Wie man das Begehren begehren lernt

Ist das Volksbegehren tot, weil die Politik es gemeuchelt hat? Oder ist es eingeschlafen, weil die Wähler Mitbestimmung eher in der Theorie schätzen?

Was ist Ironie? Wenn ein Volksbegehren für mehr direkte Demokratie an direkter Demokratie scheitert – und im Scheitern beweist, dass es mehr direkte Demokratie brauchen würde.

So zumindest lautet eine der Erklärungen der Proponenten: Der schlechte, weil folgenlose Umgang der Regierung mit den Volksbegehren habe den Menschen in vorauseilendem Frust nachhaltig die Lust aufs Begehren genommen. Man hätte ja gewusst, dass sich nichts ändert. Abgesehen davon, dass man grübeln muss, warum man – im offenbar sicheren Wissen dessen – überhaupt ein solches Begehren gestartet hat, stellt sich die Frage: Stimmt das? Ist das Volksbegehren tot? Jetzt endgültig? War das Bildungsvolksbegehren, das es trotz großen finanziellen Aufwands nur zum berühmten Begräbnis erster Klasse im Sonderausschuss gebracht hat, bereits der Beweis dafür?

Für eine glasklare Antwort liegt nach dem Zerbröseln der beiden letzten Volksbegehren noch zu viel Ursachengeröll herum (u.a. falsch formulierte Themen, formlose Wunschlisten), aber man darf vermuten: So ganz falsch ist der Verdacht nicht. Dafür muss man nur ins aktuelle Demokratiepaket der Regierung blicken. Darin findet man etwa den Vorschlag, dass Bürger mündlich eine Anfrage an ein Regierungsmitglied stellen dürfen, wenn sich innerhalb einer Woche 10.000 Unterstützer finden und die Anfragen unter jenen sieben ist, die die meisten Stimmen hat. Anders formuliert: Wenn man den Wähler frotzeln will, kann man ihm das auch direkt sagen.

Tatsächlich haben ÖVP und SPÖ in der jüngeren Vergangenheit bewiesen, dass es ihnen beim Thema direkte Demokratie vor allem um ihre eigenen strategischen Interessen geht: Bei der Wiener Volksbefragung wurde mit Propagandafragen vom Parkpickerl-Bürgerprotest abgelenkt, die Volksbefragung zum Zivildienst hat Erwin Pröll bestellt. Und dass das grüne Antikorruptionsvolksbegehren in zeitlicher Nähe zum Wahlkampf stattfindet, ist was – ein Zufall? (Über die vielen FPÖ-Volksbegehren braucht man ohnehin nicht mehr zu reden.) Direkte Demokratie wurde und wird als verlängerte Werkbank von Parteizentralen verstanden. Auch das Demokratievolksbegehren kam eigentlich nicht aus der viel zitierten „Mitte der Bevölkerung“. Es waren Politiker, wenn auch Ex-.

Der enge Konnex zur Parteipolitik, die die Demokratie-Entertainment-Show mit viel Geld inszeniert, ist mit ein Grund, warum man den Segnungen einer Volksgesetzgebung – also dass ein Volksbegehren ab einer bestimmten Unterstützeranzahl automatisch zu einer Volksabstimmung führt – skeptisch gegenüberstehen kann. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Umgang mit Volksbegehren, so wie er jetzt ist, unredlich ist, und über die Rahmenbedingungen (Finanzen etc.) dringend geredet werden muss. Bürger nur ernst nehmen, wenn es einem gerade (in die Wahlkampfkampagne) passt, geht nicht. Und es entspricht auch nicht der demokratiepolitischen Tendenz, wonach sich Menschen nicht mehr langfristig mit Parteien identifizieren, sondern eher bei einzelnen Sachthemen mitreden würden. Sofern man sie lässt.

Und sofern man ihnen Lust darauf macht – und da geht es nicht nur um vereinfachte Online-Abstimmungen. Es gibt einen Grund, warum Schweizer Experten gern empfehlen, direkte Demokratie auf Kommunal- und Länderebene zu üben. Es klingt zwar kleinmütig, aber Demokratie ist eben auch ein Lernprozess. Warum gab es z. B. eigentlich kein Volksbegehren zur Abschaffung der Wehrpflicht? Hatte niemand die Idee? Tatsächlich zeigen sich die Österreicher, was Mitbestimmung betrifft, ambivalent. Einerseits regt man sich über die Ohnmacht auf, andererseits sollen „die Politiker Politik machen – weil wozu zahlen wir die?“ Das spiegelt sich auch in Studien wider, wie etwa von Ifes 2012: Achtzig Prozent wollen einen Ausbau der direkten Demokratie, gleichzeitig sind nur 19 Prozent politisch interessiert. Das müssen auch jene zur Kenntnis nehmen, die jetzt wie enttäuschte Pädagogen auf die bockigen Wähler blicken. Denn wer glaubt, dass man der Bevölkerung das Aufbegehren verordnen kann, hat direkte Demokratie nicht verstanden. Oder keinen Sinn für Ironie.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2013)

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