TV-Traumpaar Lucille Ball (Nicole Kidman) und Desi Arnaz (Javier Bardem) in „Being the Ricardos“.
Streamingtipps

Filme, die den Kinos durch die Lappen gingen

Dass die Laufbildbranche im Wandel ist, zeigt sich auch daran, dass immer mehr starbesetzte Filme nicht in heimische Kinos kommen, sondern nahezu unbeworben bei Streaming-Diensten aufploppen. Drei aktuelle Beispiele.

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The Tender Bar

Von George Clooney, 2021
Zu sehen auf Amazon


Als Regisseur hat George Clooney fast alle Genres durch: Seinen subtilen Polit-Kammerspielen (wie „Good Night and Good Luck“) aus den Nullerjahren ließ er in den 2010ern konventionellere Genrearbeiten folgen (so den Thriller „Suburbicon“ oder das Sci-Fi-Drama „Midnight Sky“). „The Tender Bar“, sein inzwischen achtes Regiewerk, ist nun ein klassisches Coming-of-Age-Stück. Clooney zeichnet darin den Werdegang des Pulitzer-Autors JR Moehringer nach, der mit neun (anno 1972) vom Vater verlassen wird und als 20-Jähriger (während der Reagan-Ära) in der Pre-Life-Crisis steckt.

Handlungsort ist ein Arbeiterkaff an der Ostküste, wo ihn sein kumpelhafter Onkel (Ben Affleck als Kneipenbesitzer) am Tresen zum ehrbaren Mann erzieht, während er samt Mutter beim schrulligen Opa lebt. Später gelingt dem angehenden Schriftsteller die Aufnahme an einem Elite-College. Seine Traumata als Scheidungskind aus der Unterschicht lassen ihn jedoch nicht los. Clooneys Inszenierung ist dezent. Zu oft geht jedoch die Nostalgie mit ihm durch. Konflikte wirken dann harmlos, die Epoche verklärt, die Figuren flach. Dennoch ist sein Jugenddrama sehenswert – etwas konservativ, aber zumindest beschaulich. Ein bequemer Sonntagsfilm. (mt)

Being the Ricardos

Von Aaron Sorkin, 2021
Zu sehen auf Amazon

Den Zuschauern, die sich „Being the Ricardos“ auf Amazon ansehen, muss man erstmal erklären, was das eigentlich war, lineares, terrestrisches Antennenfernsehen, mit seinen fixen Spielzeiten und periodischen Intervallen zwischen Serienfolgen. Damit sie verstehen, wie bedeutsam eine einzelne TV-Sendung damals, in den 1950er-Jahren, noch sein konnte, als sich halb Amerika jeden Montagabend vor der Mattscheibe versammelte, um die Sitcom „I Love Lucy“ zu sehen. So beliebt war diese, dass die Wassernutzung in den USA zur Primetime stets messbar zurückging, heißt es am Anfang von „Being the Ricardos“ in einem (gespielten) Doku-Interview mit einem Ex-Produzenten. Eine womöglich wahre Legende, die Aaron Sorkin sicher ganz wehmütig werden lässt. Schließlich hat er mit seiner Polit-Serie „The West Wing“ selbst Fernsehgeschichte geschrieben. Doch die Zeiten, in denen TV-Shows noch ganze Publikumsgenerationen prägen konnten, sind vorbei. Und Sorkin, einer der wenigen prominenten Drehbuchautoren Hollywoods, hat sich inzwischen zum (schreibenden) Regisseur aufgeschwungen. Seine dritte Regiearbeit – die bei uns trotz der relativ großen Präsenz seines letzten Films „The Trial of the Chicago 7“ nie im Kino lief und bereits seit Dezember gestreamt werden kann – wendet sich nun seinem eigenen Ex-Metier zu.

„Being the Ricardos“ blickt hinter die Kulissen von „I Love Lucy“, einer Alltagskomödie über ein reizendes Mittelstandspaar, die von einem echten Ehegespann verkörpert wurden: Lucille Ball (Nicole Kidman) und dem kubanischstämmigen Desi Arnaz (Javier Bardem). Als Fernsehstudio-Kammerspiel gereicht es Sorkins Dialog-Stärke zum Vorteil, inszenatorisch kann er den Hollywood-Klassizisten, denen er nacheifert, immer noch nicht das Wasser reichen. Doch das Geplänkel zwischen Autoren, Produzenten, Darstellern über die Qualität von Pointen und die Hierarchie von Rollen ist vergnüglich genug. Sorkin zeichnet Ball und Arnaz als liebevolles Power-Paar, Rückblenden schildern ihren Werdegang, ihr Eheknacks bahnt sich nur zaghaft an. Kidman gibt Ball als hochintelligente, schlagfertig-schnippische Comedy-Spezialistin, die heute wohl selbst Regie geführt hätte, irgendwo zwischen Kreativkopf und Kontrollfreak verortet. Dafür erhielt sie einen Golden Globe. Und weil sich Sorkin als liberaler Moralist versteht, geht es auch um Balls Konflikte mit der House Un-American Activities Committee der McCarthy-Ära, die den TV-Star kurz unter Kommunismus-Verdacht stellte. Sowie um ihren Einsatz dafür, ihre echte Schwangerschaft auch auf Sendung zeigen zu dürfen. (and)

Swan Song

Mit Mahershala Ali, 2021
Zu sehen auf Apple TV+

Das Sterben ist nicht abgeschafft in der Zukunft, in der das Spielfilmdebüt des irischen Regisseurs Benjamin Cleary spielt. Man kann seinen Liebsten allerdings dank einer experimentellen Prozedur den Verlust ersparen. Und sich durch ein Duplikat ersetzen lassen, bis aufs letzte Molekül nach dem eigenen Vorbild konstruiert und mit sämtlichen bewussten und unbewussten Erinnerungen ausgestattet. Ein ununterscheidbarer Klon.

Mahershala Ali spielt den Familienvater Cameron und seinen Klon überzeugend als zwei Ichs, die nur eine schmerzliche Gewissheit trennt: Einer wird weiterleben, der andere in einem Labor-Hospiz-Komplex inmitten wilder kanadischer Natur sterben. Dass Cameron unheilbar krank ist, darf seine Frau (Naomie Harris) nicht wissen. Sie würde es auch so wollen, hat er für sie entschieden. Auf zarte, nie sentimentale Weise stößt der Film Fragen über Trauer und selbstbestimmtes Sterben an. Und erzählt über die Erinnerungen, die Cameron an seinen Klon überträgt, auch eine berührende Liebesgeschichte. Die technologischen Zukunftsvisionen, die aussehen, als hätten sie Apple und skandinavische Minimalisten gemeinsam designt, fügen sich da aufs Eleganteste ein. (kanu)

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