Tschetschenen-Mord: „Killer“ dachte an Hochzeitsfest

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TschetschenenMord bdquoKillerldquo dachte Hochzeitsfest(c) Michaela Bruckberger
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Die blauäugigen Unschuldsbeteuerungen eines der beiden mutmaßlichen Killer sorgten am dritten Verhandlungstag für ungläubiges Staunen. Dass es schon am 26.November die Urteile gibt, ist höchst unwahrscheinlich.

[Wien]Schon der Hauptangeklagte, Otto K. (42) – ein Tschetschene, der einen österreichischen Namen angenommen hat –, sorgte mit seiner Aussage im Prozess um den Tschetschenen-Mord für Kopfschütteln. Angeklagt als Organisator des Attentats auf den Flüchtling Umar Israilow (27), stellte er sich als schuldloser „Friedensstifter“ in der tschetschenischen Community dar. Doch das Beschuldigten-Trio bot am Donnerstag noch mehr Grund zum Staunen: Turpal-Ali Y. (31), angeklagt als einer der beiden Killer, meinte, er hätte von einem Attentat nichts mitbekommen. Als er am Tatort eintraf, hätte er sich auch nicht gewundert, wenn eine Hochzeit im Gange gewesen wäre.

„Die Tschetschenen sind ein kleines Volk, da hilft man sich gegenseitig“, erklärte Y. den verdutzten Geschworenen. Er sei am 13.Jänner 2009 ohne zu fragen nach Wien Floridsdorf gefahren, weil ihn der Zweitangeklagte darum gebeten habe. Es hätte eben auch eine Hochzeit oder ein Geburtstagsfest im Gange sein können.

Am Ziel angelangt, habe er im Auto abgewartet. Der später auftauchende Letscha B. – laut Anklage der (nach Tschetschenien geflohene) Mann, der die tödlichen Schüsse abgab – und der nunmehrige Hauptangeklagte Otto K. wären ihm bis dahin völlig unbekannt gewesen: „Ich wollte mich in die Angelegenheiten dieser Männer nicht einmischen. Ich wollte nur helfen.“ Und: „Ich bin nicht gekommen, um Waffen einzusetzen.“

Nachdem er längere Zeit gewartet hatte, sei er aus seinem Pkw ausgestiegen und „spazieren gegangen“. Kurz darauf habe er Schüsse gehört „und Letscha ist mir entgegengelaufen“. Weiter: „Nachdem ich gesehen habe, er läuft, habe ich verstanden, es wird geschossen.“ Er habe Angst bekommen – „Ich habe befürchtet, ich bin ein Todeskandidat“ – und sei dann Letscha B. nachgerannt. Dieser habe ihm eine Pistole zugeworfen. „Ich habe die Pistole in eine Mülltonne geworfen.“

Opfer kritisierte den Präsidenten

Laut Anklage ist Y. einer jener beiden Männer, die Israilow verfolgten, um ihn nach Tschetschenien zu entführen. Ihr Plan sei es gewesen, Israilow, einen unbequemen Kritiker des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, zu töten – sollte die Entführung nicht durchführbar sein.

Außer der Aussage von Y. sorgte auch die Chronologie der Verhandlung bei Prozesskiebitzen für Verwunderung, da noch vor der Befragung des Zweitangeklagten Suleyman D. (36) Polizeibeamte, die die Tatortarbeit erledigten, in den Zeugenstand gerufen wurden. Auch Passanten, die voriges Jahr die blutige Verfolgungsjagd mit ansehen mussten, wurden als Zeugen befragt. Nachdem diese ihre Angaben deponiert hatten, wurden Suleyman D. und Turpal-Ali Y. den Zeugen gegenübergestellt.

Ein Mann glaubte in Y. jenen Mann wiederzuerkennen, der mit einer Pistole in der Hand die Leopoldauer Straße entlang gelaufen war und dabei repetiert haben soll, „aber nicht mit hundertprozentiger Sicherheit“. Heute, Freitag, soll das Strafverfahren fortgesetzt werden. Dass es, wie geplant, schon am 26.November die Urteile gibt, ist höchst unwahrscheinlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2010)

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