, und dazu der passende Kredit. Wolfgang Amann vom Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen findet dazu deutliche Worte: „Diese berühmte Werbung mit dem freistehenden Einfamilienhaus auf 1000 Quadratmetern Grund sollte es genauso wenig geben wie Zigarettenwerbung.“

Denn: Das Eigenheim im Grünen gilt auch als gewaltiger Klimasünder. Im deutschen Bundestag-Wahlkampf 2021 sorgte die Aussage eines grünen Kommunalpolitikers für Aufsehen: Einfamilienhäuser würden viel Fläche und Energie verbrauchen, Zersiedelung und damit Verkehr fördern, sagte Anton Hofreiter damals dem „Spiegel“. Die Folge: eine nationale Verbotsdebatte. „Finger weg vom Traum junger Familien“, twitterte etwa CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Fest steht: Das Thema Wohnen lässt sich in der Klimadebatte nicht einfach ausblenden. Der Bereich macht im ökologischen Fußabdruck der Österreicher durchschnittlich 14 Prozent des Ressourcenverbrauchs aus. Dazu kommen noch Emissionen, die durch den Straßenverkehr entstehen.

Wer klimafreundlich wohnen möchte, sollte auf Suffizienz achten, sagt Immobilienexperte Amann. Gemeint ist damit, den Ressourcen- und Energieverbrauch möglichst gering zu halten. Das Optimum wäre demnach eine kleine Wohnung, nicht Neubau, nicht mit Gas oder Öl beheizt und in einer Umgebung, in der kein Auto notwendig ist. „Die liebste Wohnform der Österreicher, das riesengroße Einfamilienhaus mit Doppelgarage und zwei SUVs“, sei hingegen mit einem ökologischen Leben nur schwer zu vereinbaren, meint Amann: „Das sind sozusagen die Bösewichter.“

Konkret: In der Vorstadt seien die Emissionen doppelt bis dreifach so hoch wie im urbanen oder ländlichen Raum, rechnet Klimaökonom Gernot Wagner vor. Er kritisiert in seinem 2021 im Brandstätter-Verlag erschienenen Buch „Stadt Land Klima“ vor allem den Speckgürtel. Suburbia stehe für das kompromisslose Leben zwischen viel Platz und der guten Lage in der Nähe zur Stadt. Doch „der Kompromiss ist das Klima, die Umwelt“, fügt Wagner hinzu. Entscheidend seien die Faktoren Dichte und Reichtum, schreibt er in seinem Buch: „Das Land ist relativ arm und dünn besiedelt. Städte sind relativ reich und dicht besiedelt. Suburbs liegen genau dazwischen: Sie haben zwar relativen Reichtum, aber kaum Dichte. Das bedeutet: größere Häuser, mehr Autos, mehr materieller Konsum – und daher auch deutlich mehr CO2-Emissionen.“

Strategien gegen Flächenfraß?

Zersiedelung und Straßenbau haben drastische Auswirkungen: „Mit jedem verbauten Quadratmeter verlieren wir auch ein weiteres Stück der für uns Menschen überlebenswichtigen Bodenfunktionen“, sagt WWF-Bodenschutzexpertin Maria Schachinger. Dazu gehören die Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser und sauberer Luft und der Schutz vor Hochwasser. Grünräume seien wichtige Kohlenstoffspeicher und Gratis-Klimaanlagen. „Eine intakte Natur ist unsere beste Versicherung gegen die Klimakrise und das Artensterben“, sagt Schachinger. Sie sieht aber das Problem nicht im Einfamilienhaus an sich, sondern darin, dass ein „Gebäude, das fernab von Ortszentren mitten auf der grünen Wiese gebaut wird, eine Reihe weiterer Verbauung nach sich zieht – also weitere Straßen, Supermärkte, Gewerbeparks oder Parkplätze.“ Man solle daher Maßnahmen setzen, um die Ortskerne zu beleben und leer stehende Häuser weiterzuverwenden.

In Österreich sinkt der jährliche Zuwachs des Flächenverbrauchs zwar seit 2010, von der Einhaltung des Nachhaltigkeitsziels des Bundes bis 2030 ist man aber weit entfernt. Aktuell wird um das Vierfache über das Ziel hinausgebaut. Schachinger fordert daher Reformen bei der Kommunalsteuer: Diese bringe die Gemeinden derzeit „in einen unregulierten Wettkampf um Betriebsansiedelungen“.

Ähnlich Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger: Sie schlug im ORF-„Sommergespräch“ 2021 vor, die Umwidmungskompetenzen dem Bund zu überlassen. Wagner und Amann orten in dem Vorstoß Potenzial: Der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde gerate ziemlich unter Druck, wenn er einem Bewohner die Umwidmung verweigere und die Kinder dort kein Haus bauen dürfen. Läge die Entscheidung bei der Bezirksbehörde, wäre die Distanz zum Liegenschaftseigentümer größer, meint Amann. Er sieht Bayern, wo diese Kompetenzen auf Kreisebene liegen, als positives Beispiel: „Das Thema der Zersiedelung ist sehr viel geringer als bei uns.“

Alle in die Stadt?

