Zuwanderung

Der lange Weg von der Einreise zur eigenen Wohnung

(c) Marin Goleminov
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Für Zugewanderte ist eine stabile Wohnsituation die Basis für das Mitwirken an der Gesellschaft. Die Suche nach dem Zuhause kann jedoch durch vieles erschwert werden. Nicht zuletzt, weil geförderte Wohnungen nicht für alle gleichermaßen zugänglich sind.

Österreich ist ein Einwanderungsland. Besonders in Wien ist das jedem klar, der beim Spaziergang durch die Stadt die Ohren offen hält. Schon seit 1983 werden von der Statistik Austria jedes Jahr mehr Einwanderer als Auswanderer gezählt. 2020 kamen 136.300 Personen nach Österreich. Etwa 96.300 Menschen haben das Land im selben Zeitraum verlassen. Unter die Zugewanderten fallen großteils Arbeitsmigranten, Asylwerber und wiederkehrende Österreicher. Aber nicht alle kommen, um zu bleiben – wie nicht zuletzt die Gruppe der ausländischen Studenten und Forschenden.

Eines aber gilt für alle in gleichem Maße: Sie brauchen einen Aufenthaltstitel, etwa die Rot-Weiß-Rot-Karte für Arbeitskräfte, das Studentenvisum für Studierende oder die sogenannte Blaue Karte für Gutverdiener, die ein Bruttojahresgehalt von mindestens 66.593 Euro zuzüglich Sonderzahlungen verdienen.

Die meisten Zugewanderten kommen aus Staaten der Europäischen Union (EU). Wohl auch deshalb, weil sie – anders als Personen aus Drittstaaten – keinen Aufenthaltstitel benötigen, um sich hier niederzulassen.

Das spiegelt sich auch im 2020 veröffentlichten Migrant Integration Policy Index, der die Integrationspolitik von 56 Ländern untersucht. Österreich liegt hier im Mittelfeld, bildet jedoch bei der Gewissheit von Drittstaatenbürgern, langfristig im Land bleiben zu können, das Schlusslicht. Die Begründung: Hürden bei der Familienzusammenführung und der Erneuerung des Aufenthaltstitels sowie der Umstand, dass zugewanderte Personen die Staatsbürgerschaft erst nach zehnjährigem Aufenthalt beantragen können.

Viele Wege führen nach Wien

Vor der Coronapandemie wurde Wien vom „Economist“ 2018 und 2019 als „lebenswerteste Stadt der Welt“ gewürdigt. In den fünf Kategorien Stabilität, Gesundheitsfürsorge, Kultur und Umwelt, Bildung und Infrastruktur schnitt sie unter den 140 untersuchten Städten am besten ab. Kein Wunder also, dass es die Menschen nach Wien zieht. Wegen der Folgen der Pandemie, die in Form von Lockdowns, der Belastung des Gesundheitssystems und stark limitierten kulturellen Angeboten kamen, rutschte die Bundeshauptstadt im Vorjahr auf Platz zwölf ab. An erster Stelle liegt nun die neuseeländische Metropole Auckland. Trotzdem scheint die Beliebtheit Wiens nicht nachzulassen, denn immerhin leben in Österreich 40 Prozent der Personen mit ausländischem Geburtsort in der Hauptstadt.

Soziales Wohnen, nicht für alle

Für Immigranten hat die Wohnungssuche meist schon vor der Ankunft Priorität, wie Florian Rautner von den Grätzleltern, einem Projekt der Caritas, erzählt. Dort werden Zugewanderte von Freiwilligen in 28 Sprachen beraten. „Wohnen ist die Grundvoraussetzung für das gelungene Teilhaben an der Gesellschaft: Wenn die Wohnsituation nicht passt, dann werden alle anderen Dinge auch schwer“, sagt Rautner.

