Presseschau zu weißen Titelseiten: Protest gegen ORF als "staatliches Freibier-Produkt"

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++ THEMENBILD ++ TAG DER PRESSEFREIHEIT: TITELSEITEN HEIMISCHER ZEITUNGEN BLIEBEN LEER(c) APA (HELMUT FOHRINGER)
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Die Verlage fordern eine Überarbeitung der geplanten ORF-Gesetzesnovellen. In Leitartikeln und Kommentaren beziehen Tageszeitungen und Zeitschriften Stellung.

Leer sind die Titelseiten von Österreichs Tageszeitungen am "Tag der Pressefreiheit" am Mittwoch geblieben – im Protest gegen die geplanten ORF-Novellen, die dem ORF mehr Rechte im digitalen Raum geben und ihn finanziell mittels „ORF-Beitrag“ für jeden Haushalt absichern. Die im Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) vertretenen Printmedien haben sich mit einem gemeinsamen Schreiben an Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), die Mitglieder der Bundesregierung sowie den Nationalrat gewandt – und in ihren Leitartikeln auch an ihre Leser. Nicht leer blieb hingegen die Titelseite der Tageszeitung "Österreich", die mit der Schlagzeile "Stoppt die ORF Steuer" eine Petition gegen die vorgesehene Haushaltsabgabe gestartet hat. 

„Presse“-Chefredakteur Florian Asamer machte ein Gedankenexperiment und fragte: „Wer will die "Zeit im Bild" hinter der Paywall sehen?“ (hier zum vollständigen Leitartikel).

Zitate aus den Leitartikel anderer Zeitungen und Zeitschriften in der Presseschau:

„Profil“, Chefredakteurin Anna Thalhammer

„Der ORF breitet sich seit Jahren wie eine Krake auf dem Markt aus, will alles machen, alles dürfen – und das am besten von der Allgemeinheit finanziert. Das Argument: ,Die Leute sollen für ihr Geld auch etwas bekommen.' Private Medien können da nicht mithalten, wenn die Branche - politisch befeuert - weiter ausblutet, wird es noch schwieriger. (…) Ein Blick in die Medienlandschaft Europas zeigt: Dort wo die Öffentlich-Rechtlichen einen klaren Auftrag mit klaren Grenzen haben, besteht Medienvielfalt. Da, wo das nicht so ist, gibt es eine Übermacht des Öffentlich-Rechtlichen und einiger großer Boulevardmedien. Der Rest vegetiert in wirtschaftlich schwierigen Zeiten vor sich hin. Freilich weiß das die Politik. Vielleicht will man auch bewusst jene Medien stärken, wo der politische Einfluss bisher gut funktioniert hat? Warum wurden die politisch besetzten Gremien des ORF, wie der Stiftungsrat, wieder nicht angegriffen, wenn es doch angeblich um mehr Unabhängigkeit geht? Die Wahrheit ist: Weil die Parteien, die an der Macht sind, daran hängen. Und die anderen hoffen, bald wieder am Futtertrog zu sein.“

>> Zum vollständigen Artikel: David gegen Goliath: Wenn der ORF allmächtig wird

„Kleine Zeitung“, Chefredakteur Hubert Patterer:

„Es geht – auch hier – um das Prinzip fairen Wettbewerbs: Zeitungen können ihre aufwendig erstellten digitalen Inhalte nicht verschenken. Sie können nicht – weder aus Selbstachtung noch aus ökonomischer Vernunft – frei zugänglich sein wie sämtliche Texte der ORF-Website, erstellt von einer hundertköpfigen Redaktion. Ohne Bezahlmodelle ist qualitativer Journalismus auf Dauer nicht refinanzierbar. Er stößt jetzt schon an Grenzen. Vor diesem Hintergrund ist orf.at eine politisch hingenommene Gefährdung der Zeitungen. Weniger das Produkt selbst, sondern dessen öffentlich gestützter freier Zugang. Es ist ein staatliches Freibier-Produkt.“

>> Zum vollständigen Artikel: Das neue ORF-Gesetz: Ein ordnungspolitischer Amoklauf gegen die Meinungspluralität

„Die Furche“, Redakteur Otto Friedrich:

„Die Transformationen, die Medien aller Art zurzeit erleben und erleiden, würden eine politische wie gesellschaftliche Diskussion der Sonderklasse verlangen. Denn Medien müssen existieren und Journalist(inn)en von etwas leben können. Klassische Erlösmodelle sind jedoch weggebrochen – die Werbung etwa wird von den internationalen Technologiegiganten abgesaugt. Und von Medienkonsumen­t(inn)en Einnahmen zu lukrieren, wenn sie nicht dazu gezwungen sind (z. B. via Haushaltsabgabe), bleibt extrem herausfordernd. Dass die „Kleinen“ im Konzert der Medien, die für ihre Inhalte Bezahlung benötigen, dann aufschreien, wenn öffentlich ­finanzierte, gleichartige Angebote des ORF ,gratis' sind, sollte nicht verwundern.“

>> Zum vollständigen Artikel: Pressefreiheit und Medienvielfalt: Politisches Irrlichtern

