Kopten-Unruhen: Driftet Ägypten in einen Religionskonflikt ab?

(c) EPA (MOHAMED OMAR)
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Die schlimmsten Straßenkämpfe seit dem Fall von Präsident Hosni Mubarak erschüttern Ägypten und stürzen das post-revolutionäre Land in die Krise. Gewalt könnte sich wie ein Flächenbrand im ganzen Land ausbreiten.

Kairo. Feuerbänder erhellen das Nilufer, weiße Rauchschwaden wabern über das Pflaster, Steine prasseln, dazwischen fallen vereinzelt Schüsse. Von Weitem schon hört man Schreie und Kampfgeheul. Einzelne taumeln in die dunklen Seitenstraßen, halten sich den blutenden Kopf, während hinter ihnen durch Tränengaswolken hindurch die nächste Angriffswelle Knüppel schwingender Horden rollt. Am Ende sind 25 Menschen tot und 213 verletzt.

Kairo erlebte in der Nacht von Sonntag auf Montag die schlimmste Gewalt seit dem Fall von Hosni Mubarak. Die Straßenkämpfe stürzen das post-revolutionäre Ägypten in seine bisher gefährlichste Krise, die Gewalt könnte sich nun wie ein Flächenbrand im ganzen Land ausbreiten. Für die zweite Nachthälfte verhängte der Oberste Militärrat eine Ausgangssperre. Am nächsten Morgen eilten Übergangsregierung und Religionsführer von Kopten und Muslimen zu Krisentreffen, während die Prügeleien vor einem Krankenhaus im Stadtzentrum ungehindert weitergingen, in dem viele der überwiegend koptischen Verletzten liegen.

„Vandalen wollen Chaos im Land säen“

Unklar ist bisher, was diese katastrophale Eskalation auslöste, die ganz Ägypten „in Gefahr bringt“, wie es Übergangspremier Essam Sharaf auf seiner Facebook-Seite formulierte. „Vandalisierende Kräfte“ wollten Chaos im Land säen und religiöse Spannungen schüren, sagte er später in einer Fernsehansprache. „Ich flehe alle Ägypter an, ob Muslime oder Christen, ob Alt oder Jung, ob Männer oder Frauen, bewahrt die Einheit unseres Landes.“

Schon mehrfach hatten Kopten in der Vergangenheit auf der Nil-Corniche vor dem staatlichen Fernsehgebäude gegen Übergriffe von radikalen Muslimen und für ihre Rechte demonstriert. Auch am Sonntag waren wieder 2000 Gläubige mit Kreuzen und Jesusbildern aus dem Stadtteil Shobra, wo viele Christen wohnen, friedlich in die Innenstadt gezogen. „Tantawi, wo ist deine Armee – dies ist auch unser Land?“, skandierten die Menschen, die sich von der Militärführung mit dem Feldmarschall an der Spitze nicht genug geschützt fühlen. So hatten vor anderthalb Wochen Salafisten im Dorf Marinab nahe der Stadt Edfu in Südägypten erneut einen Kirchbau in Brand gesteckt, der gerade renoviert und erweitert wurde.

Als der Kairoer Protestzug in der Abenddämmerung das Nilufer erreichte, wo die Menschen zusammen mit ihren Geistlichen ein symbolisches Sit-in halten wollten, eskalierte die Gewalt. Das staatliche Fernsehen blies sofort in die Propaganda-Trompete. Kopten hätten auf Soldaten geschossen und drei von ihnen getötet, hieß es in ersten Meldungen am Abend. Die Armeeführung sprach laut CNN sogar von zwölf getöteten und 50 verletzten Soldaten. Mit dramatischem Tremolo in der Stimme forderte der TV-Sprecher die Bevölkerung auf, auf die Straße zu gehen und die Soldaten vor dem christlichen Mob zu schützen.

„Muslime und Christen Hand in Hand“

Augenzeugen jedoch zeichnen ein deutlich anderes Bild von dem Ablauf der tödlichen Geschehnisse. Ein Reporter von Al Jazeera berichtete, Banden von zwielichtigen Typen in Zivilkleidung hätten den singenden und skandierenden Koptenzug sofort mit einem Steinhagel empfangen. Unbekannte eröffneten aus einem vorbeifahrenden Zivilauto heraus das Feuer auf die Demonstranten. In dem anschließenden Getümmel raste dann ein Panzerspähwagen in die Menge, überrollte und tötete fünf Demonstranten. Fotos der entstellten Zerquetschten kursieren inzwischen im Internet.

