Seit 1. Mai 1994 hat die Formel 1 kein Todesopfer mehr zu beklagen. Der Entwicklung seit dem Unfall von Ayrton Senna sei Dank.
Irgendwann wird das Blind Date mit dem unbekannten Feind nicht mehr gut ausgehen, das spüren alle, und in Monaco spüren sie es besonders. Wenn, wie gestern Vormittag, an Felipe Massas Ferrari ein Teil bricht und Sekundenbruchteile später die Reifen mit den schweren Felgen am Chassis des roten Boliden anklopfen, nur wenige Zentimeter vor seinem Kopf. Es klingt wie eine Warnung, wieder einmal.
Es ist gut gegangen, wie immer in diesen 6966 Tagen. Wenn nichts passiert, kann sich die Formel 1 in einem Monat über 1000 Wochen freuen, in denen kein Pilot tödlich verunglückt ist – seit dem 1. Mai 1994, als es mit Ayrton Senna den vielleicht Größten aller Zeiten erwischt hatte, erschlagen von einem Teil seines auseinandergebrochenen Williams, einen Tag nachdem sich der Österreicher Roland Ratzenberger bei einem Crash das Genick gebrochen hatte.
Als im Vorjahr Prof. Sid Watkins wenige Tage nach seinem 84. Geburtstag in einem Londoner Spital starb (an Krebs), setzte sich Rudi Ratzenberger im Erdgeschoß seiner Wohnung in Salzburg an den Schreibtisch, sein Blick fiel auf den Overall, die Helme und die Fotos seines verunglückten Sohnes. Dann schrieb er einen Brief, den er an einige Magazin-Redaktionen faxen würde. Ein Brief voller Dankbarkeit und Herzlichkeit für den Rennarzt der Formel 1: „Watkins hat die Leben so vieler Rennfahrer gerettet, ihm gebührt auf ewig ein Ehrenplatz in der Formel-1-Geschichte.“
So bizarr es auch klingt: Sennas Tod dürfte fünf bis zehn Menschenleben gerettet haben. Dass es an jenem Sonntag im Mai den Besten der Besten erwischt hatte, ließ Männer wie Watkins und den damaligen FIA-Präsidenten Max Mosley aufwachen und sie begannen eine einzigartige Erfolgsgeschichte im Kampf gegen den Tod auf der Rennstrecke. 34 Piloten waren bis dahin seit 1950 auf der Piste zu Tode gekommen, keiner mehr danach. Zwar hatte es schon in den Achtzigerjahren Fortschritte gegeben: Man hatte die Benzintanks in den Seitenkästen verboten, die die Autos zu Brandbomben werden ließen; McLaren hatte mit einem fast unzerstörbaren Kohlefaser-Chassis eine neue Ära eingeleitet und Crashtests waren ab 1985 Pflicht – doch nun ging man in Sicherheitsfragen mehrere Schritte weiter.
Ab 1995 musste, als unmittelbare Folge des Senna-Dramas, ein Nackenschutz im Cockpit eingebaut werden, damit der Kopf bei einem Aufprall links, rechts und hinten abgefedert wird. Nur deshalb überlebte der polnische BMW-Pilot Robert Kubica 2007 in Montreal einen Unfall, bei dem er mit 208km/h eine Mauer touchierte; bei dem Aufprall wirkte eine Kraft von 40g auf ihn. Er blieb nahezu unverletzt.
2000 wurden Radseile zur Pflicht – sie verhindern in 90 Prozent der Unfälle, dass sich die Räder vom Auto lösen und jemanden erschlagen. Für Massa war es ein Glück, dass beide Vorderreifen an den Seilen blieben. 2003 kam dann HANS, das „Head and neck support“-System, das einen Genickbruch bei heftigem Aufprallen verhindern soll. Und 2007 mussten die Seitenteile der Cockpits mit Zylon verstärkt werden – ein Material, das die Autos zehn Kilo schwerer macht, das aber auch bei schusssicheren Westen verwendet wird.
Und doch bleibt die Formel 1 ein russisches Roulette. Auch wenn seit fast 1000 Wochen nichts passiert ist, wenn etwas passiert ist. Sebastian Vettel: „Wir vergessen nicht, wie gefährlich unser Sport ist.“
GP von Monaco
Rosberg holte Pole-Position
Favorit Nico Rosberg hat sich die Pole-Position für den GP von Monaco gesichert. Der 27-jährige Deutsche nimmt den Klassiker am Sonntag (14Uhr, live ORFeins, RTL und Sky) neben seinem Mercedes-Teamkollegen Lewis Hamilton in Angriff. Für Rosberg ist es die dritte Pole in Serie, im Rennen hatte sein Team zuletzt aber mit Reifenproblemen zu kämpfen. Gute Chancen werden auch dem in der zweiten Reihe startenden Sebastian Vettel und Vorjahressieger Mark Webber eingeräumt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2013)