Brindisi: Italiens Polizei sucht Einzeltäter

Brindisi Italiens Polizei sucht
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Der Anschlag auf eine Berufsschule in Brindisi forderte ein Todesopfer. Die Ermittler glauben nun nicht mehr, dass die Mafia hinter dem Attentat steckt, sondern vermuten einen Einzeltäter.

Rom. Es ist kurz nach halb acht an einem tiefblauen, noch kühlen Samstagmorgen. Um acht Uhr beginnt der Unterricht in der Berufsschule Morvillo Falcone in einem Neubaugebiet der Hafenstadt Brindisi. Ein Bus hält ein paar Meter entfernt, eine Gruppe von jungen Mädchen schlendert zum Eingang, wie jeden Samstag. Sie lernen dort Berufe wie Modedesign oder Sozialarbeit. Ein paar Minuten später wird in Brindisi, einer Stadt mit 90.000 Einwohnern, nichts mehr so sein, wie es war.

Um 7.45 Uhr gehen drei Sprengsätze hoch, die vermutlich am gleichen Morgen in der Nähe deponiert worden sind. Ihre Gewalt ist enorm, die Detonation ist in der ganzen Stadt zu hören, in den umliegenden Häusern zerspringen die Fenster. Eine 16-jährige Schülerin stirbt, eine weitere ringt mit dem Tod, vier andere sind zum Teil ebenfalls schwer verletzt.

„Es ist eine Tragödie“, stammelt Cosimo Consales wenig später. Er ist erst vor 14 Tagen zum neuen Bürgermeister gewählt worden. „Wir müssen verstehen, was passiert ist.“ Doch wie soll man dieses Unbegreifliche verstehen, dass jemand sich eine Schule als Ziel ausgesucht hat? Das hat es in Italien noch nie gegeben, und es ist ja nicht so, dass es dem Land an Erfahrung mit blutigen Attentaten mangeln würde. Spezialeinheiten der Polizei riegeln die Schule ab, die Ermittlungen beginnen. „Das sollte ein Blutbad werden“, ist ein Lehrer überzeugt.

Erster Verdacht fällt auf Sacra Corona

Ein Verdacht wiegt sofort schwer: „Einen beispiellosen Angriff der organisierten Kriminalität“ vermutet Consales. Viele in Italien denken so. Es kann doch kein Zufall sein, dass gerade diese Schule ausgesucht wurde. Vor Kurzem hat sie einen Preis für Zivilcourage gewonnen, und sie trägt die Namen des Opfers eines anderen Anschlags, der tief im kollektiven Gedächtnis des Landes eingegraben ist. Es ist fast auf den Tag 20Jahre her, dass Francesca Laura Morvillo und ihr Mann, der sizilianische Mafiajäger Giovanni Falcone, von einer Autobombe der Cosa Nostra zerfetzt wurden. Ein Zufall?

Brindisi gehört nicht zum Hoheitsgebiet der Cosa Nostra, es liegt in Apulien. Doch auch hier gibt es eine Mafiaorganisation. Die Sacra Corona Unita ist die kleinste der italienischen Mafiagruppen, sie wirkt eher im Verborgenen. An diesem Samstag sollte ein Anti-Mafia-Marsch in Brindisi ankommen, der sich seit Mitte April durch verschiedene Städte Süditaliens bewegt. Erst vor Kurzem hatte die Polizei eine ganze Reihe von Mitgliedern der Sacra Corona verhaftet, prompt kam es zu einem Anschlag gegen eine lokale Anti-Mafia-Organisation.

„Anschlag hat für Mafia keinen Sinn“

Als „Grausamkeit ohne Gleichen“ verurteilt Innenministerin Anna Maria Cancellieri die Tat, doch sie hält sich mit Schuldzuweisungen bewusst zurück. „Der Hintergrund ist noch nicht klar“, mahnt sie, Genaueres würden erst die Ermittlungen ergeben. Auch Polizeichef Antonio Manganelli warnt vor voreiligen Schlüssen. „Die Mafia hat noch nie einen solchen Anschlag verübt.“ Gegen die Mafia als Täter spricht auch die Bauweise der Sprengsätze, der oder die Täter setzten kein Dynamit, sondern Gasflaschen ein. „Ein solcher Anschlag ergibt keinen Sinn für die Mafia“, glaubt auch Cataldo Motta, Staatsanwalt im nahen Lecce.

Das Land vernimmt die Nachricht schockiert, zu viele Erinnerungen an andere grausame Anschläge werden wach. Apuliens Ministerpräsident Nichi Vendola eilt sofort zum Tatort, Ministerpräsident Mario Monti ordnet eine dreitägige Staatstrauer an.

Am Abend finden in vielen Städten Italiens Märsche gegen die Mafia statt. Derweil laufen die Ermittlungen, ein Zeitzünder wird gefunden. Am Tag danach wackelt die Mafia-Theorie, eine erste Auswertung von Videokameras in der Umgebung ergibt ein anderes Bild. Eventuell war es die Tat eines Einzelnen, heißt es nun aus Ermittlerkreisen. Eine Tat nach dem Strickmuster von Anders Breivik womöglich? Alles weise auf einen Einzeltäter hin, der sich mit Elektronik auskenne, sagt Staatsanwalt Marco Dinapoli am Sonntag zu Mittag, auf einen, der „sehr zornig auf die Welt ist“. Sogar ein erstes Phantombild ist bereits erstellt worden.

Damit wird auch die dritte Variante noch unwahrscheinlicher: dass es sich um einen linksextremistischen Anschlag gehandelt haben könnte. Erst vor zwei Wochen hat die Federazione Anarchica Informale einen Atommanager in Genua auf offener Straße ins Knie geschossen und mit weiteren Anschlägen gedroht. Doch auch die Attentate der Roten Brigaden und ihrer Nachfolger haben sich nie gegen Jugendliche gerichtet.

Motivsuche

Erste Zweifel an der Urheberschaft der Mafia wurden noch am Samstag geäußert. So sei etwa der Einsatz von Gasflaschen untypisch, die Killer der Cosa Nostra würden Dynamit bevorzugen. Linksextreme Terroristen dürften auch nicht hinter dem Anschlag stecken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2012)

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