Grundsätzlich gibt es in Wien viel leistbaren Wohnraum, der auch international für Aufmerksamkeit sorgt, wie jüngste Berichte von Bloomberg zeigen. 45 Prozent des Wohnungsmarkts besteht demnach aus geförderten Wohnungen, folglich Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen, in denen rund 60 Prozent der Wiener leben. Personen, die neu in die Bundeshauptstadt ziehen, bleibt der Zugang zu geförderten Wohnungen zunächst verwehrt. Ihre Anlaufstelle sind in der Regel private Mietwohnungen. Nachdem sie zwei Jahre an derselben Wohnadresse gelebt haben, kommen sie für das sogenannte Wiener Wohn-Ticket infrage und dürfen sich für eine Gemeindewohnung der Stadt Wien bewerben. Das gilt für Österreicher sowie EU-Bürger. Drittstaatenbürger benötigen hingegen einen dauerhaften Aufenthaltstitel, den sie üblicherweise erst nach fünf Jahren bekommen können. Geflüchtete Personen sind indes Österreichern und EU-Bürgern gleichgestellt, jedoch erfüllen sie die restlichen Voraussetzungen des Wiener Wohn-Tickets manchmal nicht.

Übrig bleiben geförderte Genossenschaftswohnungen, die ihrerseits an Bedingungen geknüpft sind – vorgegeben werde diese jedoch nicht von der Stadt, sondern sie variieren je nach Bauträgern. Gemein ist ihnen, dass sie für Zugewanderte nicht leicht zu erfüllen sind. So wird mitunter ein Finanzierungsbeitrag eingefordert, der laut Arbeiterkammer bei neuen Wohnungen bei 15.000 bis 30.000 Euro einzuschätzen ist.

Doch auch für österreichische Staatsbürger kann es eng werden, wenn sie in einer Partnerschaft mit einem Drittstaatenbürger sind. Ehepaare können das Wiener Wohn-Ticket nur gemeinsam beantragen und müssen jeweils alle Voraussetzungen erfüllen. Wenn Drittstaatenbürger also keinen permanenten Aufenthaltstitel haben, können auch ihre österreichischen Ehepartner keine Gemeindewohnung beantragen.

Der temporäre Aufenthaltstitel als Hürde

Clemens (48) wurde in Venezuela geboren und verbrachte dort 43 Jahre seines Lebens. Weil seine Eltern Österreicher sind, ist er Doppelstaatsbürger. Als in Venezuela vor sechs Jahren Lebensmittel und Medizin zur Mangelware wurden, eine Hyperinflation eintrat und Sicherheit nicht mehr garantiert war, schloss er sich den 5,9 Millionen Venezolanern an, die bis Ende 2021 ihr Heimatland verließen und zog mit seiner sechsköpfigen Familie nach Wien.

Entgegen seinen Erwartungen waren die Hürden für seine Familie bei der Einreise schnell überwunden: „Ich kann mich über die Unterstützung in Österreich nicht beklagen. Die ist genial. Es gibt wenige Länder, die so sozial positiv eingestellt sind und so viel helfen“, sagt er. Mit minimalem bürokratischen Aufwand waren seine vier Kinder nach wenigen Tagen Österreicher. Allerdings gestaltete sich die Rückkehr in puncto Wohnen weniger einfach: Zunächst lebte die Familie im Haus seiner Mutter in Wien. Der Antrag auf eine eigene Gemeindewohnung scheiterte daran, dass seine Ehefrau Venezolanerin ist und nur einen temporären Aufenthaltstitel bekam. Erst mit ihrem Daueraufenthaltstitel, also frühestens nach fünf Jahren in Wien, steht ihnen eine Gemeindewohnung zu.

Probleme auf dem privaten Markt

Auch als Clemens auf dem privaten Wohnungsmarkt sein Glück versuchte, wurde er mehrfach abgelehnt. Er vermutet, dass er als Mieter unerwünscht war, weil er keinen fixen Job hatte und Sozialhilfe bezog.

Auf dem privaten Markt gibt es auch Zusatzkosten, wie hohe Kautionen und Maklergebühren, die für Neuankömmlinge oft nicht leistbar sind. Besonders fehlen ihnen aber die sozialen Verbindungen, über die der Wohnungsfund oft zustande kommt, erklärt Rautner.

„Der private Wohnmarkt ist einfach teurer, und auch nicht so gut reguliert. Es gibt Makler, die teilweise Zielgruppen ausnutzen und relativ schlechte Wohnungen hergeben, weil die Mieter nicht kommunizieren können, was sie daran stört.“ Rautner sehe oft Familien, die in alten, unsanierten Gebäuden wohnen, in denen sie trotz Feuchtigkeit und Schimmel hohe Mieten zahlen.

Diskriminierung bei der Wohnungssuche

Für zugewanderte Personen kann im privaten Markt auch Diskriminierung zum Verhängnis werden. 2019 gaben in einer Studie der Arbeiterkammer 30 Prozent der Befragten mit erkennbarem Migrationshintergrund an, bei der Wohnungssuche oder in der direkten Wohnumgebung Diskriminierung erfahren zu haben.

