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Filme zum 1. Mai: Freundschaft in der „Factory“

Streamingtipps. Das Kino schätzt die werktätige Klasse, als Publikum und als Protagonist. Unser Sichtungskatalog zum Tag der Arbeit zeigt, wie es „Working Life“ in Szene setzt – anhand von fünf Leitmotiven.

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Kampf

Auf den Barrikaden

Der Ursprung des internationalen Tags der Arbeit liegt im Kampf begründet – namentlich in Kämpfen für eine Deckelung der Arbeitszeit, die schon im 19. Jahrhundert, ausgehend von der amerikanischen Arbeiterbewegung, mit einem Jahrestag am 1. Mai bedacht wurden. Anfangs war dieses Andenken nicht nur symbolisch, man rief zu Demonstrationen und zum Generalstreik auf. Aber kaum so martialisch, wie der Begriff „Kampf“ impliziert. Auch im Kino haben Arbeitskämpfe selten den revolutionären Furor von Sergei Eisensteins „Streik“ (1925, Youtube). Bevorzugte Waffen sind Pathos und Humor. Wenn sich Vincent Lindon als Belegschaftssprecher „En guerre“ (Apple TV+, ab 3,99) befindet, dann in erster Linie verbal. Und wenn Michael Ostrowski sich in „Die Werkstürmer“ (Kino VOD Club, € 4,90) zum Gewerkschafter aufschwingt, dann primär, um seine Exfreundin zu beeindrucken. Schneid und Schmäh zu vereinen wissen indes vor allem die Frauen. Etwa im Emanzipationsdrama „Made in Dagenham“ (Amazon) über aufbegehrende Näherinnen. Oder in der Komödie „Nine to Five“ (Disney+), worin sich Jane Fonda, Dolly Parton und Lily Tomlin als Sekretärinnen gegen ihren Chef verschwören. Und, unvergessen: Sally Field in „Norma Rae“ (Apple TV+, € 3,99).

Krise

Im Tal der Tränen

Von der Krise als Chance sprechen Arbeiter ungern. Dabei schärft sie oft den Blick für ihre Anliegen. Und macht sie zu beliebten Kinohelden. Nicht nur in etlichen Filmen des britischen Sozialrealisten Ken Loach – zuletzt etwa „Sorry We Missed You“ (Mubi), über den harten Alltag eines Kurierfahrers. Slatan Dudow und Bertolt Brecht inspirierte die Weltwirtschaftskrise 1932 im linken Agit-Prop-Experiment „Kuhle Wampe“ (diverse Anbieter, ab € 3,99) zu avantgardistischen Höhenflügen. Und die arbeitslosen Sheffielder Stahlstädter in „Ganz oder gar nicht“ (Disney+) zur Selbstständigkeit – als strippende Showmen. Weniger optimistisch zeigt sich Martin Scorsese in seinem wenig bekannten Frühwerk „Boxcar Bertha“ (Sky): Barbara Hershey wird hier in der Titelrolle während der Großen Depression in den USA mit Zwangsarbeit konfrontiert.

Klasse

Aus Sicht der Schicht

Obwohl Autoren wie Didier Eribon und Édouard Louis die sprichwörtliche „Klassenfrage“ wieder verstärkt aufs europäische Diskurstapet gebracht haben, erörterten sie diese fast nur im nationalen Zusammenhang. Die größte, weil nicht nur ökonomische Bürde tragen hierbei aber die, die man einst zynisch „Gastarbeiter“ nannte. Wie die türkischen Arbeitsmigranten, die in Kenan Kiliçs „Gurbet – In der Fremde“ (Kino VOD Club, € 4,90) aus ihrem Leben in Österreich berichten. Oder die Bauarbeiter aus Dakar, denen in Mati Diops düster poetischem „Atlantique“ (Netflix) der Lohn verwehrt wird – und die daraufhin nach Spanien aufbrechen, über das tiefe und hungrige Meer. In Alan Yangs Familienepos „Tigertail“ (Netflix) ist es hingegen ein junges Paar aus Taiwan, das, gebeutelt von schwerer Fabriksarbeit in ihrer Heimat, Amerika anpeilt.

Freundschaft

Im Sinn der Solidarität

Der traditionelle Sozialistengruß verliert viel von seiner altvaterischen Abgeschmacktheit, wenn man ihn wörtlich nimmt: Letztlich ist „Freundschaft“ schlicht ein Angebot, für Mit-Arbeiter da zu sein. Und das greift nicht nur in der Kohlemine, sondern auch in einem Diner in Texas, wo Regina Hall in Andrew Bujalskis Dramödie „Support the Girls“ (diverse Anbieter, ab € 2,99) als resolute Vorarbeiterin einen Trupp junger Kellnerinnen zusammenhält. Oder im „Office Space“ (Disney+), wo der Büroalltag muntere Männer mürbe macht.

Fabrik

An der Werkbank

Laut Brecht kann aus der Fotografie einer Fabrik „keinerlei Ansicht über diese Fabrik gewonnen werden“, weil sie „den Zusammenhang wegschminkt“. Ob man d'accord ist oder nicht: Dem Laufbild stehen weit mehr künstlerische Möglichkeiten zur Verfügung, um Zusammenhänge zu erhellen. Zwar erscheint die Fabrik im Kino oft als Moloch, der Arbeiter schluckt und ausspuckt wie in Bruce Springsteens Ballade „Factory“. Doch schon der berühmte frühe Kurzfilm „Arbeiter verlassen die Lumière-Werke“ (1895) bietet mehr Spielraum für Interpretation.

Spätestens seit den 1960er-Jahren ist die Fabrik im Film auch ein Ort, wo gelebt, geliebt, gestritten und konspiriert wird, etwa in Jean-Luc Godards „Tout Va Bien“ (La Cinetek, € 2,99). Oder im überbordenden portugiesischen Drama „A Fábrica de Nada“ (Mubi), das sogar mit Musical-Einlagen aufwartet. In der (von Barack Obamas Produktionsfirma gestützten) Doku „American Factory“ (Netflix) wird ein chinesisches Autowerk in Ohio zum Sinnbild für Herausforderungen der Globalisierung. Und in der Kurzdoku „Factory“ (Mubi) zeigt Sergei Loznitsa, bekannt für die Ukraine-Filme „Maidan“ und „Donbass“, trügerisch einfache Szenen aus einem Stahl- und Tonwerk im Ural.

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