Bulgariens Wirtschaft stehen härtere Zeiten bevor

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Im Land fehlt Geld für Investitionen und Konsum, die Arbeitslosenrate steigt. Der Blick in die Zukunft ist düster, denn der fiskalpolitische Musterschüler der EU hängt zu stark vom Schicksal der Eurozone ab.

Wien. In vielen Dingen unterscheidet sich Bulgarien kaum noch von den anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union: So beklagt der bulgarische Verkehrsminister regelmäßig den „technischen Bankrott" seiner Staatsbahnen, so wie es wohl die meisten seiner Amtskollegen auch tun könnten. Sofia hat die Energiewirtschaft des Landes mindestens so gut an den freien Markt herangeführt, wie das etwa Paris getan hat. Und die bulgarische Schwarzmeerküste wird heute von eben jenen Billigtouristen belagert, die noch vor wenigen Saisonen die Strände Mallorcas unsicher gemacht haben.
Aber in einem entscheidenden Punkt hebt sich Bulgarien deutlich von den meisten EU-Kollegen ab: Das Land ist ein fiskalpolitischer Musterschüler, und Finanzminister Simeon Djankow setzt alles daran, dass das auch so bleibt. Erst im Juli passierte eine Gesetzesvorlage das bulgarische Parlament, wonach das Haushaltsdefizit nicht über zwei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen dürfe. Will eine Regierung den Einheitssteuersatz von zehn Prozent erhöhen, soll sie sich dafür künftig eine qualifizierte Mehrheit im Parlament suchen müssen. Diese Politik zeigt Wirkung: Heuer wird das Budgetdefizit des Landes problemlos unter der Maastricht-Grenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Kaum ein anderes EU-Mitglied hat niedrigere Staatsschulden. Honoriert wurde das zuletzt im Sommer von der Ratingagentur Moody's. Während die meisten Länder derzeit um ihr Rating bangen müssen, hob die Agentur die Kreditwürdigkeit Bulgariens sogar an.

„Es gibt ein Schuldenproblem"

Doch das Land erntet für seinen harten wirtschaftspolitischen Kurs nicht nur Applaus. „Bulgarien ist ein Spezialfall", sagt Michael Landesmann vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche zur „Presse". „Es gibt ein Schuldenproblem im Land - allerdings im Unternehmensbereich." Der öffentliche Schuldenstand liegt mit 17 Prozent der Wirtschaftsleistung tatsächlich weit unter dem seiner westlichen Nachbarn, die Unternehmen sind dafür mit 120 Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet.


Darunter leidet letztlich auch die bulgarische Wirtschaft. Die Firmen bekommen von den Banken kaum noch Kredite, Investitionen aus dem Ausland, die bisher immer für Aufschwung gesorgt haben, seien nach der Krise 2008 „völlig kollabiert". Ein Bauunternehmen nach dem anderen taumelt am Rand des Konkurses, die Arbeitslosenrate stieg im Halbjahr auf über elf Prozent. Und die Regierung hat nichts als eine straffe Fiskalpolitik im Auge.

Eurozone importiert 60 Prozent

Die wahren Gefahren für Bulgariens Wirtschaft wurzeln nicht im hohen Schuldenstand des Landes, sondern tief in Europa, warnt Landesmann. Das Problem ist vielmehr die hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von seinen Abnehmern im Westen. Das Land verlässt sich derzeit fast ausschließlich auf den Export, der im ersten Halbjahr noch gute Wachstumsraten aufweisen konnte. Doch sechzig Prozent der Ausfuhren landen in den Ländern der Eurozone, zehn Prozent im angeschlagenen Nachbarland Griechenland. Exporte dorthin seien schon heute praktisch nur gegen Vorauszahlung möglich, sagt Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Sofia, Michael Angerer. „Die reine Exportabhängigkeit hat für ein Jahr funktioniert, jetzt kann das nicht mehr gut gehen", sagt Landesmann.


Zieht man auch Faktoren wie die Herkunft der Direktinvestitionen in Betracht, dann ist Bulgarien nach Ungarn und der Slowakei das Land, das am stärksten unter einem Wachstumseinbruch in der Eurozone leiden würde, schreibt die Osteuropabank EBRD. Wie wahrscheinlich ein derartiger Abschwung ist, musste jüngst auch Bulgariens Finanzminister einsehen und die Wachstumsprognose für 2012 von 4,1 Prozent auf 2,9 Prozent stutzen. Bulgarien müsse vor allem den Inlandskonsum wieder stärken, fordert Landesmann. Da private Investitionen ausbleiben, könne nur der Staat einspringen und versuchen, das Land aus der Ecke des reinen Niedrigstlohnanbieters zu holen. Eine derart straffe Fiskalpolitik sei nicht nötig.

Deutlich billiger als Rumänien

Der Ökonom plädiert trotz der hohen Arbeitslosenrate für Lohnerhöhungen. Es gebe einen „starken Puffer", da die Haushaltseinkommen seit Jahren real gesunken sind. Selbst im Vergleich mit Rumänien sind die Löhne extrem niedrig. 2008 lagen sie im Schnitt bei 270 Euro im Monat. Rumäniens Arbeiter erhielten im Vergleich 480 Euro, für tschechische Kollegen waren es 900 Euro.

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