Veto-Drohungen beim Europäischen Gipfel

Europaeischer Gipfel Veto
Europaeischer Gipfel Veto c REUTERS YVES HERMAN
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Knapp eine Billion Euro soll die EU von 2014 bis 2020 ausgeben können. Wo und wofür, ist seit Donnerstagabend Gegenstand eines zähen Streits und zahlreicher Blockadedrohungen.

Cold cuts for everybody: Humor kann man Herman Van Rompuy, dem Präsidenten des Europäischen Rates, nicht absprechen. Denn für die 27 Staats- und Regierungschefs gibt es bei ihrem Gipfeltreffen dieses Mal nur Aufschnitt, auf Englisch eben „cold cuts“. Kalte Einschnitte wird es auch beim Rahmen für die EU-Budgets der Jahre 2014 bis 2020 geben, auf den sich die 27 unter Van Rompuys Moderation seit Donnerstagabend zu einigen versuchen.

Circa 23 Milliarden Euro weniger soll die EU im Vergleich zur laufenden Periode ausgeben dürfen: rund zwei Prozent Kürzung, die den Briten, Schweden, Niederländern und Deutschen nicht weit genug geht. Denen, die mehr aus den EU-Geldtöpfen bekommen, als sie einzahlen, sind die Einschnitte hingegen zu tief. Und so wird hüben wie drüben mit dem Veto gedroht. Denn der neue Haushalt erfordert Einstimmigkeit.

Übrigens: Das lateinische Word „Veto“ („ich verbiete“) wurde im 17. Jahrhundert in der polnisch-litauischen Adelsrepublik in den Sprachgebrauch übernommen. Jeder Adelige im Parlament, dem Sejm, konnte mit seiner Stimme jede Entscheidung blockieren. Die Folgen sind bekannt: Das politisch gelähmte Polen verschwand 1795 für mehr als hundert Jahre von der Landkarte.

Großbritannien beharrt auf Rabatt. David Cameron steht mit dem Rücken zur Wand: Die Europaskeptiker in der eigenen Partei drängen ihn zu einem Veto, sollte es keine Kürzungen geben. Er fordert minus 200 Milliarden Euro gegenüber dem Kommissionsvorschlag in Höhe von 1025 Milliarden Euro. Die meisten anderen Nettozahler wären mit Kürzungen von 100 Milliarden Euro zufrieden. Zudem fordert Cameron die Beibehaltung des großzügigen Rabatts in Höhe von etwa 3,6 Milliarden Euro jährlich. Allerdings zeigt nun auch die Kommission Zähne: Sie hat gedroht, notfalls ein Budget ohne Britannien zu erstellen.

Rumänen zittert um Förderungen. Regierungschef Victor Ponta fordert ein Veto, sein Erzfeind Präsident Traian Basescu hingegen hält das für taktisch unvernünftig – und es ist Basescu, der Rumänien beim Gipfel vertritt. Dem Land drohen nämlich gut vier Milliarden Euro an Strukturförderungen durch die Lappen zu gehen. In der aktuellen Budgetphase sind rund 19 Milliarden Euro an Strukturfonds für Rumänien reserviert. Doch das Land schöpft höchstens ein Fünftel dieser Mittel aus. Darum schlägt Van Rompuy vor, Ländern, die ihre Fonds nicht ausreichend nutzen, diese zu kürzen.

Ungarn droht Milliardenverlust.Budapest würde 30 Prozent seiner Kohäsionsmittel verlieren, gut 7,5 Milliarden Euro. Denn laut Van Rompuy soll kein Land mehr als 2,4 Prozent seiner Wirtschaftsleistung aus EU-Töpfen empfangen. Ungarns Wirtschaft ist aber seit der Berechnung dieses Wertes stark geschrumpft. Damit so viel Geld wie bisher aus Brüssel ankommt, müsste die Schwelle bei 3,5 Prozent liegen. Rund 90 Prozent der öffentlichen Investitionen in Ungarn werden von der EU bezahlt. Versiegt diese Quelle, kann Ungarns Infrastruktur kaum modernisiert werden.


Italien will weniger einzahlen. Wenn der Finanzrahmen „schädlich für das Land und eine Last für die italienischen Steuerzahler ist“, sei Rom bereit, sein Veto einzulegen, sagte Europaminister Enzo Moavero Milanesi. Die Regierung fordert eine Kürzung ihrer Nettobeiträge, weil die Wirtschaftsleistung pro Kopf unter den EU-Durchschnitt gesunken ist. Gleichzeitig verwehrt sich die Regierung jedoch gegen Kürzungen in der Agrar- und Kohäsionspolitik.

Frankreich schützt seine Bauern. Unantastbar sind für Paris die Agrarförderungen. Denn Frankreich ist seit jeher ihr größter Profiteur; derzeit bekommt es jährlich rund acht Milliarden Euro. Van Rompuys Vorschlag einer Kürzung von 371 Milliarden Euro auf 364,5 Milliarden Euro sei inakzeptabel. „Die Agrarpolitik erlaubt uns, unsere Bevölkerung zu ernähren. Das ist ein Konzept der Solidarität“, sagte Präsident François Hollande vor Beginn des Gipfels. Leitartikel Seite 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2012)

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