Frauen

Jung, weiblich, alleinerziehend – willkommen im Wohnprekariat

(c) Marin Goleminov
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Frauen haben auf dem Wohnungsmarkt schlechte Karten, insbesondere, wenn sie alleinerziehend sind. Warum ist das so? Gibt es Hilfe für Ein-Eltern-Haushalte? Und wie sollte zeitgemäßer Wohnbau für diese Zielgruppe aussehen? Eine Besichtigungstour.

„Hätte ich die Wahrheit gesagt, hätte ich die Wohnung nicht bekommen.“ Lucy F. ist 30 Jahre alt, lebt in Wien. „Ich habe einfach geradeaus gelogen“, erzählt sie von einer Wohnungsbesichtigung vor gut drei Jahren, bei der sie ihren Status verschwiegen hat. Er lautet: alleinerziehend. Ein Umstand, der es ihr, wie sie sagt, in der Vergangenheit unmöglich gemacht hat, auf ehrlichem Weg eine Mietwohnung zu bekommen. Denn einschlägigen Online-Plattformen für Wohnberatung zufolge lautet die goldene Regel: Die monatlichen Wohnkosten sollten maximal ein Drittel des Netto-Haushaltseinkommens ausmachen. Bei Lucy verschlingt Wohnen jeden Monat allerdings knapp die Hälfte ihrer Einkünfte. Für größere Besorgungen muss sie auf Erspartes zurückgreifen.

Ein Missverhältnis, das sich nicht so schnell ändern dürfte. Im Gegenteil: Die Mietpreise in Wien entwickeln sich „sehr dynamisch“, belegt eine im Juni 2021 veröffentlichte Studie des internationalen Immobilien-Dienstleisters Colliers, welche die Situation auf dem Immobilienmarkt in den europäischen Großstädten vergleicht. Demnach wird das starke Bevölkerungswachstum in Wien auch weiterhin für steigende Wohnkosten sorgen. Die baldige Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole zeichne sich zudem durch einen besonders hohen Anteil an Mietwohnungen aus und biete nur einen bedingten Raum für Investoren, lautet die Conclusio.

>>> Markus Hagspiel hat sich diesen „Raum für Investoren“ und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Wohnpreise genau angesehen.

Herkunft und Geschlecht mischen mit

Der Wiener Wohnungsmarkt ist aber nicht nur vergleichsweise teuer, sondern zum Teil auch ungerecht und diskriminierend. Ethnische Herkunft spielt eine Rolle, das Geschlecht ebenso. „Yusuf Yilmaz“ hat bei der privaten Vergabe einer Wohnung nicht die gleichen Chancen wie „Michael Huber“, wie Gespräche hinter vorgehaltener Hand mit Betroffenen auf Sucher- und Vergeberseite zeigen. Nachweisen lässt sich das aber selten, zu groß ist die Angst, der Weg an die Öffentlichkeit könnte die eigene Situation verschlechtern. In Bezug auf das Geschlecht sind die benachteiligenden Umstände indes offenkundig: Frauen sind von steigenden Mietpreisen stärker betroffen, weil sie einem geschlechtsspezifischen Lohngefälle, dem sogenannten Gender Pay Gap, ausgesetzt sind. Soll heißen: Österreich zählt nach wie vor zu den EU-Ländern mit dem größten Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern. Diese Differenz lag hierzulande im Jahr 2019 bei rund 20 Prozent und damit deutlich über dem EU Schnitt (14,1 Prozent).

Wie (alleinerziehend) wohnen?

Lucy arbeitet bis zu 20 Stunden in der Woche im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Sie verdient Geld, gibt es sparsam aus, bezahlt ihre Rechnungen pünktlich. Trotzdem war sie bei der Vergabe von privaten Mietwohnungen stets auf Notlügen oder die Bürgschaft ihrer in Zürich lebenden Eltern angewiesen. Auch bei der Erziehung, Versorgung und Betreuung ihrer vierjährigen Tochter war sie, abgesehen vom Kindergarten, auf sich allein gestellt. Vor knapp einem Jahr änderte sich das: Seither wohnt sie in einer Alleinerziehenden-WG, teilt sich den Haushalt mit einer befreundeten Mutter und deren Tochter. Um in diese Wohngemeinschaft einziehen zu dürfen, waren keine falschen Angaben notwendig, wohl aber die Vernetzung mit anderen Alleinerziehenden, durch die sie von der günstigen Wohnmöglichkeit erfahren hat.