Zu ihnen zählt auch die 25-jährige Polina aus Russland. Sie macht gerade ihren Master an der Universität für Bodenkultur und wohnt in Wien. Als sie Interesse an einer privaten Wohnung hatte, legte sie für die Bürgschaft das Jahreseinkommen ihres Vaters vor. Dieser ist selbstständig und arbeitet in Russland und der Slowakei. Weil sie aus Russland komme und die Unterlagen „so unklar“ seien, verlangte der Makler eine Kaution von sieben Monatsmieten, anstatt den branchenüblichen drei Monaten, erzählt sie. Polina lehnte das Angebot ab und fand kurz darauf eine andere Wohnung, für die sie ohne Probleme eine Zusage erhielt. Seitdem ist ihr jedoch bewusst, dass ihre Herkunft bei der Wohnungssuche ein Hindernis sein könnte.

Gefahr der Wohnungslosigkeit

Doch nicht alle haben wie Polina im zweiten Anlauf Glück: Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind auch in Österreich keine Seltenheit. Als wohnungslos zählen Menschen, die vorübergehend bei Freunden oder in Einrichtungen, wie zum Beispiel in Unterkünften der Wohnungslosenhilfe, leben. Obdachlos sind hingegen jene, die auf öffentlichen Plätzen leben oder in Notfallquartieren untergebracht werden.

2018 zählte die Statistik Austria circa 22.740 als obdachlos bzw. wohnungslos registrierte Menschen – die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Rund 46 Prozent davon wurden im Ausland geboren. Zum Vergleich haben insgesamt 18 Prozent der österreichischen Bevölkerung einen ausländischen Geburtsort. Dafür gibt es in Wien soziale Auffangnetze, auf die aber nicht jeder den gleichen Anspruch hat. Viele Hilfsprojekte für obdachlose Menschen laufen nämlich über den Fonds Soziales Wien, auf den jene Personen Anspruch haben, die österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. Für Drittstaatenbürger gilt das grundsätzlich erst mit dem Daueraufenthalt, also nach fünf Jahren. Für EU-Bürger wird es schwierig, wenn sie keine längerfristige Anstellung in Österreich vorweisen können.

Um diese Lücke zu schließen, gibt es Institutionen wie die Zweite Gruft in Wien. Dort wird momentan bis zu 66 Männern, die sonst keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, ein Notquartier geboten. Daher finanziert sich das Projekt ausschließlich über Spenden.

Immobilienkauf möglich, aber unrealistisch

Am anderen Ende des Spektrums der Probleme, die man hinsichtlich Wohnen haben kann, liegt der Immobilienerwerb. Dieser ist in Österreich prinzipiell allen Personen möglich. Menschen, die im Ausland geboren wurden, leben aber deutlich häufiger in Mietwohnungen. 2020 gab die Statistik Austria bekannt, dass Personen mit ausländischem Geburtsort zu 73 Prozent in Mietwohnungen leben, während es bei Österreichern ohne Migrationshintergrund 34 Prozent sind.

Für den Kauf müssen Drittstaatenbürger in Wien eine Genehmigung nach dem Ausländergrunderwerbsgesetz beantragen. Mit der Dauer des Aufenthalts steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Zugewanderte in eigenes Eigentum investieren. Ohne vorher zumindest einen dauerhaften Aufenthaltstitel zu haben, würden sie jedoch ein gewisses Risiko eingehen.

Weder für Clemens noch für Polina steht ein Wohnungskauf im Raum. Nach dem Studium will Polina aber im Land bleiben: „Ob es sich mit dem ganzen Papierzeug ausgeht, ist eine andere Frage“, sagt sie. Denn nach ihrem Abschluss ändert sich ihr Aufenthaltsstatus: Aus dem Studentenvisum muss eine Rot-Weiß-Rot-Karte werden, für die sie wiederum neue Bedingungen erfüllen muss.

Die Familie von Clemens ist mittlerweile nach Spanien gezogen. Er selbst pendelt zwischen Madrid und Wien, wo er nach wie vor im Haus seiner Mutter lebt. Dieses soll jedoch bald verkauft werden. Ob sie danach erneut versuchen werden, eine private Wohnung in Wien zu finden, ist ungewiss.

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