Streifzug durch Wien: Shabby Chic

Design und Nichtdesign, Erprobtes und Unerprobtes, Raues und Glattes: Zusammengewürfelt, kombiniert und improvisiert. Ein Streifzug durch Wien.

Es ist beinahe so wie mit dem „cool“ und „lässig“ sein: Kaum bemüht man sich, hat man schon verloren. Vor allem auch die Ausstrahlung. Bei der Inneneinrichtung ist das nicht anders. Vor allem jetzt, weil doch Lässigsein gerade lässig ist. Und noch dazu „chic“. Ein Wort, das Gestalter gerne brechen, indem sie vorne „Retro“, „Vintage“, „Shabby“ oder „Flohmarkt“ hinzufügen. Und dabei alles in einen Stiltopf verrühren. Das Neue, Alte, Gediegene, Rauhe, Glatte, Bewährte, Unerprobte. Oder auch: Sägespäne, Kunstleder, Kuschelstoff, Blech, Holz, Resopal, Design und Nichtdesign. Die Ergebnisse  finden sich irgendwo auf der Skala zwischen „improvisiert wirken wollend“ und improvisiert. Oder auch zwischen „zusammenkonzipiert“ und „zusammengewürfelt“. Das „Schaufenster“ hat gemeinsam mit Fotograf Stefan Oláh die Innenräume Wiens nach typischen Merkmalen des Stils, der keiner ist, durchforstet.

Kokettieren mit dem Amateurhaften.
Demnächst darf Erwin Wurm auch eines seiner Kunstwerke auf dem Dach des Hotels in Wien platzieren. Er passe gut zum Hotel Daniel, meint Michael Pfaller, Geschäftsführer der Weitzer Hotels. Weil er unkonventionell ist, gerne Regeln bricht.  Das „Hotel Daniel“ will nichts wissen von Sternen und Minibars. Man kokettiert mit dem Amateurhaften. Und das sehr professionell. Auch die Einrichtung in der „Bakery“ im Erdgeschoß, im Shop, am Tisch, der eine Rezeption sein könnte, dokumentiert das. „Wir wollten alles Mögliche mischen, sodass es nicht auffällt“, erklärt Pfaller. Mit dem zweiten Geschäftsführer Florian Weitzer ist er gern in Österreich unterwegs, „um Dinge aufzuspüren“. So haben sie zusammengeklaubt, was im Hotel Daniel steht. Bedient haben sie sich bei Antiqutitätenhändlern, österreichischen Tischlern und ihrer Kunst, sozialökonomischen Einrichtungen, Flohmärkten. Aber auch im eigenen Hotel Weitzer in Graz. Dort stehen Privatmöbel aus der Biedermeierzeit in den Gängen. Jetzt ein Stück weniger. Das hängt nämlich als Hollywoodschaukel in der lichtdurchfluteten „Bakery“ in Wien. Manches haben auch die Handwerker dagelassen nach dem Umbau. Nicht, weil sie vergesslich sind, sondern weil Pfaller sie darum gebeten hat. Die Werkbank etwa, auf der der Installateur die Rohre geschnitten hat, ist jetzt Podest, im Daniel Shop gleich beim Eingang. „Wir wollten nicht ‚Shabby Chic‘ sein“, sagt Pfaller. „Wir wollten sein, wie wir sind.“ Bei der Renovierung hat man wieder entblößt, was die Architektur der 1960er-Jahre gerne versteckte. Die rohe, unbehandelte Seite des Gebäudes, die Decken, die rostigen Schrauben, die Markierungen der Handwerker. „Wir wollten die Seele bewahren“, sagt Pfaller. Spätestens bei diesem Stichwort kommt Fotograf Stefan Oláh ins Spiel. Er weiß genauso gut wie Architekten, wie schwierig das Bewahren und Einfangen von „Seele“ ist. Seine Auffangvorrichtung dafür ist die Großformatkamera, die er im Hotel Daniel postiert.

