Christchurch: Größer und stärker als zuvor!

Christchurch Groesser staerker zuvor
Christchurch Groesser staerker zuvor(c) REUTERS (SIMON BAKER)
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Neuseeland, der liebliche Inselstaat, wurde von dem Erdbeben in Christchurch arg gebeutelt. Aber die kleine Nation am Rand der Welt wird's packen. Man jammert hier auch nicht so.

Am Tag nach dem großen Beben vom Dienstag sprach Neuseelands Premierminister John Key aufmunternde Worte: „Christchurch, das ist nicht dein Test. Das ist Neuseelands Test.“ Er spiegelte das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner seines Inselstaats im Südwestpazifik perfekt wider: „We are all in this together“ – dabei handelt es sich um eines der Lebensmottos der rund 4,4 Millionen „Kiwis“.

Und so wurden schon Stunden nach dem Beben, das Christchurch auf der Südinsel traf – mit rund 380.000 Bewohnern die zweitgrößte Stadt nach Auckland auf der Nordinsel –, Bettenbörsen im Internet eingerichtet, Klappbetten abgestaubt und Zelte aufgestellt. Wer noch Strom hat, kocht für jene, die nichts mehr haben. Die nationale Fluglinie Air New Zealand strich viele Flüge, um denen, die Christchurch und Umgebung verlassen wollen, 2500 Extrasitze pro Tag zur Verfügung stellen und sie auszufliegen zu können – um nur 25 Euro pro Ticket.

Man duscht halt im Rugby-Klub. Ein Stromerzeuger hat umgerechnet 1,6Millionen Euro für den Wiederaufbau von Stromleitungen gespendet – das ist für eine Firma dieses kleinen Landes eine ziemliche Summe. Supermärkte und Tante-Emma-Läden geben gratis Essen an Helfer aus, Rugby-Klubs stellen ihre Duschen zur Verfügung. Man hält zusammen, die Hilfsbereitschaft ist überwältigend.

Erdbeben sind freilich Teil des Lebens hier. Grund ist Neuseelands Lage über der instabilen Verwerfungslinie der Pazifischen und der Australischen Platte. Pro Jahr bebt es 10.000 bis 15.000 Mal, aber nur 100 bis 150 Beben spürt man. Von 1992 bis 2007 durchlebten die Kiwis 30 größere Beben mit einer Stärke von 6,0 nach Richter oder mehr. Und schließlich hat man neben zahlreichen heißen Quellen auch aktive Vulkane, die momentan still vor sich hinschlummern – aber jederzeit ausbrechen können.

In Neuseeland weiß man mit der konstanten Gefahr von unten umzugehen. Infobroschüren, Radio- und TV-Werbungen des Verteidigungsministeriums über das richtige Verhalten im Notfall sind omnipräsent. So finden sich etwa auf der ersten Seite des Telefonbuchs entsprechende Informationen abgedruckt: Man solle einen Vorrat an Trinkwasser und Dosenfutter sowie Decken, Taschenlampen und Radios in einer Kiste griffbereit haben, um im Notfall entweder flüchten oder drei Tage ohne fremde Hilfe überleben zu können, heißt es. Sollte etwas passieren, sind die Neuseeländer also im Grunde vorbereitet.

Nicht so viel anders.
Nach einer beschwerlichen, oft um die 30 Stunden währenden Reise mit mehrmaligem Umsteigen in Neuseeland angekommen, stellt der Europäer bald fest, dass das Leben auf den Antipoden, obwohl so extrem weit entfernt, nicht viel anders ist als in England, Deutschland oder Österreich. Klar, andere Länder, andere Sitten! Aber Neuseeland ist so modern wie jedes andere westeuropäische Land. Die Spitäler sind auf dem neuesten Stand, Internet und Straßen gut – Letztere freilich oft eng und bloody kurvig. Die Eltern gehen zur Arbeit, die Kinder zur Schule. Die Wochenenden verbringt man mit Freunden oder draußen.

Naturverbundenheit ist eine Eigenschaft, die beinahe alle Kiwis auszeichnet. Wer in der Nähe eines der zahlreichen Seen wohnt, besitzt oft ein Boot, Wasserski oder einen Jetski. Gekocht wird ohnehin mehr auf dem Barbecue, also dem Grill, als in der Küche. Und absolut nichts geht hier über heimisches Lamm mit Soße, Süßkartoffeln, Erbsen und Knoblauchbrot.

Von wegen »süßer Arsch«. Würde man diese Nation in einem Begriff zusammenfassen, so wäre es jener, der hier am häufigsten benützt wird, nämlich „sweet as“: Das hat nichts mit „so süß wie“ oder „süßer Arsch“ (bloß im Englischen falsch geschrieben) zu tun, nein, es hat viele Bedeutungen, etwa „kein Problem“, „passt schon“, „fantastisch“, „super“ oder „klar, unbedingt“. Auf die Frage „How was the surf?“ kann es ebenso „Sweet as!“ heißen wie auf „Wanna beer, mate?“: „Yea, sweet as!“

An Neugierde und Offenheit der Kiwis muss man sich indes erst gewöhnen. Da lässt der Busfahrer den Fahrplan Fahrplan sein und möchte genau wissen, was man über Neuseeland denkt, und auch die Frau in der Supermarktschlange fängt ein Gespräch an – einfach so. Der Tankwart fragt nach dem Befinden, und meist steht man zehn Minuten später noch immer plaudernd an der Zapfsäule.

Wer will schon Stildozenten! Die Uhren ticken hier ein wenig anders, und sie ticken langsamer. Man legt Wert auf die Familie, auf Natur und Freizeit – äußere Erscheinung und die Meinung anderer sind lang nicht so wichtig. Man sieht wohl nur in Neuseeland Menschen barfuß Auto fahren oder durch die Innenstadt schlendern. Erwachsene im Pyjama im Supermarkt oder bei McDonalds lassen hier niemanden den Hals verrenken; das gehört hier einfach dazu und ist Ausdruck des gelassenen Lebensstils.

Das jüngste Erdbeben hat die „coole“ Bevölkerung dennoch geschockt. Noch weiß niemand, wie Christchurch wieder aufgebaut werden soll. Im Katastrophenfonds befinden sich gerade mal etwa 3,8 Millionen Euro – das reicht lange nicht. Als kleines, abgeschiedenes Land mit bescheidener ökonomischer Basis ist Neuseeland sogar auf internationale Hilfe und Spenden angewiesen. Der große Nachbar Australien hat noch am Dienstag 3,6 Millionen Euro zugesagt.

Dabei hatte sich Christchurch gerade vom letzten großen Beben erholt, das am 4. September 2010 rund 3000 Häuser unbewohnbar gemacht, allerdings niemanden getötet hatte. Und nun der nächste, größere Schlag.

Manche wollen die Stadt verlassen. Aber am Ende siegen meist der Kampfgeist und die Liebe zur Stadt. Kiwis sind Stehaufmännchen, ihre „can do“-Haltung wird ihnen auch jetzt helfen. Hier wird nicht gemeckert, hier wird angepackt. Christchurch wird aufstehen und zurückkommen, größer und stärker als zuvor, wie alle sagen.

Sweet as!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2011)

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