Leistbares, unbefristetes Wohnen basierend auf sozialem Rückhalt – ein gemeinschaftliches Wohnkonzept, das auch Sarah Zeller vermittelt. Die Gründerin und Leiterin des Vereins von und für Getrennt- und Alleinerziehende (Juno) ist Familien- und Lebensberaterin. Gemeinsam mit ihrem Team berät sie rund 2800 Alleinerziehende pro Jahr. Sie kennt die Hürden, mit denen ihre wohnungssuchenden Klienten konfrontiert sind. „Die meisten Wohnungen sind auf Mutter-Vater-Kind-Familien ausgerichtet“, sagt Zeller. Alleinerziehende haben andere Bedürfnisse: „Im Idealfall gibt es mehrere kleinere Zimmer. Für einen Elternteil mit zwei Kindern sind das vier Räume, sodass jede Person ein eigenes Zimmer hat und es noch einen Gemeinschaftsraum gibt.“ In Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Bauträgern bemüht sich Juno daher um möglichst viele sogenannte Smart-Wohnungen. Diese sind bei Mietpreisen von 7,50 Euro pro Quadratmeter gedeckelt, inklusive Betriebskosten. Der zusätzliche Finanzierungsanteil, der einer Kaution entspricht, liegt bei einer solchen geförderten 50-Quadratmeter-Wohnung allerdings immer noch bei rund 3000 Euro. Fehlen Alleinerziehenden dann erst recht die Rücklagen dafür, gebe es Wege, um das Geld aufzustellen. Etwa mit Unterstützung des Magistrats, sagt Zeller.

Neben Leistbarkeit ist also genügend Raum der entscheidende Faktor für Alleinerziehende, umso mehr während pandemiebedingter Lockdowns. Aus einer Studie von Juno im Jahr 2019 geht hervor, dass es in Ein-Eltern-Familien in Wien an Rückzugsraum mangelt. So hat ein Drittel der befragten Alleinerziehenden kein eigenes Schlafzimmer und ein Drittel der Kinder kein eigenes Kinderzimmer. „Teilweise muss in sehr beengten Verhältnissen gelebt werden, was die belastende Situation zusätzlich verschärft“, sagt Zeller. Was familienfreundlichen und frauengerechten Wohnbau noch ausmacht und wie er sich entwickelt hat, wurde übrigens bei der Online-Ausstellung der Technischen Universität Wien skizziert.

82.000 Alleinerzieherinnen, allein in Wien

In Wien ist statistisch gesehen jeder vierte Haushalt mit Kindern von Alleinerziehenden geführt, davon sind mehr als 90 Prozent Frauen. Allerdings: In der Realität sei dieses Geschlechterverhältnis zumindest etwas ausgewogener, da meist der Hauptwohnsitz der Mutter angegeben wird, wenn geteiltes Sorgerecht für ein Kind vereinbart wurde, meint Zeller. Außerdem gibt es natürlich nicht nur weibliche oder männliche Alleinerziehende. Bei der jährlichen Haushaltsbefragung der Statistik Austria ist das Geschlecht jedoch nur in diesen zwei Ausprägungen ausgewiesen. Der Grund dafür sind zu geringe Fallzahlen bei Personen mit nicht binärer Geschlechtsangabe.

Fakt ist: Aktuell wohnen mehr als 82.000 Alleinerzieherinnen in Wien – Tendenz steigend. Im Jahr 2004 waren es noch rund 68.000. Durchschnittlich haben diese ein Nettoeinkommen von 1680 Euro im Monat zur Verfügung. Sie gehören damit jener Gruppe von Menschen an, die sich finanziell besonders schwer tun, wie eine Analyse von Forschern der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien im Auftrag des Sozialministeriums ergeben hat. Bei der Betrachtung der Lebensumstände im Jahr 2020 zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit, relativ viel für das Wohnen aufzuwenden (mehr als 30 Prozent des Einkommens), vor allem bei Jungen, Alleinerziehenden und Singles, die in Miete leben, am höchsten ist.

Das sei überraschend, da die Gruppe der älteren Menschen, die etwa von Altersarmut betroffen sein könnte, nicht so stark repräsentiert war, sagt Co-Studienautor Emanuel List. „Wir sehen, dass vor allem junge Menschen sehr viel für die Wohnkosten ausgeben und hier an ihre Grenzen stoßen. Die Gruppe, die bei solchen Analysen leider fast immer stark ausschlägt, sind die Alleinerziehenden. Da geht der Koeffizient durch die Decke“, konstatiert der Forscher.

Neun unbezahlte Arbeitsstunden pro Tag

Ein-Eltern-Haushalte verzeichneten im Jahr 2020 bundesweit mit einer Quote von 45 Prozent die höchste Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung der unterschiedlichen Haushaltstypen. Für Mütter in Ein-Eltern-Familien ist zudem die Doppelbelastung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung besonders hoch. Einer Zeitverwendungsstudie  der WU Wien und der Arbeiterkammer zufolge arbeiteten alleinerziehende Frauen während des ersten Corona-Lockdowns (Erhebungszeitraum: 20. April bis 14. Mai) im Durchschnitt 15 Stunden pro Tag, neun davon unbezahlt in Form von Kinderbetreuung und Hausarbeit.

„Alleinerziehend“ zum Wiener Wohn-Ticket

In Krisenzeiten zeigt sich oft besonders gut, wo angesetzt werden muss, lautet eine Volksweisheit. Im aktuellen Fall trifft sie zu: „Alleinerziehende leben die Familienform, die finanziell und sozial am meisten unter Druck steht“, sagt Juno-Beraterin Zeller. Die Hebel, bei denen angesetzt werden müsse, sind im Grunde altbekannt: „Leistbarer Wohnraum, flexible Kinderbetreuung, Unterhaltssicherung oder Kindergrundsicherung, höhere Löhne und Absicherung von Familien im Sozialsystem“, zählt sie auf.

