Mitbegründer der serbischen „Otpor“-Bewegung empfahl US-Aktivisten die Besetzung eines „symbolischen Ortes“.
Belgrad. Der US-Geheimdienst CIA und serbische Umsturz-Profis sollen laut konservativen Verschwörungstheorien die Bewegung „Besetzt die Wall Street“ (auch: „Occupy“) initiiert haben. Tatsächlich gab ein Veteran der serbischen „Otpor“-Bewegung, die einst Slobodan Milošević zu Fall gebracht hatte, den zunächst kaum wahrgenommenen US-Aktivisten einen entscheidenden Rat: die Besetzung eines symbolischen Ortes.
Für Großbritanniens populärsten Konspirationspropheten David Icke ist klar: Auch die „Besetzt die Wall Street“-Bewegung sei das Werk von serbischen „Auftragsrevolutionären“, verkündete er auf seiner Website. Die Mitbegründer der früheren Studentenbewegung Otpor würden mit ihrem „Zentrum für gewaltfreie Aktion und Strategien“ (Canvas) im Auftrag des CIA subversive Strategien für „getürkte Revolutionen“ austüfteln: Wie der Arabische Frühling in Ägypten und Tunesien werde auch die Anti-Wall-Street-Bewegung von Canvas für Geld „gesteuert“. Ziel sei aber nicht der Sturz des Systems, sondern die Kontrolle oppositioneller Kräfte: Auch die neue US-Bewegung sei eine „Falle für naive Linke“.
Keine Revolutionsexporteure
Als Apostel des gewaltfreien Widerstands verstehen sich die Initiatoren und Betreiber des kleinen Canvas-Zentrums in der Belgrader Gandhi-Straße. Aktivisten aus über 37 Ländern haben mittlerweile die auf allen Kontinenten angebotenen Kurse des 2003 gegründeten Zentrums besucht. Das im Internet in mehreren Sprachen kostenlos erhältliche Lehrbuch „Gewaltloser Kampf“ erfreut sich weltweit bei Aktivisten genauso großer Beliebtheit wie der Lehrfilm „Wie man einen Diktator zu Fall bringt“.
Die serbischen Widerstandsprofis verstehen sich aber keineswegs als Revolutionsexporteure: Die meisten ihrer Seminare bieten die Canvas-Gründer ohnehin an europäischen und US-Universitäten an. „Wir machen die Leute nur mit den Werkzeugen des sozialen Widerstands vertraut“, so Otpor-Veteran Srdja Popović: „Wie sie sie nutzen, hängt von ihnen ab.“ Ende September hatte der Otpor-Veteran Ivan Marović tatsächlich Kontakt zur zunächst kaum wahrgenommenen „Besetzt die Wall Street“-Bewegung. Nach einem Vortrag hätten ihn Studenten zu deren Camp im Zuccotti-Park geladen, berichtete Marović nun der serbischen Presse: „Ich erzählte ihnen über die Bedeutung der Besetzung symbolischer Orte.“
Seine Worte sollte sich sein Publikum zu Herzen nehmen. Marović bereitete sich in Belgrad gerade auf seinen nächsten Vortrag vor, als die Occupy-Aktivisten in New York Anfang Oktober die Brooklyn-Brücke blockierten – und so für ein weltweites Medienecho sorgten. Von einer gesteuerten Bewegung aber will Marović nicht sprechen: „Es handelt sich um einen authentischen Protest.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2011)