Leitartikel

Papst Franziskus weckt Hoffnungen, die er nicht erfüllen kann – und will

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Ein bedrängter Pontifex, eine bedrängte Kirche: Zehn Jahre im Amt ist er von Bewahrern wie Reformern unter Druck. Deutschland sorgt für einen Affront.

Und jetzt zur Abwechslung wieder einmal die Zölibatsdebatte. Die wievielttausendste eigentlich? Neu entfacht wurde sie soeben von niemand Geringerem als dem irdischen Chef der Katholiken persönlich. Dabei hat Papst Franziskus in einem Interview relativ Unspektakuläres, man könnte sogar sagen Banales, gesagt.

Ja, der Zölibat könne geändert werden, meinte er im Plauderton. Tatsächlich, verheiratete Priester gibt es in den mit Rom unierten Ostkirchen, es gibt deren Kleriker vereinzelt in österreichischen Pfarrhäusern, und es amtiert hier ein früherer evangelischer Pfarrer, der mit Frau und Kindern zu den Katholiken übergelaufen ist.

Papst Franziskus hat etwas gesagt, was für alle, die nur einigermaßen über die Kirche informiert sind (das werden immer weniger), weder rasend neu noch sonderlich aufregend ist. Er könnte mit seiner Unterschrift jederzeit die Zölibatsverpflichtung streichen. Wenn er denn will.

Er hat bei vielen in West- und Nordeuropa, die den Bischof von Rom als Projektionsfläche ihrer Wünsche sehen, Hoffnungen geweckt. Der Papst weckt gern Hoffnungen, die er nicht erfüllen kann – und die er nicht erfüllen will. Er hat bisher im Grunde Unausweichliches getan: die Finanzen des Vatikans sanieren lassen, die Vatikan-Bank von krummen Geschäften befreit, die Kurie reorganisiert, Laien und sogar Frauen in wichtige Positionen der Zentrale gehievt. Aber theologisch ist der Jesuit aus dem fernen Argentinien alles andere als fortschrittlich. Daher ist Papst Franziskus nicht nur durch Konservative weiter unter Druck, sondern zunehmend auch durch Progressive.

Am Montag ist er genau zehn Jahre im Amt. Zehn Jahre! Sechs Bundeskanzler (inklusive der Kurzzeit-Amtsträger Brigitte Bierlein, Alexander Schallenberg) hat die Republik Österreich in dieser Zeit gesehen. Franziskus' Beliebtheit beim Kirchenvolk, wie sie sich bei Generalaudienzen, Großmessen, Reisen zeigt, scheint nicht verblasst. Aber der Papst nähert sich am Beginn des zweiten Jahrzehnts des Pontifikats einer Wegkreuzung: Geht er (weiter) in Richtung Reformen, oder lässt er es gut sein.

Die Kritik an ihm von konservativer Seite ist auch nach dem Tod von Vorgänger Benedikt nicht verstummt. Der Ex-Papst war eine Art Kristallisationsfigur für all jene, denen Franziskus nicht passt: Weil er so anders, ohne Pomp und Glorie auftritt als alle anderen Päpste, spricht, „wie ihm der Schnabel gewachsen ist“ (Kardinal Christoph Schönborn 2015 in der „Presse“), Positionen zu Wirtschaft und Migration einnimmt, die im politischen Spektrum links verortet werden.

Kurz zu Letzterem: Da sollten vielleicht Unzufriedene die 1991 veröffentlichte Sozialenzyklika Centesimus Annus von Johannes Paul II. einer Lektüre oder Re-Lektüre unterziehen. Franziskus bewegt sich in dieser Spur, vielleicht nur weniger theologisch-philosophisch, weniger vorsichtig formulierend.

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