Spontan entscheiden. Auch Alain Asso spricht vom „Authentisch sein“: „Mach ein Lokal auf, so wie du es gerne hättest, nicht wie du glaubst, dass es deine Gäste gerne hätten“, sagt er. Kunstfotograf ist er, Sozialarbeiter war er. 30 Jahre, sagt er, hat er davon geträumt, ein eigenes Lokal zu haben. Jetzt führt er eines gemeinsam mit Alexandre Fedorenko. Und das „Le Troquet“ (französisch für „Beisl“) sieht aus, als wäre es ohnehin schon immer da gewesen. An den Wänden macht das Nikotin die Designarbeit. „Wir haben extra unter 50 Quadratmeter gebaut“, sagt Alain, ein Franzose. Den Rest des gestalterischen Feinschliffs haben schon in den ersten acht Monaten die Gäste erledigt, mit ihren Kanten, Ecken, Gläsern, Tellern. An der Bar – gebogen aus vier Meter Zink, unlackiert den Gästen und deren Spuren ausgeliefert. An den Tischen haben schon viel mehr gekritzelt und gekratzt. Alain und Alexandre haben sie aus dem Keller eines anderen Lokals. Notgedrungen, improvisiert. Denn wenige Tage vor der Eröffnung fehlten die Tische. „Profis haben wir nur bei der Technik, wie etwa der Beleuchtung, um Rat gefragt“, sagt Alain. Als Fotograf müsse man auch spontan entscheiden, improvisieren. „Außerdem sind wir es gewohnt, auf 20 Quadratmetern zu wohnen“. Im Möbelensemble aus Zufall und Notwendigkeit strahlen drei Bauhauslampen aus dem Jahr 1925. Der Rest kommt aus Antiquitäten- oder Altwarengeschäften. Auch die Thonet-Bugholzsessel-Repliken. Das einzige, was neu ist, sagt Alain, kommt auch von Thonet: die Barhocker.
Das Vernetzen ist unerlässlich für kreative Ein-Mann-Unternehmen. Vor allem auch analog, Schreibtisch an Schreibtisch in „Co-Working Spaces“. In Wien Margareten im Sektor 5 hängen in den Bilderrahmen „Juicy Fruit“-Kaugummischleifen und eines der Besprechungszimmer heißt nach dem deutschen Ex-Kanzler Helmut Schmidt. Schuld daran sind die Gründer und Betreiber Yves Schuzl und Karin Ruthardt. Sie vor allem hat den Raum befüllt, mit den Möbeln und Ideen, die da herumstehen. Nach neun Wochen Umbauarbeiten spürt man fast wieder die alte Tischlerei, dieses Kompliment hat Karin von den Vermietern bekommen. Der Boden ist derselbe.

Was darauf steht, kommt aus allen Ecken Österreichs und auch Deutschlands. Per ebay, vom Antiquitätengeschäft, aus der Konkursmasse. Zusammen macht das einen Mix aus Zahnarztlampe, Kunstleder aus den 1960er- Jahren, Spuren von Designklassikern, Industriecharme, den die orangen, alten Schulspinde versprühen. Und eine Menge Augenzwinkern: Wie der „Analog-Twitter“ etwa, die mechanische Schreibmaschine, mit dem man seine Botschaften an der Kühlschranktür hinterlassen kann. „Wir wollten bewusst den unfertigen, flexiblen Charakter. Und die Gemütlichkeit. Auf keinen Fall sollte es ausschauen wie ein herkömmliches Büro“, erzählt Ruthardt. Gelungen. Dass Zusammenwürfeln aus Design Strategie sein kann, zeigt das Hotel „25 Hours“ in Wien. Nach ein paar deutschen Städten ist das Konzept schließlich auch in Wien gelandet. Ein Vintage-Mix aus Original und Fälschung, aus Antiquitäten und auf alt Getrimmtem überzieht die bislang 34 Zimmer (in diesem Jahr kommen in den Untergeschoßen noch 187 hinzu). Und den „Dachboden“, der Frühstückslounge, Aufenthaltsraum und Bar am Abend nacheinander ist. Gegensätze werden bewusst aufeinander losgelassen. Roher Beton auf kuscheligem Teppich. Schnickschnack auf Funktionalität. „Emotionalisierung des Raums“, sieht Armin Fischer von Dreimeta, verantwortlich für die Gestaltung, als die Hauptaufgabe des Raumdesigners. Und natürlich sollen die obligatorischen Geschichten nicht fehlen, die die Gestaltung erzählt. In Wien wird die „Circus“-Story erzählt. „Spektakel“ ist der Beiname der „25 Hours“-Filiale. Dazu passende Motive finden sich großflächig an den Zimmerwänden wie auch in Details. 

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