Neues Beben in Wiens ÖVP: Mandatar tritt aus

Wolfgang Aigner und Ursula Stenzel (Montage: DiePresse.com)
Wolfgang Aigner und Ursula Stenzel (Montage: DiePresse.com) (c) FABRY Clemens
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Bildungssprecher Wolfgang Aigner tritt aus dem VP-Gemeinderatsklub aus. City-Bezirkschefin Ursula Stenzel will die Partei auflösen und neu gründen.

[WIEN] Am Montag erschütterte das nächste politische Beben die ohnehin schwer gebeutelte Wiener VP: Die geschwächte Partei verliert ein Mandat und hält nur mehr bei zwölf Gemeinderatssitzen - nachdem Bildungssprecher Wolfgang Aigner am Montag im Gespräch mit der „Presse" seinen Austritt aus dem VP-Gemeinderatsklub erklärte: „Ich will nicht aus dem VP-Gemeinderatsklub austreten, aber es geht nicht anders", so Aigner.

Als Ursache für seinen Abschied aus dem VP-Klub nennt Aigner mangelnde Kommunikation der Parteispitze mit den Abgeordneten, mangelnde Wertschätzung der Mandatare, Desinteresse der Parteispitze an der politischen Arbeit der Basis und den politischen Kurs der ÖVP. „Die Partei ist in einer schweren Krise und mit uns Abgeordneten redet niemand. Im Gegenteil: Alles was uns direkt betrifft, wird uns von einem kleinen Zirkel an der Spitze nur über die Medien ausgerichtet."

So sei es beispielsweise den Mandataren über die Medien ausgerichtet worden, dass Fritz Aichinger ihr Klubchef wird; obwohl sich ein Klubchef zuvor einem Hearing und dann der Wahl der Abgeordneten stellen muss. „Das ist inakzeptabel", so Aigner, der mit der Entscheidung auch ein Problem hat: „Ich schätze Fritz Aichinger persönlich sehr. Aber er ist bekanntermaßen sehr konsensorientiert. Außerdem soll es auch gemeinsame Projekte mit der SPÖ geben - nach Vorbild der rot-grünen Projekte." Nachsatz: „Wenn die Wiener VP nun auf einen Kuschelkurs mit der SPÖ einschwenkt, kann ich das als Oppositionspolitiker nicht akzeptieren. Das muss ich die Konsequenzen ziehen."

Aigner will als wilder Abgeordneter bleiben

Aigner selbst will als wilder Abgeordneter im Wiener Gemeinderat bleiben, „um kantige Oppositionspolitik zu betreiben", wie er es formulierte. Er selbst werde nicht aus der ÖVP austreten. Falls er nun ausgeschlossen werde, müsse er das zur Kenntnis nehmen, so Aigner.

Der designierte VP-Kluchef Fitz Aichinger hofft, Aigner noch von seinen Plänen abbringen zu können. "Nach meiner Wahl am Mittwoch werde ich das Gespräch suchen. Die Tür ist nicht zu", erklärte er.

Nach dem Rücktritt von Christine Marek als Wiener Partei- und Klubchefin geht es also weiter rund in der ÖVP. Wie berichtet, war Marek von allen Ämtern kurzfristig zurück getreten und wechselt in den Nationalrat. Interimistisch leitet die Nationalrätin Gabriele Tamandl die Partei. Aichinger, Gemeinderat und Spartenobmann in der Wirtschaftskammer, wird Klubchef, Manfred Juraczka nicht amtsführender Stadtrat.

