Total-Flop für zwei Volksbegehren

APA/ROLAND SCHLAGER
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Die Begehren für mehr Demokratie und gegen Kirchenprivilegien bilanzieren schlechter als alle bisherigen Volksbegehren. Das hat Desinteresse, aber auch Strukturmängel als Ursachen.

Wien. So schlecht haben überhaupt noch keine Volksbegehren in Österreich bilanziert: Nur 69.841 Unterstützer (1,1 Prozent aller Stimmberechtigten) fand bis gestern, Montag, das Volksbegehren „Mehr Demokratie!", 56.660 Unterschriften (0,89 Prozent) zählt das „Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien", das ebenfalls ab dem 15. April stattgefunden hat. Damit reihen sich die beiden Begehren auf den Plätzen 36 und 37 hinter allen anderen 35 Volksbegehren der Zweiten Republik ein - noch hinter dem Begehren für einen Euratom-Austritt 2011 (98,678 Unterschriften, Platz 34) und jenem „Pro Motorrad" 1995 (75.525 Unterschriften, Platz 35).

„Sogar die Easy Rider haben uns geputzt", ärgert sich im „Presse"-Gespräch Wolfgang Radlegger, einst SPÖ-Landesparteichef in Salzburg und Gründungsvater von „Mein Österreich" - jener überparteilichen Bewegung, die von prominenten Altpolitikern angeführt wurde und das Demokratie-Begehren seit dem Vorjahr vorbereitet und umgesetzt hat.

„Zahnlos geworden"

Radlegger, auf der Suche nach einer Begründung für den Rundum-Flop: „Volksbegehren sind einfach zahnlos geworden und nicht mehr glaubwürdig. Immer wieder haben uns Leute gesagt: Auch das Bildungs-Volksbegehren mit 380.000 Stimmen ist schubladisiert worden. Warum soll ich da noch unterschreiben?"
Auch prominente Mitstreiter Radleggers in Wien wie der frühere ÖVP-Vizekanzler Erhard Busek und Ex-EU-Abgeordneter Johannes Voggenhuber (Grüne) sehen es als Hauptgrund, dass bisher zwar alle 33 Volksbegehren mit mehr als 100.000 Stimmen pflichtgemäß im Nationalrat behandelt wurden, sie aber kaum einmal politisch umgesetzt wurden. Als Ausnahmen gelten das erste Volksbegehren für eine ORF-Reform 1964 (mit 832.353 Stimmen) oder das Anti-Gentechnik-Volksbegehren 1997.

Mit 1,2 Millionen Unterstützern landete es auf Platz zwei aller österreichischen Begehren hinter jenem gegen ein Konferenzzentrum 1982 (fast 1,4 Millionen Unterstützer).
„Das Instrument ist tot", sagte am Montagabend im „Presse"-Gespräch auch Niko Alm, Vorreiter des Anti-Privilegien-Begehrens, über Volksbegehren der jüngeren Zeit. Dass man die 100.000-Stimmen-Hürde so deutlich verfehlt hat und das „Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien" daher nicht ins Parlament kommen wird, sei vor diesem Hintergrund nicht weiter tragisch: Das eigentliche Ziel - dass wieder intensiver über die Trennung von Kirche und Staat oder die Aufklärung von Missbrauchsfällen gesprochen wird - habe man in den Vorwochen schließlich erreicht.

„Wir bleiben dran"

An den Inhalten habe es jedenfalls sicher nicht gelegen, glauben sowohl die Proponenten des „Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien" als auch jene von „Demokratie jetzt!": „Wir bleiben an den Themen dran", sagten sie am Montagabend unisono.

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Dennoch haben die Begehren offenbar nicht nur unter mangelndem Engagement des Volkes gelitten. Auch strukturelle Mängel dürften zum schwachen Zulauf bis Montag beigetragen haben.