Nach diesen tödlichen Provokationen gab es für die rasende Menge kein Halten mehr. Mehrere Soldaten wurden offenbar auf der Stelle totgeprügelt, wie Zeugen noch am Abend berichteten. Der Truppentransporter war in Sekunden durch Molotowcocktails in eine brennende Fackel verwandelt, das Pflaster aufgerissen, sämtliche Autos im Umkreis des hohen Hilton Ramses Hotels zertrümmert, ausgeraubt oder angezündet, während im Inneren die etwa 200 Gäste der halb gefüllten Nobelherberge sich in die oberen Etagen flüchteten. Vier nachrückende grüne Iveco-Lastwagen mit Bereitschaftspolizei wurden mit einem solchen Steinhagel empfangen, dass ihre Fahrer in Panik wendeten und in einer dichten Staubwolke wieder davonrasten.

Wer auf wen einprügelte, war den ganzen Abend nicht genau zu eruieren. Immer wieder skandierten Demonstranten „Muslime und Christen gehen Hand in Hand“, sammelten sich zu Menschenketten vor den Dreierreihen der schwarzen Bereitschaftspolizei. Dann gab es plötzlich wieder einen Sturmangriff Holzstangen schwingender Wilder. Journalisten, die etwas notierten, wurden drohend umringt. „Ihr schreibt sowieso nur Schlechtes über Ägypten, dass es hier Straßenschlachten gibt“, baute sich einer auf. „Wie würden Sie das hier denn nennen?“, nach dieser Gegenfrage dreht er schließlich bei und zieht mit seinem Eisenprügel von dannen. Andere Reporter vor Ort wurden als Juden beschimpft oder als Spione verdächtigt.

„Islamischer Staat – bis zum Tod“

„Die allermeisten Ägypter verabscheuen solche Gewalt“, sagt Muhammed Taha, der mit seinem tadellosen Nadelstreifenanzug und gelben Schlips in dem Chaos wie ein Wesen von einem anderen Stern wirkt. „Wenn so etwas im Zentrum von Kairo passiert, dann trifft das Ägypten ins Herz“, sagt der 38-Jährige. Er arbeitet im Tourismus und weiß, was jetzt wieder kommt. Stornierungen über Stornierungen, weitere Entlassungen und noch mehr Aussichtslosigkeit – seit acht Monaten sind nun schon Hotels, Badestrände und Museen leer.

Aber auch immer mehr junge, gut ausgebildete Kopten kehren ihrer Heimat den Rücken. Mehr als 100.000 haben seit dem Sturz Mubaraks bereits das Land verlassen, bilanziert die Egyptian Union for Human Rights, weil sie sich von radikalen Muslimen immer stärker in die Enge gedrängt fühlen.

Die Salafisten-Bewegung in Kairo dagegen wies jegliche Mitschuld an dem jüngsten Gewaltausbruch weit von sich. Man verurteile, was geschehen sei, erklärte einer ihrer Sprecher, während nach Mitternacht eine kleine Schar seiner Miteiferer inmitten von Glassplittern, herausgerissenen Gehwegplatten und ausgebrannten Autos „Mit unserem Blut und unserer Seele, wir beschützen den Islam“ und „Ein islamischer Staat – bis zum Tod“ skandierte. Andere hieben zur gleichen Zeit in der Innenstadt – ungehindert von Polizei und Militär – auf Autos ein, in denen sie christliche Passagiere vermuteten.

Chronologie

Am Neujahrstag 2011 werden bei einem Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria 21 Menschen ermordet. Präsident Hosni Mubarak macht für das Attentat die Terrororganisation al-Qaida verantwortlich. Während des Aufstands gegen Mubarak wird vonseiten der Revolutionäre aber auch immer wieder behauptet, das Regime selbst habe die Fäden bei Gewalttaten gegen die Minderheit gezogen.

Am 7.Mai 2011 zünden Demonstranten eine Kirche im Kairoer Stadtteil Imbaba an. Muslimische Fanatiker behaupteten zuvor, die Christen des Stadtteils hielten zwei Frauen gefangen, die zum Islam konvertiert seien.

9.Oktober 2011. Bei einer Kundgebung für mehr Schutz für Ägyptens Kopten kommt es zu schweren Straßenschlachten zwischen dem Militär, Kopten und bewaffneten Gangs. Mindestens 24 Menschen werden bei den Ausschreitungen getötet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2011)

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Schenuda III. ist seit vier Jahrzehnten Oberhaupt der Kopten. Er galt stets als eng verbandelt mit Exherrscher Mubarak.

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