Stenzel: "Partei hat keine Kraft für Lösung"

Die Turbulenzen rund um den Marek-Rücktritt und die Ernennung der (interimistischen) Nachfolger verärgert auch City-Bezirkschefin Ursula Stenzel. Sie kritisiert im Gespräch mit der "Presse", dass die Partei in ihrer bisher schwersten Krise interimistisch geführt wird: „Das ist keine Stärkung der Partei. Das zeigt, dass die Partei keine Kraft für eine echte Lösung hat." Nachsatz: „Na gut, dann werden wir in die Nationalratswahl 2013 gehen, ohne dass wir die städtisch-urbane Schicht ansprechen."Auch die Art und Weise, wie die Entscheidung für Tomandl, Aichinger und Juraczka gefallen ist, kritisiert Stenzel: Die personellen Entscheidungen seien der klassische Proporz, wie er eben zwischen Wirtschaftsbund und ÖAAB gemacht werde. „Was das inhaltlich bringen soll, da bin ich überfragt."

„Die Bürger erwarten von der Wiener ÖVP ein starkes Signal, nicht einen politischen Selbstbedienungsladen", kommentiert Stenzel die Postenvergabe nach dem Marek-Rücktritt. Ohne dieses starke Signal, eine starke Wirtschafts- und Bildungspolitik, würde der Eindruck entstehen, dass nur eine politische Konkursmasse verwaltet werden.

Den Prozess Agenda Wien+ zur inhaltlichen Erneuerung der VP bezeichnet Stenzel als „Blödsinn": „Es dürfen nicht immer dieselben Leute dabei sein, die immer in dem selben Saft schmoren. Das ist ein Zeichen der Hilflosigkeit." Denn die Zielgruppen für eine bürgerliche Alternative seien überall, von Studenten über Bauern bis zu den Wirtschaftstreibenden.

Den Zustand der Stadtpartei sieht Stenzel als ernst - und zitiert Erhard Busek, der vor Jahren gemeint hatte: „Man muss die Wiener VP auflösen und neu gründen." Das argumentiert Stenzel so: „Diese Überlegungen sind legitim. Man muss sich überlegen, mit guten und neuen Leuten eine neue bürgerliche Politik zu machen." Jede Partei, die nur in Kadern und Bünden denke, sei gefährdet.

Ein weiterer Grund für eine völlige Neuaufstellung der Partei, so Stenzel: „Die guten Leute, die sich einbringen, kommen meistens nur bis zur Vorzimmerschwelle der ÖVP. Sie verabschieden sich, weil sie keine Chance haben, weil die Machttechniker schon vorher die Positionen besetzen." Nachsatz: „Wo soll ein Junger dann einen Zugang finden, während sich eine Clique von Funktionären die Jobs sichert?"

In diesem Zusammenhang will Stenzel der glücklosen Christine Marek keine Steine nachwerfen: „Glücklos sind jene, die Marek in diese Position gehievt haben", kritisiert Stenzel die Bundespartei: „Und jetzt macht man dasselbe nochmals, weil man keine Kraft hat, eine ordentliche Lösung anzustreben."

Jank: Klubchef ist uns wichtiger

Die Präsidentin der Wiener Wirtschaftskammer, Brigitte Jank, steht im Gegensatz zu Stenzel voll hinter der Lösung mit Gabriele Tamandl als interimistische Parteichefin. „Es war eine kluge Entscheidung", sagt sie zur „Presse". Damit könne man eine so wichtige Entscheidung, nämlich die Suche nach einem neuen Parteichef, gut vorbereiten, statt diesen innerhalb weniger Stunden aus dem Hut zaubern zu müssen.

Kolportierte Differenzen zwischen den zwei wichtigsten Bünden in der Wiener ÖVP, dem Wirtschaftsbund und dem ÖAAB (zu dem auch Tamandl gehört), sieht die Kammerpräsidentin nicht. „Wir haben mit dem Klubobmann (mit Wirtschaftssprecher und Kammerspartenobmann Aichinger, Anm.) eine wichtige Position", betont Jank.

Die Situation in der Wiener Volkspartei sei derzeit sicher nicht leicht. Aber man müsse Auseinandersetzungen hinter sich lassen. „Für mich ist außerdem der Klubobmann viel wichtiger als ein nicht amtsführender Stadtrat", sagt die Kammerpräsidentin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13. September 2011)

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