Panikstimmung in Ägypten: „Fast jeder Kopte will raus“

(c) AP (Khalil Hamra)
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Koptengemeinde in Ägypten zwischen Angst vor Genozid und Kopftuchzwang. Sie verlassen massenhaft das Land. Rund 100.000 sollen bereits emigriert sein. Seit der Revolution sind die koptischen Christen vogelfrei.

"Ich war in der Kirche, als es passierte. Ich habe die Explosion gehört und bin beim Hinterausgang hinausgelaufen.“ Youstina M. (Name der Redaktion bekannt) ist vor eineinhalb Monaten aus Alexandria nach Wien geflohen, mit ihrem Mann und zwei kleinen Söhnen. Sie war dabei, als zu Silvester vor der koptischen Al-Quissidine-Kirche eine Autobombe explodierte, 23 Menschen tötete und fast hundert verletzte. Wenige Wochen später begann die ägyptische Revolution.

Seitdem häufen sich in Ägypten die Attacken auf koptische Kirchen, als Täter gelten ultrakonservative Salafisten. Koptische Proteste gegen einen Brandanschlag in der oberägyptischen Stadt Assuan endeten nun, wie schon im März und im Mai, in einem Blutbad: Am Sonntag starben bei Demonstrationen 24 Menschen (siehe Seite6).

Wer sind die Kopten?

Kopten – der Name heißt eigentlich einfach „Ägypter“. Sie sind eine der ältesten christlichen Gemeinschaften der Welt, schon um das Jahr 50 nach Christus soll der Evangelist Markus in Ägypten missioniert haben. Heute machen sie rund ein Zehntel der Bevölkerung aus. Unter Mubarak schon fühlten sie sich als Bürger zweiter Klasse. Doch immerhin schützte sie die Staatsmacht vor den Gewaltexzessen extremer Muslime – bis zur Revolution. Seitdem sind die koptischen Christen vogelfrei. Kirchen werden zerstört, Menschen bedroht und getötet, die Täter meist nicht zur Rechenschaft gezogen. Der Bürgermeister von Assuan etwa verteidigte vor wenigen Tagen im TV-Interview die Brandstifter und log vor laufender Kamera.

Bischof Gabriel, das Oberhaupt der Kopten in Österreich, war im April gemeinsam mit dem österreichischen Vizekanzler, Michael Spindelegger, in Kairo. Er habe dort vergeblich das Tor zur berühmten „Hängenden Kirche“ gesucht, erzählt er. „Es war mit Steinen zugebaut, als Schutz vor muslimischen Extremisten. Später habe ich gehört, dass 2000 Salafisten die Kirche belagert haben. Aber dann starb Osama bin Laden, da gingen sie alle weg.“

Angst vor Genozid

Was passiert mit den Kopten, wenn in Ägypten extreme Muslime die Oberhand gewinnen? Anwalt Chafik Awad, früherer Präsident der Union der koptischen Organisationen in Europa, befürchtet das Schlimmste. Er habe einen Antrag an die UNO vorbereitet, sagt er zur „Presse“: auf Untersuchung zur Abwendung eines Genozids. Panikmache? Die Panik ist schon da. Die Zahl von 100.000 koptischen Emigranten seit der Revolution, die die Egypt Union for Human Rights, eine von einem Kopten geführte Organisation, nennt, ist schwer zu überprüfen, aber so viel ist sicher: Kopten verlassen massenhaft das Land. „Ich war im letzten Monat dreimal in Ägypten, und fast jeder Kopte, mit dem ich rede, sagt mir, dass er raus aus Ägypten will“, sagt auch Kamal Abd El Nour, Präsident des Vereins „Integration koptischer und österreichischer Freundschaften“ in Wien. „Vor allem die Reichen gehen, die Armen können es sich nicht leisten.“

Sie habe früher nie daran gedacht, Ägypten zu verlassen, versichert Youstina M. im Gespräch mit der „Presse“. Doch nach dem Neujahrsanschlag in Alexandria habe sie im Frühjahr zwei Drohbriefe von Salafisten bekommen: Wenn sie nicht zum Islam wechsle, werde man ihr Säure ins Gesicht schütten und ihre Kinder entführen. „Wir waren bei der Polizei, aber die sagten, es ist Revolution, ihr müsst euch selbst schützen.“ Nun hofft die Familie auf Asyl in Österreich.

Kopftuchzwang für Christen

Aber es muss gar nicht Todesangst sein, die die Kopten forttreibt. Gerade erst ging der Fall eines koptischen Mädchens in der oberägyptischen Provinz al-Minya durch die Medien, die in ihrer Schule ein Kopftuch verordnet bekam. Nun darf das Mädchen doch ohne Kopftuch die Schule besuchen – als Grund gibt der Schuldirektor eine Hautkrankheit an. Das sei gang und gäbe, sagt Kamal Abd El Nour. „Wenn Eltern ihr Kind in einer Schule anmelden, müssen sie die Schulordnung unterschreiben, darin ist einfach von Uniformpflicht die Rede. Erst wenn das Kind in die Schule kommt, wird ihm gesagt, dass zur Uniform auch die Kopfbedeckung gehört. Die wissen ganz genau, dass die Christen sich weigern, ein Kopftuch zu tragen. Also werden die Kinder aus der Schule geworfen, und die Schulleitung hat ihr Ziel erreicht.“

Freilich: Nicht nur Kopten und andere Christen bangen um ihre Zukunft in Ägypten, sondern alle, die von den ultrakonservativen Muslimen als Ungläubige betrachtet werden. Etwa liberale Muslime wie die Schriftstellerin Fatima Naoot, die in den letzten Wochen an vorderster Front mit den koptischen Demonstranten mitmarschierte. Für Kamal Abd El Nour ist diese Solidarität nur logisch: „Die wissen, wenn die Christen verfolgt werden, dann sind auch sie dran.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2011)

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