MS Europa: See-Sterne an Bord

Ein eigener Kaviarkühlraum, kandierter Ingwer gegen Seekrankheit und gemahlene Austernschalen: Einblicke in die Küche auf der MS Europa.

Für Feldforschung in Sachen MS-Europa-Gästeprofil sind die Gespräche, deren Zeugin man mitunter auf der Damentoilette neben dem Bordrestaurant wird, aufschlussreicher als ein Rundblick auf Perlengröße und Handtaschenlogos: Zwei ältere Damen unterhalten sich über die Qualität von Zuchtkaviar und geben sich gleichermaßen aufgeschlossen wie expertinnenhaft. Mittlerweile käme Zuchtkaviar ans wilde Original durchaus heran – „Früher hat man den ja nicht essen können!“ –, klärt die eine Wohlondulierte die andere auf, die andere, ebenfalls wohlonduliert, klärt wiederum die eine darüber auf, wie oft sie und ihr Mann auf Schloss Lerbach Gäste des früheren Küchenchefs Dieter Müller gewesen seien.

Eine Frage der Sterne.
Müller, deutsche Kochlegende, entflieht der Pension auf hoher See und ist 70 Tage im Jahr Küchenchef des kleinen Gourmetrestaurants an Bord der MS Europa. Die Menüs dort sind überaus klassisch und im Reisepreis dabei. Die Crew versucht, jedem Gast zumindest einen Besuch im „Restaurant Dieter Müller“ pro Reise zu ermöglichen. Was die Auszeichnungen betrifft, gibt es Klärungsbedarf, findet die Journalistin, und wagt nachzufragen: „Sterneküche auf hoher See“ – damit wirbt die MS Europa. Dabei testet der Guide Michelin doch gar keine Schiffsküchen und hat dem Gourmetrestaurant des Kreuzfahrtschiffs keine seiner begehrten Auszeichnungen verliehen. Ist es also legitim, von „Sterneküche im Restaurant Dieter Müller“ zu schreiben? Dieter Müller ist mit seinen drei Michelin-Sternen zwar in Pension gegangen und darf sich weiterhin Sternekoch nennen, weil sie ihm nie aberkannt wurden. Mit Müllers Auszeichnungen darf sich aber doch nicht automatisch jeder neue Arbeitsplatz schmücken. Hektisch werden Blicke hin- und hergeworfen. Bei der folgenden Erklärung zu den Sternen hapert es durchaus, die Diskussion zur Rechtslage wird unsanft abgebrochen: „Gemeint sind die Hotelsterne der MS Europa“, versucht man die Journalistin zu beschwichtigen. Das „Restaurant Dieter Müller“ an Bord würde nach dieser Theorie der Pressesprecherin also gleich fünf Sterne tragen. Interessant. Müller selbst sieht das alles nicht so tragisch, „die Leute kommen wahrscheinlich nicht wegen der Sterne, sondern wegen des Namens Dieter Müller“. Gut, dass zur Beruhigung der Nerven allerseits Champagner bereitsteht. Oder kandierter Ingwer, der eigentlich als Mittel gegen Seekrankheit gedacht ist.

Hummermassen.
Die MS Europa gilt nicht nur RankingFreaks als bestes Kreuzfahrtschiff der Welt, fünf Sterne plus heißt es für Service und Ausstattung. Man ist keineswegs verwundert, auf dem Vorrätedeck hinter dicken Türen einen eigenen Kühlraum für Kaviar präsentiert zu bekommen. 500 Kilo werden jährlich an Bord genossen, verlautbart der österreichische Hotelmanager Josef Gruber. Die Kosten für den Käse seien aber noch höher als jene für den Kaviar. Weiters: 4,2 Tonnen Hummer pro Jahr, 12.000 Flaschen Champagner und nur 350.000 Eier – „wenn wir ein amerikanisches Schiff wären, müssten Sie das Zehnfache rechnen, allein fürs Frühstück!“ Diese Mengen erfordern immerhin 40.000 Rollen Toilettenpapier – eine knifflige Sache: „Es muss auf unserem Hotelstandard natürlich dreilagig sein, aber trotzdem durch die Vakuumpumpe passen.“ Wenn einem Lieferanten unterwegs dieses Papier ausgeht? „Katastrophe!“

Alles, was die Küche verlässt – und das ist speziell auf den Gourmetkurzreisen auf der MS Europa vieles und Teures –, muss vernichtet werden, so ist die Rechtslage. Man darf sich also als Wohltäter fühlen, wenn man noch Nachschlag von Hummer und Austern nimmt, bevor die Reste vermahlen und ins Meer abgelassen werden.
Über die Küchenlogistik an Bord könnte man viel schreiben – ein hochgradig heikles Konstrukt. Viele Zutaten werden in Hamburg gekauft und entweder tiefgekühlt mitgenommen oder an einen Hafen geschickt, den die MS Europa anläuft, erzählt Dieter Müller. Die Hauptprodukte müssten drei bis vier Monate im vorhinein feststehen, viele Zutaten kaufe man aber natürlich unterwegs, etwa Kräuter oder frische Beeren. „In Shanghai oder Saigon ist es besonders toll, die haben Minigemüse, da wird man neidisch.“ Die Arbeit hier sei für viele Köche reizvoll, sagt Müller, nicht nur, weil das Gehalt auf See nahezu steuerfrei ist. Als Bordkoch sei man zwar weniger flexibel, was die Zutaten betrifft. „Glück haben wir aber unter anderem mit den massenhaft Hummerkarkassen aus der Großküche, die ich für Bisque etc. verwenden kann. Ich achte aber darauf, dass sich die Köche hier nicht zu sehr daran gewöhnen.“ Schließlich sollen sie nach einem Jahr an Bord wieder unter normalen Bedingungen arbeiten.

TIPP

Trockenkurs. Kurzweilige Lektüre über Kreuzfahrtreisen bietet dieses Buch (Kiepenheuer & Witsch). Warum man breites Klebeband dabeihaben sollte (um Kühlschlitze in der Kabine zuzukleben) oder warum manchmal die Tischtücher mit Wasser eingesprüht werden (das Porzellan verrutscht bei hohem Seegang nicht). Infos über die nächsten Reisen mit der MS Europa: Ferienmesse Wien Halle A/Stand A0432, www.hlkf.at/schiffe/ms-europa

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