So musste sich „Demokratie jetzt!" bzw. schon ab 2012 die Bewegung „Mein Österreich" wiederholt den Vorwurf gefallen lassen, im Wesentlichen eine „Altherrenpartie" zu sein - und zwar angeführt von (Ex-)Politikern, die selbst jahrelang Teil jenes Systems waren, das sie jetzt vehement bekämpfen. Stichwort: neues, personalisiertes Wahlrecht, verpflichtende Volksabstimmungen nach Volksbegehren mit 300.000 Stimmen, unabhängige Justiz und Medien, Offenlegung aller Parteienfinanzen. Damit wären sie unglaubwürdig, meinten Kritiker.

Der Konter Radleggers: „Wer sonst", wenn nicht „alte Herren", sollte eine solche Initiative heute tragen: „Mir kann keiner mehr was anhaben, ich kann mich trauen."

„Alte Herren", wenig Geld

Ebenfalls negativ ins Gewicht gefallen sein dürfte gerade beim Demokratie-Begehren eine gewisse Ressourcen-Schwäche: Den Proponenten mangelte es nicht nur an (professionellem) Personal im Hintergrund, sondern auch an Geld. Neben Kleinspenden konnten sie sich im Wesentlichen auf ihr privates Geld stützen - in Summe standen angeblich 80.000 Euro für das Volksbegehren zur Verfügung. Mit der Konsequenz, dass man viel mehr auf das Internet als etwa auf (teure) Inserate setzte. „Wir hatten einfach nicht viel Werbung", sagt Busek. Und, so Radlegger: Heute habe man sogar 30.000 Euro Schulden. Anders als bei Volksbegehren, die mindestens 100.000 Unterstützer zählen, gebe es kein „Geld zurück" vom Staat.

Beim „Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien" (mit den Privilegien gemeint ist beispielsweise die steuerliche Absetzbarkeit des Kirchenbeitrags) glaubte man zwischendurch auch bei sich selbst Kommunikationsfehler zu erkennen: Einzelne Punkte hätte man besser oder präziser formulieren können. So hätte man zum Beispiel statt von „Kirche" von allen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften sprechen können, die selbstverständlich gemeint seien, sagte Alm einmal im ORF-Radio Ö1.

Mächtiger „Gegner" Kirche

Freilich hatte man es mitunter mit einem (über-)mächtigen „Gegner" zu tun: Während die katholische Kirche das Volksbegehren zunächst vermeintlich ignorierte, ließ sie später zahlreiche Leistungen ihrer selbst auf eine Million Flugzetteln drucken.

Es seien eben so viele - oder eigentlich wenige - Stimmen für das Begehren geworden, „weil nicht mehr Leute hingegangen sind", bilanzierte Alm am Montag knapp.
SPÖ und ÖVP sowie die Oppositionsparteien reagierten auf die Ergebnisse vorerst verhalten - oder gar nicht. Die Grünen hatten erst unlängst ihre Unterstützung für das Anti-Privilegien-Begehren etwas abgeschwächt, für das Demokratie-Begehren scheint man unverändert Sympathie zu haben.

Was jetzt darauf folgt? Radlegger hofft auf ein „sinnvolles" Demokratiepaket von Rot und Schwarz (siehe unten stehenden Artikel). Was ihn schmerzt: „Die Regierung könnte jetzt auch sagen: Seht her, das Thema ist eh nicht so heiß und eigentlich schon erledigt. Aber das ist nicht so, und ich bin sicher: Das wäre auch nicht im Interesse der Bürger."

Auf einen Blick

Von 15. bis 22. April liefen die Volksbegehren „Demokratie jetzt!“ und „Gegen Kirchenprivilegien“. Mit 69.841 bzw. 56.660 Stimmen liegen sie hinter allen anderen 35 Begeh- ren. Die bisher schwächsten fünf:
- „Atomfreies Europa“ 2003 (131.772)
- „Gegen Abfangjäger“ 1985 (121.182)
- „Rundfunkfreiheit“ 1989 (109.197)
- „Raus aus Euratom“ 2011 (98.678)
- „Pro Motorrad“ 1995 (75.525).

(Red.)

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