Ein sinnloser Krieg

Zurück in die Steinzeit: Mehr als zehn Jahre nach Beginn des Krieges in Afghanistan brauchen die Taliban nur noch auf den Abzug der US-Armee zu warten, um ihr Gottesstaat-Experiment fortzusetzen.

Amerika fragt sich, wie das möglich ist. Sergeant Robert Bales galt als vorbildlicher und erfahrener Soldat. Vor einer Woche stand der 38-jährige Familienvater mitten in der Nacht auf, schlich sich aus seinem Stützpunkt in Kandahar, marschierte in ein Dorf namens Najib Yan und erschoss 16 afghanische Zivilisten, darunter neun Kinder.

Im Hintergrund der Tragödie erhebt sich eine andere, größere Frage: Was ist in Afghanistan schiefgelaufen? Noch sind die 130.000 internationalen Soldaten nicht abgezogen vom Hindukusch. Doch mehr als zehn Jahre nach Beginn der Operation „Andauernde Freiheit“ lässt sich durch keine Teilerfolgsgeschichten mehr überschminken, dass die Intervention gescheitert ist.

Die Taliban, die Ende 2001 mühelos aus der Hauptstadt Kabul vertrieben worden waren, brauchen sich nur noch ein paar Monate zu gedulden, bis sie zurück an die Macht spazieren und ihr islamistisches Steinzeit-Experiment fortsetzen können. In kaum zu überbietender Dummheit haben die internationalen Streitkräfte ein konkretes Datum für ihren Abzug genannt: Ende 2014. Vielleicht geht es sogar noch schneller, wenn US-Präsident Obama demnächst ein knalliges Wahlkampfversprechen hervorziehen muss. Die Taliban haben jeden Anreiz zu ernsthaften Verhandlungen verloren. Sobald sich die ausländischen „Invasoren“ aus dem Staub gemacht haben, wird sich das Kräftegleichgewicht zu ihren Gunsten verschieben. Vor der hochgepäppelten Amateur-Armee des korrupten afghanischen Präsidenten Karzai müssen sie sich nicht fürchten.

Fast 3000 Soldaten, größtenteils Amerikaner und Briten, sind für Kabul gestorben. Zehntausende Zivilisten kamen ums Leben, vorwiegend durch Anschläge der Taliban. Und wofür? Die al-Qaida, die von Afghanistan aus ihre 9/11-Attentate geplant hat, ist zwar geschwächt, aber nicht zerstört. Das Terrornetzwerk ist nach Pakistan, in den Jemen und nun offenbar auch nach Syrien ausgewichen. Die Taliban, die Osama bin Laden Unterschlupf gewährt hatten, haben ihre Comeback-Tour längst gestartet. Sollten sie das Land zurückerobern, werden sie die zivilisatorischen Fortschritte der vergangenen Dekade rasch zunichte machen; Mädchen wird der Schulbesuch dann wieder verwehrt sein. Der Drogenhandel war durch die Militärpräsenz ohnehin nie unterbrochen.

Es war ein gerechter Krieg, in den die USA an der Spitze einer internationalen Koalition nach den Anschlägen vom 11.September 2001 gezogen sind. Doch auch gerechte Kriege können falsch geführt werden. Wenn nämlich ihre Ziele nicht klar genug definiert und die Mittel deshalb zwangsläufig unangemessen sind. Um Afghanistan neu aufzubauen, hätte sich die Welt von Beginn an entschlossener engagieren müssen. Umgekehrt wäre es eine Option gewesen, sich auf den Kampf gegen al-Qaida-Zellen zu konzentrieren, anstatt sich nach ein paar Monaten schon dem nächsten Krieg im Irak zuzuwenden. So blieb die Afghanistan-Mission eine halbe, sinnlose Sache. Und halbe Sachen sind den Einsatz nie wert.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2012)

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