Gian Franco Kasper: "Skifahren ist eindeutig zu teuer"

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bdquoSkifahren eindeutig teuerldquo(c) AP (Kerstin Joensson)
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FIS-Präsident Gian Franco Kasper sieht die Zukunft des Skifahrens im (Fernen) Osten. Die Skiorte und Touristiker im Alpenraum warnt der Schweizer, Skifahrer nicht als Melkkühe zu missbrauchen.

Die Presse: Was kann die FIS von der WM in Garmisch-Partenkirchen mitnehmen?

Gian Franco Kasper: Wir hatten eine hochstehende WM, ein Publikum, das super mitgegangen ist, eine gute Eröffnungszeremonie mit Frau Merkel – das hilft politisch in diesem Land – und am ersten Tag eine deutsche Medaille, das hat die Stimmung angeheizt. Alle wesentlichen Skinationen sind mit Medaillen bedient worden, das ist immer wichtig für uns. Jetzt hat auch noch Frankreich zugeschlagen.

Die Schweiz hat aber nur eine Medaille gewonnen.

Die Schweizer haben eine Medaille, der Fall ist erledigt.

Von den Pisten her hat es sich gelohnt, dass man bereits im November zu beschneien und vereisen begonnen hat, sodass alles gehalten hat. Naturschnee gab es ja so gut wie gar keinen. Die Piste war am Anfang hart und eisig, die Hälfte der Athleten hat aber noch immer ausgerufen, sie ist zu weich. Das ist Geschmackssache. Wir sind ohne größere Unfälle durchgekommen, gewisse Unfälle sind nicht zu vermeiden im Skisport.

Der Teambewerb wurde vorab heftig kritisiert. Wie haben Sie ihn erlebt?

Es war von der Stimmung und der Spannung her der beste Bewerb. Es ist nicht jedermanns Sache. Aber manche Nationen haben sich an den Kopf gegriffen, dass sie nicht die Allerbesten dabei hatten. Im Sport – nicht in der Politik – sind die chauvinistischen Sachen sicher positiv.

Wird an neuen Formaten gebastelt, die zeitnah auf die Piste kommen könnten?

Formate gibt es tausende. Beim Slalom etwa, drei Läufe zu fahren und nur zwei zu werten oder zwei zu fahren und einen zu werten. Oder zwei Slalomläufe direkt hintereinander ohne Unterbrechung, wie wir das im Europacup ausprobiert haben.

Ist das Festhalten an der Superkombination ein Bekenntnis, Allrounder, komplette Skifahrer zu fördern?

Wenn sie die Geschichte der ganz großen Rennläufer anschauen, waren das alles Kombinierer. Killy, Schranz, Sailer, Zurbriggen. Das waren die ganz großen auch für das Publikum. Und: Es gab Nationen, die wegen der Superkombination wieder zurück in die Abfahrt gekommen sind, Slowenien zum Beispiel. Die nationalen Verbände sind gegen die Abschaffung, weil das würde bedeuten: weniger Weltcuppunkte und weniger Medaillen.

Die FIS ist ja auch für den Breitensport zuständig. In welche Richtung arbeitet sie: in Erschließung neuer Märkte oder Sicherung des Marktes in den Kernländern?

Wir sind zu 99,9 Prozent für den Breitensport da. Und als Werbeinstrument für den Publikumsskilauf haben wir den Weltcup. Darum haben wir auch große Kampagnen wie „Bring children to the snow“ oder den „World snow day“. Wir wollen möglichst viele Menschen auf die Piste holen. Die Entwicklung geht im Moment aber eindeutig Richtung Osten. In der ehemaligen Sowjetunion werden – durch Oligarchen vornehmlich – enorme Gelder investiert. Sobald diese modern ausgestatteten Orte etabliert sind, wird auch Geld in die Skimannschaften gesteckt, das macht den Weltcup bunter. Sarajewo, Bansko, Sotschi kommen dazu. Wir haben eine sehr rasante Entwicklung in China mit rund 200 Skiorten. Über kurz oder lang werden wir dort Weltcup fahren.

Gibt es Zahlen, wie viele Chinesen Ski fahren?

Ich habe nie welche bekommen. Es sollen zwei, drei Millionen sein. Wir wären zufrieden, wenn ein Prozent der Chinesen Ski fahren würde. Aber auch Osteuropa entwickelt sich. Wer darunter leiden wird, das sind natürlich die Basisländer Deutschland, Schweiz, Italien, Österreich, die werden Rennen abgeben müssen.

In Österreicher fahren ohnedies immer weniger Leute Ski. Ist der Sport zu teuer?

Ja, eindeutig. Wir haben deshalb eine Kampagne gestartet, dass Liftbetreiber alle Kinder bis zwölf oder bis 16 Jahren gratis Ski fahren lassen. Langfristig ist das in ihrem ureigensten Interesse. Denn diese Leute kommen wieder zurück und Zwölfjährigen kommen sowieso mit ihren Eltern, die Tickets kaufen müssen. Es gibt ja schon einige Ort in Tirol, die dabei mitspielen. Nicht nur die Ausrüstung, auch der touristische Teil des Skifahrens kostet sehr viel Geld. Man geht viel eher in die Karibik auf Urlaub als in den Schnee.

Ist ein Ausstieg aus der Kostenspirale möglich? Viele Skigebiete haben viel in Hotellerie und Beförderungsanlagen investiert.

Ich hoffe, mit diesen Gratisfahrten lässt sich was machen. Es hilft uns aber, wenn den Orten und den Touristikern bewusst wird: Achtung, hier kann man die Kuh nicht mehr allzu sehr melken.

Bei all den schweren Unfällen im Weltcup darf man es den Eltern aber auch nicht verübeln, wenn sie ihr Kinder nicht auf die Piste schicken, oder?

Wenn sich ein 16-Jähriger ein Moped kauft, dann ist das auch ein Risiko. Aber es ist natürlich ungut, wenn wir Unfälle haben. Viele sagen: „Ihr provoziert, weil das die Fernsehquoten hebt.“ Aber Sie können mir glauben: Mir wären keine Unfälle und tiefere Quoten lieber als Unfälle und höhere Quoten.

ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hat nach dem Unfall von Benjamin Raich einen Feind ausgemacht: die breiten Skier.

Wenn das der Feind wäre, würden wir ihn morgen Früh ausmerzen. Die Hälfte der Athleten sagt, wir müssen noch breiter, die andere Hälfte sagt, wir müssen schmäler werden. Benjamin Raich war immer einer, der schmälere Skier haben wollte. Wir diskutieren das seit zehn Jahren. Wir haben viele Fortschritte auf der Piste gemacht: Fangzäune etc. Aber die Unfallserie, die wir heuer hatten, vor allem in Österreich, hat die Diskussion wieder angeheizt. Umso mehr, als die Unfälle vor laufender Kamera passiert sind.

Wir arbeiten seit fünf Jahren mit drei Universitäten, wir haben zusätzlich eine Sicherheitsgruppe aus ehemaligen Athleten und wir haben diesen Winter die Vorläufer verkabelt von Kopf bis Fuß – auch das wird eine riesige Datenflut bringen. Aber Daten zu haben ist das eine, neue Erkenntnisse zu gewinnen, etwas anderes. Eine Alibiübung zu machen, hat keinen Sinn.

Zur Person

Gian Franco Kasper (*24. Januar 1944 in St. Moritz) ist seit 1998 Präsident des internationalen Skiverbandes FIS. Seit September 2000 ist er Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees.
Kasper studierte Psychologie, Philosophie und Journalismus an der Universität Zürich. [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2011)

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