Redebedarf

Servus, Gruezi und digital Hallo

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Vlogger with headphones waving hand at camera on tripod model released property released, JAQF01026(c) imago images/Westend61 (Josu Acosta via www.imago-images.de)
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100 Rätsel der Kommunikation, Folge 2: Wie grüßt man digital im Wirtshaus in die Runde? Hand heben und „Ich mach mal so“ sagen. Schon sind alle mitgemeint.

Man darf nicht gleich so anti-digital sein. Wir haben ja jetzt auch einen Digitalisierungs-Staatssekretär. Ein bisschen Respekt bitte vor Bits, Bytes, Clouds, Algorithmen und all jenen Dingen, die ich nie verstehen werde. Die sind sicher ziemlich wichtig, weil sonst würde nicht jede Woche die Bank bei mir anrufen und fragen, ob ich ihre App eh schon auf meinem Handy installiert habe. Hab ich nicht. Weil als nächstes kommen Chips unter die Haut, hab' ich auf einer vertrauenswürdigen Website gelesen. So weit, kommt’s noch. Zuerst nehmen uns Bank Austria, ÖBB, Zalando und Konsorten die Filialen, Fahrscheinautomaten und Geschäfte weg, nur damit sie dann mit uns am Handy überall mitmarschieren. Sogar ins Wirtshaus am Abend zum Freunde treffen.

„Digital“ und am Tisch miteinander reden passt ja nicht gar so gut zusammen. Vor allem, seitdem die Menschen den digitalen Gruß im analogen Wirtshaus eingeführt haben. Bevorzugt dann, wenn sie zu einer größeren Gruppe dazu stoßen. Grüßen, das war für die meisten ohnehin ein etwas ungelenkes Thema, außer man ist seit dem Kindergarten miteinander befreundet oder verheiratet. Man wusste ja nie genau, wie viel Bussis auf welcher Seite und wie oft man dem anderen beim Umarmen unbeholfen auf die Schulter klopfen soll. Denn klopft man zu wenig, könnte das dem Gegenüber signalisieren, dass in der Beziehung zueinander etwas nicht stimmt. Zu oft geklopft könnte bedeuten, dass man einfach nicht genau weiß, wann man aufhören soll mit dem Klopfen. Und wenn man gar nicht klopft, ist man unsicher, ob nicht gerade wieder Klopfen auch zwischen Unbekannten angesagt ist.

Corona war ein Segen für all diese Bredouillen. Einfach nicht begegnen, das war die Lösung. Wer sich nicht trifft, muss sich nicht grüßen. Und wenn man sich dann doch über den Weg lief, war die Gruppengröße meist überschaubar, man fragte sich eben sicherheitshalber „Wie machen wir?“, bevor man meist gar nichts machte. Meist schwieg man einfach ein wenig betreten über diese Sekunden hinweg, in der der andere sonst „Hahaha, bei uns in der Schweiz macht man dreimal“ gestammelt hätte.

Von der Pandemie vor sozialen Begegnungen gut geschützt und vom Laptop-Bildschirm von allen anderen Bedrohungen auch gut isoliert, wusste man beim Zoom-Aperitivo mit Arbeitskollegen, was zu tun war: Man musste nicht viel mehr tun als ungelenk die Hand heben, so ähnlich wie Pfadfinder glauben, dass sie aussehen müssen, wenn sie auf ihr Pfadfinderehrenwort schwören. Im Zweifelsfall konnte man die Hand noch ein wenig hin- und herbewegen, aber ja nicht zu beherzt, damit es nicht so aussieht, als würde irgendwo im Raum gerade ein Zug abfahren. Gar nicht so einfach also, sich im digitalen Raum souverän zu grüßen. Da wünschte man sich doch fast wieder jemanden herbei, dem man ungefragt und aufdringlich um den Hals fallen könnte. 

Liebe Anwesende

Doch das digitale Winken-Slash-Handheben ist ja vor allem dann praktisch, wenn es möglichst vielen gleichzeitig gilt. Eine Geste für alle, das muss reichen. Wer’s nicht gesehen hat, selber schuld. Der „Liebe alle“-Moment beim E-Mail-Schreiben ist ja der schönste seit der Digitalisierung der Kommunikation. Vor allem, wenn man sich analog einsam fühlt, hat man alle digital gleichzeitig umarmt, wie schön. Das CC-Setzen von allen anderen, die es auch nicht unbedingt etwas angeht, aber vielleicht doch, gehört dann zur zweitwichtigsten Errungenschaft. Ich weiß alles von allen, ich weiß nur nicht, ob ich das alles wissen will.

Und nun hat sich folgendes Phänomen entwickelt, schon lange vor pandemischen Zoom-Zusammenkünften: Menschen stoßen zu einer größeren Gruppe, die sich bereits am Tisch vergemeinschaftet hat. Jetzt grüßen sie in die Runde hinein, als hätten sie digital in einer WhatsApp-Gruppe Platz genommen. Dazu platzieren sie sich gut sichtbar vor dem Tisch, als wären sie selbst eine interessante Betreff-Zeile, heben die Hand und lassen sie bedächtig kreisen. Aber nur einmal. Als würde man mit einem unsichtbaren Fensterputztuch einen Fleck von einer Scheibe wischen. Eine große, inklusive Geste, die alle mitmeint, die alle im analogen Raum cc-setzt, die nicht gerade lieber in ihr Bier geschaut haben.

Dabei sagen die grüßenden Menschen oft Worte wie: „Ich mach jetzt mal so“. Das ist das neue „Hallo“. Was nur in Gedanken formuliert wird, hingegen, ist: „Puuh, bin ich froh, dass ich euch allen nicht die Hand schütteln muss, wer seid ihr überhaupt da hinten. Eh wurscht. Solange bleib ich eh nicht“. Ein herzlicher Gruß aus der digitalen Welt an den analogen Tisch. Man erspart sich Hände schütteln, Augenkontakt, Fragen nach dem Befinden, auf die man eh keine Antworten will, man muss sich keine Namen von Unbekannten merken, die man womöglich falsch ausspricht, weil ja nicht mehr alle Franz und Susi heißen. Und überhaupt: Wer weiß, ob das nicht Schweizer sind. Wie oft war das nochmal auf der Wange? Da wünscht man sich die Tischgenossen und –genossinnen fast wieder zurück in die digitalen zweidimensionalen Kacheln beim Zoom-Meeting. Vielleicht hat man ja Glück und darf am Rand sitzen. Und vielleicht fällt es den anderen ja auch dann erst auf, dass man nicht mehr da ist, wenn irgendwo steht: „… hat die Gruppe verlassen“.

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