Integration: "Durchmischung" der Bevölkerung fehlt

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Der Integrationsbericht schlägt "durchmischtes" Wohnen, Sanktionen bei Schulpflicht-Verletzungen und ein zweites gratis Kindergartenjahr vor.

Wien. Die weniger schöne Umschreibung des Problems lautet: Ghettobildung. 80 Prozent der Migranten leben in zehn Prozent der österreichischen Gemeinden, vorwiegend in großen Städten – und dort meist in (gemeinnützigen) Wohnungen. Die damit einhergehenden Schwierigkeiten sind weithin bekannt: Es fehle an der nötigen „Durchmischung“ der Bevölkerung, findet auch der Expertenrat für Integration. Er schlägt daher die Einrichtung eines „Wohnraumausschusses“ aller gemeinnützigen Träger vor, der für eine ausgewogene Vergabe sorgt.

Es ist eine von 20 Empfehlungen aus dem Integrationsbericht, der am Mittwoch von Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) und dem Vorsitzenden des Expertenrates, Heinz Fassmann, präsentiert wurde. Eine andere aus dem Kapitel „Wohnen“: Hausmeister sollen in der Mediation geschult werden, um Konflikte vor Ort lösen zu können.

Kindergarten: Zwei Jahre gratis

Zur „mathematischen Formel“, wie Integration gelingen kann, wollte Kurz das 53 Seiten dicke Konvolut nicht hochstilisieren. Doch die Maßnahmen, die der 15-köpfige Expertenrat nach einjähriger Arbeit vorschlägt, würden die Grundlage seines Programms bilden. Einige Punkte hatte Kurz zuletzt schon vorweggenommen, manches ist nicht wirklich neu und mäßig brisant (etwa verbesserte Kooperationen zwischen Vereinen und Schulen), anderes wiederum wird nicht jedem zur Freude gereichen:

• Weil der Sprachförderbedarf bei Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, mit 80 Prozent deutlich höher ist als bei deutschsprachigen Kindern (15Prozent), soll ein zweites, kostenloses Kindergartenjahr eingeführt werden: gratis für alle, aber verpflichtend für jene, die nicht Deutsch können.

• Verletzungen der Schulpflicht sollen in Zukunft sanktioniert werden. Denn Kinder nicht deutscher Muttersprache brechen viermal so oft die Schule ab wie Kinder ohne Migrationshintergrund.

• Um Zuwanderern (vor allem aus Nicht-EU-Staaten) den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern, müsse die Anerkennung ausländischer Schul- und Studienabschlüsse (Nostrifizierungen) „entbürokratisiert“ werden – über eine Informationsplattform, die ans AMS gekoppelt ist und im Ausland erworbene Befähigungen einordnen kann. Dazu bereitet Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (ÖVP) gerade ein Gesetz vor. Zentraler Punkt dabei: Die akademischen Abschlüsse werden von den Berufsbehörden wie der Ärztekammer anerkannt und nur mehr in Ausnahmefällen von den Unis.

• Im Kapitel „Arbeit und Beruf“ rät der Expertenrat dazu, Frauen mit Migrationshintergrund verstärkt ins Erwerbsleben zu bringen – über Mentoringprogramme beim AMS, in der Wirtschaftskammer und im Integrationsfonds. Anlass dazu gibt die Statistik: 68 Prozent der österreichischen, aber zum Beispiel nur 41 Prozent der türkischen Frauen gingen 2010 einer Arbeit nach.

• Im Staatssekretariat wird die Einrichtung eines „Forum Islam“ empfohlen. Es soll „Lösungen für die Ausbildung von Imamen und islamischen Religionslehrern“ finden. • Zur Vermittlung der österreichischen „Werte- und Rechtskultur“ solle eine „Rot-Weiß-Rot-Fibel“ herausgegeben werden. „Eine Zusammenfassung der nicht verhandelbaren Grundprinzipien dieser Republik“ nennt sie Experte Fassmann. Denn derzeit fühlen sich nur 55 Prozent der Zuwanderer dem Staate Österreich zugehörig.

• Ein „Bildungspass“ soll Nicht-Österreichern, die schon lange hier leben, als Anreiz dienen, Deutschkurse zu absolvieren. Der Pass soll dann ein „Qualitätsnachweis“ bei der Arbeitssuche sein.

• Gesundheitspolitisch werden verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen in Pflichtschulen empfohlen. Weil Zuwanderer „wenig präventiv in der Behandlung“ seien.

Lob, Kritik und Druck

Einen Zeitplan für die Maßnahmen gibt es nicht, auch keine Prioritätenliste. Manche seien von ihm zu erledigen, manche von anderen Ressorts, sagte Kurz. Das Geld zumindest sei vorhanden: im Integrationsfonds, in fast allen Ministerien und auf allen politischen Ebenen. „Wir werden Schritt für Schritt an der Umsetzung arbeiten.“

Von der Opposition kam Lob (Grüne) und Kritik (FPÖ, BZÖ). Der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau hält die Vorschläge für gut, plädiert im Gespräch mit der „Presse“ aber dafür, dass „wir jetzt endlich vom Reden zum Tun kommen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 7. Juli 2011)

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