Eine Wiener Greißlerin klagt: Das beste Geschäft ist ihr verboten

Die restriktive Gewerbeordnung verbietet es den Händlern, am Sonntag ihr Geschäft aufzusperren. Einige finden Schlupflöcher und halten so die Wiener Greißlerkultur am Leben.

Grelles Licht füllt den Raum aus, im Warmhalteofen dörrt ein Stück Leberkäse vor sich hin, das Kühlregal ist mit Milchprodukten vom Nöm-Joghurt bis zum Schärdinger-Gouda gefüllt. „Feinkost“, wie es sich das kleine Geschäft in einer Einkaufsstraße in der Wiener Leopoldstadt an den Eingang geschrieben hat, trifft es nicht ganz. Aber dafür gibt es so ziemlich alles, was man braucht, wenn einen zu Hause nach einem langen Arbeitstag sonst nur ein leerer Kühlschrank erwartet: Packerlsuppen, Tomaten und Salat, Salz, Grieß, Kekse, Gebäck, Nudeln, Semmelbrösel, Martini und Bier. Die Inhaberin will ihren Namen und auch den Standort ihres Geschäftes nicht in der Zeitung lesen. Denn ihr Geschäft läuft dann am besten, wenn sie die meisten Dinge eigentlich gar nicht mehr verkaufen dürfte: nach dem offiziellen Ladenschluss.

Die restriktive österreichische Gewerbeordnung schreibt den Händlern genau vor, wann sie aufsperren dürfen und wann nicht: Zwischen Montag und Freitag von sechs bis 21 Uhr und samstags von sechs bis 18 Uhr dürfen sie sich 72 Stunden aussuchen, in denen sie aufmachen. Ausnahmen gibt es für Bahnhöfe – und für Tourismusregionen: Dort dürfen die Landeshauptleute die Gesetze aufheben. Aber Wiens Landeshauptmann Michael Häupl lehnt das ab und kann dabei nicht nur auf die Unterstützung der Gewerkschaft, sondern auch auf jene der Handelsvertreter in der Wirtschaftskammer zählen. Laut Daten des Wiener Marktamtes werden die Strafen wegen verbotener Öffnung am Sonntag mehr: Waren es 2009 noch 297 und im Jahr darauf 330, verzeichnete man im Vorjahr schon 400 Strafen. Eine Strafe kann mehr als 1000 Euro kosten. Verstößt ein Händler mehrmals gegen die Ladenöffnungszeiten, verliert er im schlimmsten Fall sogar seine Gewerbeberechtigung.


„Warum darf ich das nicht?“. Sehr zum Leidwesen der gebürtigen Polin, die das kleine Geschäft seit zehn Jahren führt. Weil sie zwei Gewerbeordnungen hat, eine für den Lebensmittelhandel und eine für die Gastronomie, darf sie am Abend zwar länger offen haben, aber nur Reiseproviant wie Sandwiches und Getränke verkaufen. Weil auch der Samstag dank der Touristen gut läuft, kann sie in Summe von dem kleinen Geschäft leben. Die Sache mit der Sonntagsöffnung versteht sie allerdings nicht. Vor allem nicht die Position ihrer gesetzlichen Interessenvertretung: „Warum darf ich das nicht? Wenn ein Händler das machen will, sollte man ihn eigentlich dabei unterstützen und ihm nicht Schwierigkeiten machen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2012)

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