In einer Stadt wie Wien lassen sich die meisten Wege problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Im suburbanen Raum ist das schwieriger, ein eigenes Auto zu haben oft unverzichtbar. Wagner kritisiert, dass die externen negativen Kosten nicht beziffert seien. Der Individualverkehr sei immer noch die am stärksten subventionierte Form des Transports, durch Straßenbau oder Billigstparkplätze in der Stadt. Ab Juli 2022 wird CO2 besteuert. Der Startpreis liegt bei 30 Euro pro Tonne und soll bis 2025 auf 55 Euro erhöht werden. Ein regional gestaffelter Klimabonus soll Mehrbelastungen ausgleichen. Wer gut auf das Auto verzichten kann, etwa in Wien, bekommt künftig 100 Euro, im ländlichen Raum können es bis zu 200 Euro sein. Die CO2-Bepreisung setze richtige Anreize, ist Wagner zuversichtlich, es gäbe aber noch viel größere Hebel, bei denen man ansetzen müsste, etwa das Pendlerpauschale.

Amann verweist dennoch auf den hohen kulturellen und politischen Stellenwert des ländlichen Raumes, der auch wirtschaftlich außergewöhnlich potent sei: „Wir haben in Österreich eine Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur, die sehr leistungsfähige Industrien im ländlichen und semiurbanen Raum entwickelt hat.“ Das könne man nicht pauschal verurteilen. Trotzdem müsse man dafür sorgen, dass die Ortschaften nicht weiter ausrinnen. Wagner ist in seiner Wortwahl deutlicher: „Bedarf es einer solchen Debatte (wie in Deutschland, Anm.) auch in Österreich? Ja! Überspitzt gesagt: Es geht um Verbote.“ Je nach lokalen Gegebenheiten sollte darüber nachgedacht werden, die Zersiedelung einzuschränken, betont er.

Alles abreißen?

Möglichst viele Häuser zu sanieren ist für Amann nicht der Ausweg. Indem man die Grundsubstanz von Häusern erhalte, deren Grundrisse, Materialien, Heizsystem und Isolierung nicht mehr passen würden, spare man nur wenig. „Ich bin heute der Ansicht, dass es viele Fälle gibt, in denen es aus ökologischer Sicht vertretbarer ist, dass man abreißt. Am liebsten dort, wo das Haus ohnehin am falschen Ort steht, und zurückwidmen in Grünland“, sagt er.

Nicht nur die Siedlungen wachsen, auch die Häuser werden immer größer. Bei Hauseigentum umfasst die durchschnittliche Wohnfläche in Österreich 141,6 Quadratmeter. Kleinere Häuser sind besser für die Umwelt, beim Bau und Energiebedarf. Trotzdem sind sich Amann und Wagner darin einig, dass insgesamt weniger gebaut werden sollte. Die Zersiedelung würde durch kleinere Häuser ja nicht gestoppt werden, erklärt Wagner: „Das heißt, wenn jetzt jeder Österreicher in ein Tiny House zieht, müssen die ja auch erst einmal irgendwo gebaut werden.“ Solche „Techno Fixes“, wie Wagner sie nennt, hätten starke Rebound-Effekte.

Rebound-Effekte

Der Rebound-Effekt („Abpralleffekt“) beschreibt das Phänomen, dass Energieeinsparungen durch Effizienzsteigerungen nicht oder kaum eintreten. Fährt man ein energieeffizienteres Auto, spart man dadurch auch Treibstoff. Nutzt man dann aber, im Wissen um die Ersparnis, das Auto öfter, verschwindet die anfängliche Ersparnis wieder. Die Nachfrage erhöht sich, weil die Energiedienstleistung günstiger wird. Das ist der direkte Rebound-Effekt. Ein indirekter Rebound tritt dann ein, wenn der Autofahrer das eingesparte Geld für etwas anderes ausgibt, das auch viel Energie verbraucht, zum Beispiel eine längere Flugreise.

Wird trotzdem neu gebaut, spielt Technologie eine wichtige Rolle. In der Haustechnik, beispielsweise bei Wärmepumpen oder dichten Gebäudehüllen, sieht Amann wichtige Entwicklungen. Im Gegensatz zu fossilen Heizsystemen, die Gas oder Öl verbrennen, nutzen Wärmepumpen Energie, die in der Umgebung gespeichert ist, das heißt im Erdreich, in der Luft, im Wasser oder in der Sonne. Dadurch, dass bei diesem Prozess geringere Temperaturen als in Heizkesseln entstehen, werden Energieverluste minimiert. Am besten funktionieren Wärmepumpen mit Fußboden- oder Wandheizungen, die große Flächen nutzen. Je besser die Gebäudehüllen dämmen, desto weniger Energie braucht man, um zu heizen.

Zurück in die Steinzeit?

Nicht das Wirtschaftswachstum an sich, sondern Ressourcenverbrauch sei schlecht, betont Wagner. Man müsste Mehrkosten und Extrainvestitionen motivieren, um klimaneutral zu wirtschaften und zu wohnen. „Wir müssen nicht alles abbrennen und von Neuem beginnen“, ist er überzeugt. Denn ein energieeffizientes und klimaneutrales Leben funktioniere mit modernster Technologie und enormen Investitionen, konkretisiert Wagner. „Und die sind nur möglich, weil wir in die Zukunft investieren.“

Perfekte Fassaden, gepflegte Vorgärten, SUVs in der Garage – den Traum vom Leben in Suburbia gibt es nicht erst seit der Vorstadt-Dramaserie „Desperate Housewives“. Wagner ist davon überzeugt, dass die individuellen Konsumwünsche nicht abgedreht, sondern in die richtige Richtung gelenkt werden sollten. Das Bedürfnis zu besitzen sitze tief, glaubt Amann. Zugleich müssten klimafreundliche Alternativen sichtbar gemacht werden: schicke Stadtwohnungen oder kleine Passivhäuser. Soll heißen: „Es sind viele Dinge möglich, ohne dass man den Menschen diesen Traum wegnimmt.“

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