Der grundlegende Fehler in Österreichs Migrationspolitik

Viele Probleme mit Asyl, Migration und Integration fangen erst damit an, dass man Asylsuchende und Zuwanderer ausschließlich als Problem betrachtet.

Arigona Zogaj darf also bleiben. Ein unwürdiges Schauspiel hat damit ein Happy End gefunden, das nun von manchen als großartiger Sieg der Menschlichkeit beklatscht wird. Ein Schauspiel, das auf der einen Seite durch mehrfachen Rechtsbruch – oder zumindest weitgehendes Ignorieren der Rechtslage seitens der Familie Zogaj – zustande gekommen ist. Das auf der anderen Seite aber auch genau dadurch die Beschränktheit der derzeitigen Regelungen aufgezeigt hat. Schließlich wurde am Fall einer gut integrierten jungen Frau, die zu ihrer alten Heimat keinerlei Bezug, dafür umso mehr zu ihrer neuen österreichischen hat, deutlich, wie wenig das österreichische Asyl- und Fremdenrecht auf den Menschen schaut.

Zuwanderer und Asylsuchende werden vom Gesetz und den sich daraus ergebenden Quoten lediglich als eindringende Objekte, als Störenfriede und als Kostenverursacher wahrgenommen. Kurz gesagt: Grundsätzlich werden sie einfach als Problem betrachtet. Der legislative Reflex hinter dieser Grundannahme resultiert darin, dass man versucht, Probleme möglichst weit von sich fernzuhalten oder ihnen zumindest das Leben möglichst schwer zu machen.

Die Logik eines derartigen Abwehrverhaltens verbietet es geradezu, genauer nachzuschauen, wer denn die Menschen sind, die in Österreich um Asyl ansuchen. Menschen, die nicht selten ihr Leben riskieren, um hier einen neuen Anfang zu wagen. Oder die – wie im Fall der Familie Zogaj – eine ganze Zeitlang hier leben, sich Nachbarschaften, Freundschaften und beginnende Karrieren aufgebaut haben.

Beim menschlichen Aspekt geht es gar nicht darum, große, traurige Augen mit den Buchstaben des Gesetzes abzuwägen. Es würde schon reichen, einmal eine Kosten-Nutzen-Rechnung der Zuwanderung aufzustellen. Klingt zynisch und menschenverachtend, ist aber durchaus ernst gemeint. Schließlich steht in der derzeitigen Diskussion – und auch in den gesetzlichen Bestimmungen – fast ausschließlich der Kostenfaktor im Mittelpunkt. Seien es die Kosten für die Unterbringung, seien es Sozialleistungen oder sei es das Geld, das man für Sicherheitsmaßnahmen rund um Flüchtlingsheime zu brauchen glaubt. Dass Zuwanderer auch Menschen sind, die einen Beruf erlernen und ausüben, die womöglich Qualifikationen mitbringen, die auf dem heimischen Arbeitsmarkt gefragt sein könnten, scheint niemanden zu kümmern. Dass sie womöglich auch Zugänge zum Leben haben könnten, die für eine neue Dynamik in einer fest in ihrem Frust erstarrten Gesellschaft sorgen könnten, sei nur am Rande erwähnt.

All diese Punkte interessieren den Gesetzgeber und die Exekutive, die diese Gesetze auszuführen hat, nicht. Allerdings haben mittlerweile einige Menschen, die Kontakt mit Familien haben, die auf eine ähnliche Migrationsbiografie wie die Zogajs verweisen können, sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie haben mit Arigona Zogaj die Schule besucht, mit dem jungen Denis Vuckovic Basketball gespielt oder mit Herrn Avdyli aus dem Kosovo das Badezimmer verfliest. Sie haben im Flüchtling nicht das Problem gesehen, sondern den Menschen – und sich deshalb gegen Gesetze aufgelehnt, haben gegen Abschiebungen und für den Verbleib von Menschen Stimmung gemacht. Genau diese Aktivisten haben die Schwäche der österreichischen Gesetze aufgezeigt, die Menschen nur als Problem behandeln.


Nun ist schon klar, es darf in einem Rechtsstaat keine Frage von Sympathie sein, ob jemand im Land bleiben darf oder nicht. Dafür muss es klare Regeln geben. Es ist dem Gesetzgeber aber unbenommen, dafür zu sorgen, dass man diese Regeln an neue Realitäten anpasst. Dass erstens die Menschen, die in Österreich längst Fuß gefasst haben, nicht nach jahrelangem Warten plötzlich vor der Abschiebung stehen – so viele wären wohl ohnehin nicht betroffen. Dass zweitens solche Härtefälle gar nicht erst zustande kommen – indem Asylverfahren endlich straff und zügig abgewickelt werden und damit kein Grund für Missbrauch einerseits und falsche Hoffnungen andererseits besteht. Und dass drittens die Asyl-, Migrations- und Integrationsdebatte nicht mehr ausschließlich aus einer problemzentrierten Blickweise betrachtet wird.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2012)

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