Weißrussland: „Lukaschenko hat sich verschätzt“

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Nach dem Abzug der Diplomaten könnte Brüssel schon bald Sanktionen auch gegen weißrussische Oligarchen verhängen. Beziehungen der EU zum diktatorischen Regime steuern auf eine Eskalation zu.

Moskau/Brüssel. Die Beziehungen der EU zum diktatorischen Regime des weißrussischen Präsidenten, Alexander Lukaschenko, steuern auf eine Eskalation zu. Nach der am Dienstag erfolgten Abberufung aller EU-Botschafter aus Minsk und der Einberufung der weißrussischen Vertreter in die 27 europäischen Außenministerien naht eine Verschärfung der westlichen Sanktionen. Polens Außenminister, Radek Sikorski, hat bereits am Montag erklärt, die Europäer würden sich beim nächsten Ratstreffen mit der Frage befassen, wie man auch gegen jene Oligarchen vorgeht, die Lukaschenko finanziell an der Macht erhalten.

Das sei genau der richtige Weg, erklärte der grüne Europaabgeordnete und frühere DDR-Bürgerrechtler, Werner Schulz, am Dienstag: „Der Diktator zeigt Nerven. Es gibt eine Reihe von Geschäftsleuten und Unternehmen, die dem Regime Lukaschenko direkt dienen. Gezielte wirtschaftliche Sanktionen sind wirkungsvoller als jede andere Maßnahme.“

Einreiseverbot für Staatsbeamte

Die jüngste Zuspitzung hatte damit begonnen, dass die EU am Montag die Sanktionen gegen weißrussische Offizielle ausgeweitet hat. 19 Richter und zwei Polizisten, die an der Verfolgung Oppositioneller seit den Präsidentenwahlen 2010 beteiligt waren, dürfen nicht mehr in die EU einreisen; ihre Bankkonten und Vermögen werden beschlagnahmt. Lukaschenko, der selbst gemeinsam mit seinen Söhnen, dem KGB-Chef und den obersten Staatsanwälten schon seit 2011 auf der schwarzen EU-Liste steht, reagierte wütend und warf den polnischen und den EU-Botschafter kurzerhand aus dem Land.

„Lukaschenko musste auf die neuen Sanktionen reagieren“, erklärt Hans-Georg Heinrich vom Wiener Thinktank ICEUR, „aber beim Versuch, nach alter Manier eine Warm-Kalt-Dusche mit der EU zu inszenieren, hat er sich diesmal verschätzt“. Lukaschenko habe nicht erwartet, dass sich andere EU-Staaten, vor allem auch Litauen, mit dem er ein besseres Verhältnis habe, solidarisch zeigen und ihre Botschafter abziehen.

Auch Anatoli Lebedko, der als Vorsitzender der oppositionellen Vereinigten Bürgerpartei 2011 vier Monate lang inhaftiert war, ortet eine Fehlkalkulation. Sie komme daher, dass der Präsident alle Entscheidungen ohne vorherige Beratungen mit den zuständigen Ämtern selbst treffe. „Lukaschenko hat gedacht, die EU zeige Schwäche, weil sie nicht viel mehr Leute auf die Sanktionsliste gesetzt habe, sondern nur 21.“

In der Tat hatte die EU die Liste gekürzt. So ist etwa Juri Tschysch, der mit einer slowenischen Baufirma ein Kempinski-Luxushotel in Minsk baut, vorerst ungeschoren davongekommen. Doch wenn die EU am 23.März beim Außenministertreffen die weißrussischen Geschäftsleute ins Visier nimmt, könnte sich das ändern.

Nach außen hin gibt sich Minsk zwar gelassen und warnt die EU, mit ihrer „nervösen Reaktion“ in der Sackgasse zu landen, sagte der Sprecher des weißrussischen Außenministeriums, Andrej Sawinich. Jedoch mehren sich die Zeichen, dass Lukaschenko selbst zunehmend mit dem Rücken zur Wand steht. Der katastrophale Zustand der Wirtschaft, der er mit Wahlversprechen im Vorjahr eine Inflation von 108,7 Prozent beschert hat, zwingt zu immer mehr Hilfeansuchen im Ausland.

„Der Ausverkauf läuft“

Konkret kommt Geld von Russland, das Lukaschenko „klein hält, aber nicht völlig untergehen lässt“, erklärt ICEUR-Experte Heinrich. Russland mache Druck und schiele auf weißrussische Vermögenswerte. „Die Gefahr fürs Land kommt aus Moskau, nicht aus Brüssel“, sagt Lebedko. Gefährlich werde aber auch die einheimische Elite, die bereits äußerst unzufrieden sei, erklärt Heinrich: „Vielleicht zwei, drei Jahre wird sich Lukaschenko noch halten. Inzwischen läuft der Ausverkauf.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2012)

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