Rechtsstaatskrise

Spätes EU-Vorgehen gegen Orbán

Viktor Orbán hat seine Wahl gewonnen – doch in der EU ist er so isoliert wie nie zuvor.
Viktor Orbán hat seine Wahl gewonnen – doch in der EU ist er so isoliert wie nie zuvor.(c) Getty Images
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Die Kommission will ein lang verzögertes Rechtsinstrument gegen den Missbrauch von Unionsmitteln in Ungarn einsetzen.

Brüssel. Der Schock in Brüssel über den klaren Sieg der nationalautoritären, prorussischen Partei Fidesz bei den Parlamentswahlen in Ungarn am vergangenen Sonntag sitzt tief – so tief, dass die Europäische Kommission nach langem Verzögern erstmals ein rechtliches Mittel zu ergreifen ankündigt, das sie eigens für genau diesen ungarischen Problemfall (und jenen Polens) geschaffen hat: die sogenannte Konditionalitätsregelung, ein Mechanismus, der zum Verlust von EU-Subventionen führen kann, wenn nachgewiesen ist, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat die korrekte Verwendung der Mittel aus dem Unionsbudget „hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen“.

„Es ist unsere Schlussfolgerung, dass wir den nächsten Schritt machen müssen“, sagte Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Kommission, am Dienstag vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Haushaltskommissar Johannes Hahn habe die ungarischen Regierungsstellen über die Absicht, die Konditionalitätsregelung zu aktivieren, informiert und werde demnächst das Verfahren per Schreiben beginnen.

Von der Leyens Bremsmanöver

Nach Ansicht der ungarischen Opposition und internationaler Antikorruptionsexperten sind die Indizien dafür erdrückend, dass Ungarn in mehr als einem Jahrzehnt der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán wesentliche rechtsstaatliche Säulen niedergerissen und keinen funktionierenden Schutz dagegen hat, dass EU-Mittel zur Bereicherung der politischen und familiären Entourage Orbáns missbraucht werden. Allen voran sein Schwiegersohn bekommt seit Jahren bei öffentlichen Ausschreibungen selbst dann den Zuschlag, wenn er nicht Bestbieter ist – oder Konkurrenten bewerben sich erst gar nicht, sobald bekannt wird, dass besagter István Tiborcz bietet. Das hat auch schon die EU-Antikorruptionsbehörde Olaf auf den Plan gerufen.

Dieses von oberster staatlicher Stelle organisierte System der Korruption ist auch der Grund dafür, dass die Kommission die Genehmigung des ungarischen Wiederaufbauplans weiterhin verweigert.

Die Kommission reagiert nun allerdings reichlich spät. Ungarn-Experten und das Europaparlament (mit Ausnahme von Orbáns eigenen Abgeordneten und deren rechtsautoritären Verbündeten) hatten monatelange an von der Leyen appelliert, die Konditionalitätsregelung noch vor der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag zu aktivieren. Das hat von der Leyen jedoch beharrlich verhindert. Ihre Berater waren der Ansicht, dies würde der Anti-EU-Opferpropaganda Orbáns in die Hände spielen.

Langes Verfahren droht

Anders als im Rechtsstaatsmechanismus nach Artikel 7 des EU-Vertrages kann Ungarn die Konditionalitätsregelung nicht per Veto verhindern. Der Rat benötigt eine qualifizierte Mehrheit, um einen von der Kommission vorgeschlagenen Durchführungsbeschluss zu ändern. Doch bis die Kommission in diesem Verfahren so weit kommt, werden noch viele Monate vergehen. Selbst dann ist unklar, ob die Brüsseler Behörde signifikante Förderbeträge zu sperren vorschlägt oder nur symbolische Summen. Und zudem wird Ungarn dagegen sicher beim Gerichtshof der EU Beschwerde führen.

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