Merkel hielt sich beim Gipfel zurück, hofft auf bessere Stimmung nach der Wahl.
Der Wind hat gedreht. Jahrelang war Angela Merkel die unbestrittene Rädelsführerin bei jedem EU-Gipfeltreffen. Sie gab die Themen vor, verhandelte energisch und setzte ihren Kopf am Ende (fast) immer durch. Schon im Vorfeld steckte sie ihre Positionen mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy akribisch ab – oft sehr zum Ärger der übrigen 25 Gipfelteilnehmer. Diese Zeiten sind vorerst vorbei.
Mit stolzgeschwellter Brust und sichtlich gut gelaunt betrat Sarkozy-Nachfolger François Hollande am Mittwoch erstmals das glatte Brüsseler Parkett und – reüssierte. An Spargel und Petersfisch erläuterte er seine Vision von gemeinsamen europäischen Anleihen und markierte damit das wichtigste Thema des Abends. Zwar wollte Merkel zunächst nicht von ihrem kategorischen „Nein“ zu Eurobonds in der jetzigen Phase abweichen. Klar ist aber: Es hat sich etwas verändert im Gefüge der 27. Das ehemalige deutsch-französische Bollwerk ist in zwei Lager zerfallen, die für das weitere Vorgehen in der Krise äußerst unterschiedliche Positionen vertreten.
Noch ist in Frankreich Wahlkampf; Merkel weiß das. Sie hat sich also erst einmal vornehm zurückgehalten und ihrem neuen Kollegen den großen Auftritt gewährt. Das Kalkül der Deutschen: Sobald das neue Parlament in Paris gewählt ist, wird auch Hollande leichter mit sich reden lassen.
Tatsächlich ist es in der momentanen Situation unerlässlich, dass die beiden größten Volkswirtschaften der EU wieder zusammen an einem Strang ziehen. Ein flüchtiges gemeinsames Lächeln in die Kameras schafft kein Vertrauen in diesem Europa.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2012)