Fanatiker greifen Kopten an, der Frust über das Militär wächst. Kurz vor den Wahlen stehen die Zeichen auf Gewalt.
Sie waren im Zentrum des Tahrir-Platzes zum Massengebet niedergekniet, um Allah zum Beistand im Kampf gegen Machthaber Hosni Mubarak anzurufen. Und nur einige Dutzend Meter weiter feierten koptische Christen eine Messe, umgeben von ihren muslimischen Mitkämpfern. Der Aufstand gegen das ägyptische Regime im vergangenen Februar einte viele, die in verschiedenen Welten zu leben schienen: Frauen im Niqab demonstrierten neben Frauen mit offenem Haar, Vertreter des Bürgertums neben den typischen Jungs von der Straße.
Die Umtriebe religiöser Fanatiker, die Kirchen anzünden, erwecken den Anschein, als sei dieses Band völlig zerrissen. Das stimmt so nicht: Als vergangene Nacht Kopten für den Schutz der Minderheit demonstrierten, marschierten auch Muslime an ihrer Seite. Viele – Christen und Muslime – gehen heute in Ägypten wieder auf die Straße, aus Frustration über die Armee, die ihrer Meinung nach versucht, das Regime Mubaraks durch ein Militärregime zu ersetzen.
Die blutigen Vorfälle zeigen, wie nervös das Militär auf neuen Protest reagiert. Sie zeigen aber auch, wie unübersichtlich die Lage geworden ist. Militär, Kopten und radikalen Salafisten beschuldigen einander, Schlägertrupps losgeschickt zu haben. Einen Monat vor den Wahlen liegt in Kairo erneut Gewalt in der Luft.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2011)