Exil-Tschetschenen: Angst vor Spitzeln, Rückkehr undenkbar

In Österreich leben 15.000 bis 25.000 Tschetschenen. Die meisten von ihnen sind als Flüchtlinge nach Europa gekommen.

[Wien/som]Das Wort „Tschetschene“ sucht man in der österreichischen Asylstatistik vergeblich. Und das, obwohl laut Verfassungsschutzbericht 2010 die hiesige tschetschenische Diaspora „eine der größten Exilgemeinden“ in Europa sei – mit geschätzten 15.000 bis 25.000 Menschen. Die meisten Tschetschenen sind im Verlauf des Zweiten Tschetschenien-Krieges (1999–2009) als Asylwerber nach Österreich gekommen; in der Statistik gelten sie als „Bürger der russischen Föderation“. Lagen die Anerkennungsraten Anfang der Zehnerjahre bei bis zu 90 Prozent, sind sie mittlerweile auf 30 Prozent gefallen: 1398 von 3559 Bewerbern bekamen 2009 noch den Flüchtlingsstatus zuerkannt.

Die Lage in Tschetschenien habe sich stabilisiert, heißt es in diesem Zusammenhang oft. Auch Republikspräsident Ramsan Kadyrow hat eine Charmeoffensive zur Rückholung seiner über Europa verstreuten Landsleute gestartet. Mit mäßigem Erfolg: Ein Teil der Exil-Tschetschenen waren (und sind) Gegner des Regimes von Kadyrow – etwa Unterstützer eines von Russland unabhängigen, islamistischen „Emirates Kaukasus“ oder Anhänger der gemäßigteren, nationalistisch orientierten Londoner Exilregierung von Achmed Sakajew.

Furcht vor politischer Verfolgung

In der Community geht jedenfalls die Angst vor gegenseitiger Bespitzelung um, man misstraut anderen Tschetschenen. Für viele bleibt eine Rückkehr in die Heimat undenkbar – trotz neuer Straßen und Shoppingcenter in Grosny. Kadyrows Lockruf verhallt ungehört. Sogar der aktuelle Verfassungsschutzbericht notiert: „Für Menschenrechtsaktivisten und Personen, welche das Regime nicht unterstützen bzw. Kritik üben, hat sich die Situation keineswegs verbessert.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2010)

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