Masse und Macht der Nachrichtenagenturen

Masse Macht Nachrichtenagenturen
Masse Macht Nachrichtenagenturen(c) APA
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Mit dem Siegeszug des Internets haben sich Nachrichtenagenturen zum Branchenschwergewicht entwickelt. Wie gehen sie damit um?

Quelle: APA. Wer hierzulande Nachrichten im Internet liest, wird diesen Hinweis häufig antreffen – und vermutlich drüberlesen. Dahinter versteckt sich ein wahres Schwergewicht der Medienbranche. Denn Nachrichtenagenturen – in Österreich ist die APA die wichtigste – haben sich vom „Dienstleister für die Zeitungen“ zur zentralen Quelle für Onlineredakteure und damit für Leser im Internet entwickelt. Wer einen beliebigen Begriff aus dem Tagesgeschehen in „Google News“ eintippt, wird dutzendfach dieselbe Meldung, verfasst von einem Nachrichtenagentur-Journalisten, wiederfinden – in unterschiedlichen Medien bis zum letzten Beistrich ident. Sind Agenturen also die neuen Mächtigen der Branche? „Ich tu mir mit dem Begriff sehr schwer“, sagt Johannes Bruckenberger, stellvertretender Chefredakteur der APA. „Ich würde eher sagen, die Verantwortung ist in den letzten zehn Jahren gestiegen.“

„Die Bedeutung hat enorm zugenommen“, sagt SPÖ-Politiker Josef Kalina, früher selbst Journalist. „Früher dienten Nachrichtenagenturen als Basis für die Recherche, sind meist nicht eins zu eins ans Publikum gelangt. Das hat sich fundamental verändert.“ Die Umgewichtung sei vom Medienunternehmen selbst verschuldet: Personelle Ausdünnungen in Redaktionen hätten das Gewicht der Presseagenturen wachsen lassen.

Nachrichten-„Grundrauschen“. APA-Chefredakteur Michael Lang sieht den Trend zum Agenturtext positiv – auch für die Onlinemedien selbst. „Wenn Sie ein großes Portal haben, ist es ja völlig sinnfrei, jede Meldung umzuschreiben, bis sie nicht mehr als Agenturmeldung erkennbar ist“, sagt er. „Idealerweise lebe ich als Nachrichtenportal eines Mediums davon, meine eigenen Geschichten raufzugeben. Es spricht nichts dagegen, das ,Grundrauschen‘ von der Agentur zu nehmen. Ein Fußballergebnis zum Beispiel schaut immer gleich aus.“ So deutlich wie ein Fußballergebnis sind Nachrichten freilich nicht immer, vor allem in der Politikberichterstattung.

Die Tendenz geht zudem verstärkt in Richtung Interpretation, in Hintergrundberichte, Porträts und Analysen. Wo hört die Beschreibung auf und fängt die Meinung an? „Was sich alle Nachrichtenagenturen auf die Fahnen schreiben, ist keinen Meinungsjournalismus im Sinne einer Parteinahme machen zu wollen“, so Bruckenberger. „Wir liefern sehr wohl Analysen, die einen Sachverhalt auf den Punkt bringen – was manchmal dazu führt, dass die betroffenen Akteure der Meinung sind, das ist eine falsche Interpretation.“

Heikler als die schiere Masse an Agenturmeldungen im Netz findet Medienhistoriker Wolfgang Pensold die zahllosen potenziellen Informationslieferanten in der digitalen Landschaft. Das Internet bietet jedem, der publizieren will, eine Plattform, in Blogs, Foren oder sozialen Netzwerken. „Problematisch daran ist die Tendenz, dass künftig die Ursprünge der Information nicht mehr klar zu erkennen sind“, meint Pensold. Der Wahrheitsgehalt lässt sich oft nicht überprüfen, wie etwa die „Bluewater“-Affäre zeigte. Mehrere Agenturen berichteten im September 2009 über einen Bombenanschlag in der US-Kleinstadt „Bluewater“. Sowohl Anschlag als auch Ort waren Teil eines geschickten PR-Gags samt eines gefälschten Internetauftritts des Städtchens, auf den auch die Deutsche Presse-Agentur DPA hereinfiel.

Für Michael Segbers, Geschäftsführer der DPA, überwiegen trotzdem die Vorteile des Internets: „Quellenvielfalt bedeutet ja letztlich Informationsvielfalt“, sagt er. In Onlinemedien sei ein wichtiger Teil der aktuellen Informationen zu finden – aber längst nicht alles. „Denken Sie an Blogs oder an den Kurznachrichtendienst Twitter“, so Segbers. „In dieser Konkurrenzsituation ringen auch die Onlinemedien täglich darum, Leser zu halten und neue zu gewinnen.“ Das könne nur mithilfe von zuverlässiger, sauber recherchierter Berichterstattung gelingen, meint der DPA-Geschäftsführer. Und zu dieser tragen die Nachrichtenagenturen ihren Teil bei. „Nicht weniger, aber auch nicht mehr“, sagt Segbers.

Vielleicht droht Gefahr ja von woanders: Suchmaschinen-Riese Google drängt in das Nachrichtengeschäft und hat bereits Verträge mit einigen großen Nachrichtenagenturen geschlossen, Meldungen und Fotos laufen direkt in „Google News“. Die APA plane keine Kooperation, versichert Geschäftsführer Peter Kropsch.

Parteinahme. Ob eine Agenturmeldung bei Google oder von einer Redaktion im Original veröffentlicht wird, mache keinen Unterschied, so Segbers. In beiden Fällen haben mindestens zwei Agenturjournalisten den Text überprüft. „Eine Gefahr für die Demokratie ergäbe sich nur, wenn sich Nachrichtenagenturen oder andere Medien instrumentalisieren ließen und einseitig Partei ergriffen für politische Positionen oder wirtschaftliche Einzelinteressen“, sagt der DPA-Geschäftsführer. Für Bruckenberger ist die Rolle der Agenturen ganz klar: „Wir üben keine Macht aus. Wir sind Dienstleister.“

Nachrichten-Agenturen

Österreichs größte Nachrichtenagentur ist die APA (Austria Presse Agentur), sie ist eine Genossenschaft. 16 Medienunternehmen sind daran beteiligt, darunter der ORF (42,86 Prozent) und Tageszeitungen wie „Die Presse“ (3,31 Prozent).

In Deutschland gibt es eine Vielzahl an Agenturen, die führende ist die DPA (Deutsche Presse-Agentur). Auch sie ist eine Genossenschaft, rund 190 Medienunternehmen wie Verlage und Rundfunkanstalten gehören zur DPA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2011)

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