Wer Leistbarkeit sagt, muss auch über die größte kommunale Hausverwaltung Europas sprechen – Wiener Wohnen. Geförderter Wohnbau ist die priorisierte Wohnform von Alleinerzieherinnen, trotzdem wohnt nicht einmal jede Fünfte (17 Prozent) in einem solchen. Grund dafür sind Steine, die nicht im Weg liegen müssten, ein großer Brocken davon wurde schon weggeräumt: Der Zugang zu geförderten Wohnungen war bis Juni 2020 durch die komplexen Anforderungen zum Erhalt des Wiener Wohn-Tickets erschwert, hinzu kommt dann eine durchschnittliche Wartezeit von zwei Jahren bis zur Vergabe.

Seither reicht „alleinerziehend“ als Kriterium aus, um ein Wiener Wohn-Ticket zu lösen. Dieser nun begründete Wohnbedarf ermöglicht Alleinerziehenden neben geförderten Wohnungen auch den Zutritt zu den rund 220.000 Gemeindewohnungen in Wien. So keine akute Wohnraumnot besteht, hängt die Wartedauer bis zu einem Angebot von den individuellen Wünschen (Bezirk, Grundrissgestaltung etc.) der Antragsteller ab. Wie lang es im Durchschnitt dauert, bis Alleinerziehende in akuter Wohnraumnot nach Antragstellung eine geförderte Wohnung angeboten bekommen, ist unklar.

Eine Anfrage der „Presse“ wurde vom Wohnservice Wien nur vage beantwortet. Aber: „Seit Anfang dieses Jahres können Menschen, die pandemiebedingt in eine Wohnraumnot geraten sind, dazu zählen auch Alleinerziehende, von einer Sonderaktion Gebrauch machen, das heißt sehr rasch eine Gemeindewohnung über die Plattform der Wohnberatung Wien erhalten“, hieß es dazu in einer schriftlichen Stellungnahme.Auf dem Areal neben der ehemaligen Remise „Wolfganggasse“ in Wien-Meidling entsteht ein neuer Stadtteil. Rund 850 geförderte Wohnungen sowie 181 Wohneinheiten mit 214 Pflegeplätzen bieten Menschen mit unterschiedlichen Wohnbedürfnissen ein Zuhause. Heuer werden die ersten der insgesamt rund 2.000 Bewohner dort einziehen. Die Bruttomieten in den unterschiedlichen Bauteilen des Quartiers sind zwischen rund 7,50 Euro und 8,40 Euro pro Quadratmeter angesiedelt.

Ein Schwerpunkt liegt auf den Wohnformen für Ein-Eltern-Familien. Für die Kleinsten ist ein Kindergarten mit Außenbereich geplant. Ein Mutter-Kind-Haus mit sieben Wohngemeinschaften, soll kurzfristig und flexibel Wohnraum schaffen. Die Voranmeldung läuft bis alle Vormerkplätze vergeben sind.

Ein Schwerpunkt liegt auf den Wohnformen für Ein-Eltern-Familien. Für die Kleinsten ist ein Kindergarten mit Außenbereich geplant. Ein Mutter-Kind-Haus mit sieben Wohngemeinschaften, soll kurzfristig und flexibel Wohnraum schaffen. Die Voranmeldung läuft bis alle Vormerkplätze vergeben sind. https://wohnungssuche.wohnberatung-wien.at/?page=planungsprojekte-liste&p=4
Ein Schwerpunkt liegt auf den Wohnformen für Ein-Eltern-Familien. Für die Kleinsten ist ein Kindergarten mit Außenbereich geplant. Ein Mutter-Kind-Haus mit sieben Wohngemeinschaften, soll kurzfristig und flexibel Wohnraum schaffen. Die Voranmeldung läuft bis alle Vormerkplätze vergeben sind. https://wohnungssuche.wohnberatung-wien.at/?page=planungsprojekte-liste&p=4Schreiner Kastler

Steine, Hürden und Barrieren

Fest steht: Das Wohnprekariat für alleinerziehende Frauen ist real. Aber es gibt Umwege bzw. Auswege durch Hilfe von unterschiedlichen Stellen. Alleingelassen fühlt sich Lucy im Wiener Wohnungsdschungel daher nicht. Vor allem aufgrund von Initiativen seitens der Stadt Wien sowie Netzwerken und Vereinen wie Juno. Auf dem privaten, sprich ungeförderten Wohnungsmarkt hingegen weht auf dem Weg zu passendem Wohnraum dann doch ein rauer Wind, der besonders Alleinerziehenden entgegenbläst. Aber nicht nur sie haben auf dem Wohnungsmarkt Hürden und Barrieren zu bewältigen.

>>> wie Anna Clara Brandstätter und Daniel Stornig berichten.

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