„Kurier“, Chefredakteurin Martina Salomon

„Aus Angst der Politik vor der größten, von allen Bürgern finanzierten Medienorgel des Landes wagte niemand, heikle Fragen zu stellen: Braucht es 2023 – hundert Jahre nach der ersten staatlichen Radio-Lizenz – noch immer einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der deutlich mehr als das Zehnfache der Förderung aller privaten Zeitungsunternehmen zusammen erhält? Wenn ja, was genau muss er leisten? Und warum? Gibt es Teile, die man privatisieren könnte (etwa die rein kommerziellen Sender ORF 1 oder Ö3)? Darf in Sendungen eines zur Objektivität verpflichteten Rundfunks politisch agitiert werden? Und müssen Gratiszeitungen eigentlich mit Regierungsgeld am Leben erhalten werden?“

>> Zum vollständigen Artikel: Totengräber der Medienvielfalt

„Kronen Zeitung“, Redakteur Klaus Hermann in einem „Brief an die Leser“

„Während die Luft für die Zeitungsverlage immer dünner wird, darf sich doch das im Staatseinfluss stehende „öffentlich-rechtliche“ Medium wie ein Krake noch immer weiter ausbreiten. Dagegen protestieren auch wir heute mit einer leeren Titelseite. Damit nicht dereinst alle Seiten leer bleiben müssen!“

>> Zum vollständigen Artikel: Weiße Titelseite

„Standard“, Chefredakteur Martin Kotynek

„Es muss in Österreich möglich sein, dass ein Medium auch künftig existieren kann, das sich an die Regeln hält, bei krummen Inseratendeals nicht mitmacht, medienethisch korrekt arbeitet, in Qualität investiert, sich laufend digitalisiert sowie hohe Reichweite und Relevanz auf dem Markt genießt. Geschieht das nicht, wird es weniger Journalisten und damit weniger Journalismus geben. Die Kürzungen in den Redaktions-Etats mehrerer Medien waren erst der Anfang. Manche Medien werden danach nur noch ein Schatten ihrer selbst sein. Dem gegenüber wird ein ORF stehen, der zwar finanziell abgesichert, aber im Stiftungsrat nicht entpolitisiert wurde.“

>> Zum vollständigen Artikel: Aufschrei der Redaktionen: Warum die ORF-Reform die Medienvielfalt zerstört

„Heute“, Chefredakteur Christian Nusser

„Alles in allem wird der ORF über eine Milliarde verfügen. Im Konzertsaal Öffentlichkeit bedient er in Hinkunft eine goldene Orgel, der Rest der Branche spielt Schifferklavier. Das kann nicht einmal im Sinn des ORF sein. (…) Für Private bleibt da kaum Markt übrig. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel? Wie sollen Redaktionen finanziert werden? Das wird zum schleichenden Tod vieler Angebote führen – Print, im Web. News kommen dann von Facebook, Telegram, einer KI. Das kann man mit Achselzucken zur Kenntnis nehmen oder für eine Bedrohung der Demokratie halten.“

>> Zum vollständigen Artikel: Körberlgeld – Regierung baut dem ORF eine goldene Orgel

„Wiener Zeitung“, stv. Chefredakteurin Judith Belfkih

„Das vorige Woche im Nationalrat beschlossene Gesetz, welches das Aus der "Wiener Zeitung" als Tageszeitung besiegelt, ist nur der Anfang einer fatalen Kettenreaktion. Von der jüngst vorgestellten ORF-Novelle ist indirekt der gesamte Medienstandort bedroht. Die Relevanz eines starken, unabhängigen ORF steht außer Frage. Durch die Mehreinnahmen aus der neuen ORF-Haushaltsabgabe in Millionenhöhe wird aber einzig der ORF abgesichert - und nicht der um seine Finanzierung kämpfende Qualitätsjournalismus an sich.“

>> Zum vollständigen Artikel: Weil es zu spät sein wird

„Tiroler Tageszeitung“, Chefredakteure Marco Witting und Matthias Krapf

„Türkis-Grün hat sich festgelegt: Zuerst kommt der ORF und dann lange nichts. Es fällt schwer, die nun in Begutachtung befindliche Novelle des ORF-Gesetzes als etwas anderes zu lesen als das, was sie ist: die in den Parteizentralen von ÖVP und Grünen ausgeheckte Strategie, die Dominanz des mit Abstand größten Medienkonzerns des Landes noch weiter auszubauen. Nach der Devise: Warum sich mit Zeitungen sowie Radio- und Fernsehstationen in privater Hand herumärgern, wenn man dank Stiftungsrat und Co. die Geschicke der größten Medienorgel des Landes lenken kann?“

>> Zum vollständigen Artikel: Zum Tag der Pressefreiheit: Zuerst kommt der ORF und dann lange nichts

„Salzburger Nachrichten“, Chefredakteur Manfred Perterer

„Die Bundesregierung hat in den neuen ORF-Gesetzen alles Mögliche geregelt, nur nicht das Wesentliche: Wie schalte ich politischen Einfluss auf das größte Medienunternehmen des Landes aus?"

>> Zum vollständigen Artikel: Die Pressefreiheit, die wir meinen

„Vorarlberger Nachrichten“, Chefredakteur Gerold Riedmann

„Das beabsichtigte ORF-Gesetz verunmöglicht ein Gleichgewicht am Medienstandort Österreich und wird dazu führen, dass abseits des übermächtigen ORF der Medienmarkt austrocknet und Nachrichtenwüsten entstehen: ein einziger Anbieter. Und daneben keine freie, unabhängige Presse, die überleben kann. Das beabsichtigte ORF-Gesetz ist ein demokratiefeindliches Gesetz einer schwachen Regierung in ihren Ausläufern."

>> Zum vollständigen Artikel: Nachrichtenwüste abseits des blühenden ORF: Demokratie in Gefahr

(Red.)

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