Hintergrund. Anfang 2009 musste das Land mit einer Milliardengeldspritze von EU, IWF und Weltbank gerettet werden. Zum Verhängnis wurde Rumänien nicht der Finanzsektor, sondern der Fehlbetrag in der Leistungsbilanz.
Bukarest/Wien. Es muss ein veritabler Schock gewesen sein: „Die Diagnose für Rumänien ist ganz anders als für alle anderen Länder“, hat der Chefökonom der rumänischen Notenbank, Valentin Larea, Mitte Februar 2009 vor Journalisten betont. Rumänien sei wirtschaftlich stabil aufgestellt, für das laufende Jahr werde ein kleines BIP-Plus erwartet, die Abhängigkeit vom Ausland sei angesichts der vergleichsweise niedrigen Exportquote gering und der Bankensektor habe bei der amerikanischen Subprime-Schuldenorgie nicht mitgemacht. Kurzum: Die Finanzkrise werde dem Land wenig anhaben können.
Vier Wochen später war der schöne Traum vom ruhigen Hafen inmitten des konjunkturellen Sturms ausgeträumt und Bukarest musste die EU, den Internationalen Währungsfonds sowie die Weltbank um einen Hilfskredit von 20 Milliarden Euro anpumpen. Zum Verhängnis wurde Rumänien nicht die eigene Finanzbranche, sondern der Fehlbetrag in der Leistungsbilanz.
Mehr Ausgaben als Einnahmen
Um zu verstehen, was Rumänien widerfahren ist, muss man zunächst einmal einen Blick auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung werfen. Vereinfacht formuliert bedeutet ein Leistungsbilanzdefizit, dass ein Land mehr ausgibt als es einnimmt. Das muss per se keine schlechte Sache sein, im Gegenteil: Bei einem Entwicklungsland ist eine negative Leistungsbilanz eine natürliche (und wünschenswerte) Sache, denn die für die wirtschaftliche Aufholjagd benötigten Investitionen in moderne Produktionsanlagen, Infrastruktur etc. können nicht aus eigener Tasche finanziert werden – dazu sind die Betroffenen noch zu arm. Im Idealfall werden ausländische Investoren ins Land geholt, die das dringend benötigte Kapital (samt Know-how) mitbringen und es zu beiderseitigem Profit anlegen.
Problematisch wird es erst, wenn das Defizit zu hoch wird. Je größer nämlich der Fehlbetrag, desto abhängiger wird das Land von fremden Geldquellen – und wenn die versiegen, ist Feuer auf dem Dach, denn mit den Geldzuflüssen wird ja (mehr oder weniger) fix gerechnet. Dummerweise gibt es für die Leistungsbilanz keine allgemein gültige Gefahrenskala, sondern nur einen groben Richtwert: Ab einem Defizit von fünf Prozent des BIPs wird es heikel. Und Rumänien hat im Vorfeld der Krise diese Schwelle massiv überschritten (siehe Grafik).
Mehr noch: Internationales Kapital ist (sofern es nicht verbaut wurde) unstet, weil leicht transferierbar, und es tendiert zur Flucht, wenn die Stimmung im Land kippt – was zu einem Kollaps des Finanzsektors und einem dramatischen Wertverfall der Währung führen kann. So etwas ist Ende der 1990er-Jahre in Südostasien geschehen – und genau diese Gefahr drohte Anfang 2009 auch in Rumänien. Mit ihrem Notkredit haben EU, IWF und Weltbank gewährleistet, dass Rumänien das Geld nicht ausgeht.
Drakonischer Sparkurs
Einziger Ausweg aus einer derartigen Situation ist (sofern man nicht alle Brücken zu internationalen Geldgebern abfackeln will) ein drakonischer Sparkurs – Ausgaben und Einnahmen müssen in Einklang gebracht werden. Genau das ist in Rumänien in den vergangenen zwei Jahren geschehen: Die Mehrwertsteuer wurde von 19 auf 24 Prozent angehoben, die Staatsausgaben gekürzt, die Beamtengehälter um ein Viertel reduziert und eine geplante Senkung der Flat Tax verschoben. Ökonomen des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche attestieren dem Land eine schrittweise Erholung, die vor allem der Nachfrage aus dem Ausland zu verdanken ist. Im Inland hingegen würden die Gürtel noch auf absehbare Zeit eng geschnallt bleiben müssen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2011)