Die Macht der Bilder aus dem Weißen Haus

Macht Bilder Weissen Haus
Macht Bilder Weissen Haus(c) Pete Souza
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Obamas Chef-Fotograf Pete Souza inszeniert den Präsidenten stets in bestmöglichem Licht. Für viele Amerikaner erzählt Souza die Geschichte dieser Präsidentschaft.

Der 1. Mai 2011 war ein regnerischer und kühler Sonntag in Washington. Dennoch verließ Präsident Barack Obama wie geplant das Weiße Haus, um beim Luftwaffenstützpunkt Andrews Golf zu spielen. Der Anschein von Normalität war gerade an diesem Tag wichtig. Obama spielte nur neun Löcher, dann brach er ab, kehrte zurück und begab sich kurz nach 16 Uhr noch in Golfkleidung in einen Nebenraum des Situation Room, der strategischen Kommandozentrale im West Wing des Weißen Hauses. Der Raum war bald überfüllt, Außenministerin Hillary Clinton, Vizekanzler Joe Biden, rund ein Dutzend Sicherheitsberater, Geheimdienstleute, hohe Militärs waren bereits vor dem Präsidenten anwesend. Mehr waren nicht erwünscht: Noch konnte alles schiefgehen bei dem seit Monaten geplanten Kommandounternehmen im pakistanischen Abbottabad, wo Erzfeind Osama bin Laden vermutet wurde. Die Videoübertragung der Aktion begann gerade, als sich als letzter Pete Souza, der Chef-Fotograf des Weißen Hauses, in eine Ecke des Raums zwängte. In den nächsten 40 Minuten – in dieser Zeit wurde Osamas Festung erstürmt und er selbst getötet – machte Souza rund hundert Fotos von den extrem angespannten Personen.

Eines dieser Bilder brennt sich im kollektiven Gedächtnis fest: Es wird am nächsten Tag auf der Fotoplattform Flickr veröffentlicht und kommt weltweit auf die Titelseiten der Zeitungen. Wir sehen Obama in dem Moment, in dem die Chance besteht, dass eine schwärende amerikanische Wunde sich zu schließen beginnt. Er wirkt angespannt wie ein Raubtier vor einer Beute, mit einem Blick „wie ein Laser“ („New York Times“). Doch Souza hat das Bild rund um eine andere Person komponiert: Während so gut wie alle versteinerte Gesichter zeigen, scheint Hillary Clinton als Einzige im Raum ihr Entsetzen über das Gesehene nicht verbergen zu können. Sie hält sich die Hand vor den Mund, ihre Augen sind schreckgeweitet. Dass sie stärkere Emotionen zeigt als die Übrigen auf dem Foto, hat sofort zu wilden Spekulationen geführt: Sie habe sich hier nicht als formale Machtverwalterin gezeigt, sondern als Mensch, Frau mit Emotionen. Aber: Das sei ein wunder Punkt, disqualifiziere sie für höhere Machtpositionen.

Geniale Inszenierung. Eine Woche später spricht Clinton von einem Hustenanfall, verursacht durch eine Pollenallergie. Das hat ihr keiner wirklich abgenommen, Souza, der es wissen müsste, gibt diplomatisch keine Auskunft. In der Tat erschiene es merkwürdig, wenn Souza von hundert Fotos genau jenes ausgewählt hätte, in dem die Außenministerin von einem Hustenanfall gequält wurde. Vielmehr erscheint Hillary hier als Teil einer genialen Bildinszenierung: Die militärisch-strategische Operation der Tötung eines Menschen tritt hinter einen Ausdruck menschlicher Regungen der Emotionalität und Besorgnis zurück.

Die Macht solcher Bilder ist evident, sie sind essenzieller Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Weißen Hauses geworden. Sie bieten gegenüber den flüchtigen Fernsehbildern die Chance, sich auf Nuancen zu konzentrieren, auf den Gesichtsausdruck, der Trauer und Resignation symbolisieren kann wie bei der Gedenkfeier nach dem Amoklauf in Tucson 2011 oder Dynamik wie beim Einsatz in Katastrophengebieten. Bereits ab 2004 hat sich Fotograf Pete Souza der Karriere des damals noch nahezu unbekannten Senators aus Illinois, Barack Obama, gewidmet. Am berühmtesten aus dieser Zeit wurde das Bild, das den karrierebewussten Senator zeigt, wie er leichtfüßig die Treppe zum Kapitol, die Stufen der Macht, hinaufsprintet.

Marilyn, hauteng. Im Jänner 2009 erhielt Souza, der bereits für Ronald Reagan im Weißen Haus fotografiert hatte, die Position des „Chief White House Photographers“. Er steht damit in einer Tradition, die bis ins Jahr 1963 zurückreicht, als JohnF.Kennedy Cecil W. Stoughton zum ersten offiziellen Präsidentenfotografen ernannte. Dessen brisantestes Foto wurde im Nachlass entdeckt: Es zeigt Marilyn Monroe mit den Kennedy-Brüdern unmittelbar nach ihrem skandalumwitterten Auftritt im hautengen Kleid zum Geburtstag von John.

Lange Tradition. Amerikanische Präsidenten haben immer versucht, direkt mit ihrem Volk zu kommunizieren. George Washington durchzog das Land zu Pferde oder im Pferdewagen, um mit seinem Volk zu reden, Franklin Delano Roosevelts „Fireside Chats“ konnten alle Amerikaner live über Radio mitverfolgen, Bill Clinton kommunizierte gern über Talkshows.

Pete Souza hat täglich, auch an Wochenenden, Zugang zu dem Präsidenten. Manchmal scheint Obama geradezu zu vergessen, dass Souza im Raum ist. Hunderte Fotos macht er an einem Tag, richtet sich völlig nach dem Terminkalender des Präsidenten, arbeitet täglich elf bis 15 Stunden, auch an Wochenenden. Er hat Zugang zu jedem Meeting, sei es im Oval Office oder im Situation Room. Manchmal hat Souza den Eindruck, dass Obama völlig vergisst, dass er da ist. Dazu kommt das größte Glück eines White- House-Fotografen: Es gibt eine junge Familie. Souza gesteht, dass er sich oft zurückhalten muss, Obamas Töchtern die Privatsphäre zu gönnen, die ihnen zusteht. Er hält auch witzige Momente fest: Ein Kabinettsmitarbeiter steht auf einer Personenwaage, der Präsident nähert sich von hinten unbemerkt, tippt mit der Schuhspitze auf die Waage und weidet sich an der Verwunderung des Mannes. Im Dezember 2012 ließ Obama via Twitter und Facebook ein Foto verbreiten, das ihn im Spiel mit einem kleinen Jungen im Spiderman-Kostüm zeigt, Obamas Kommentar: „Präsident Obama gefangen in Spidermans Netz“.

Veröffentlicht werden nur diejenigen Fotos, die den Präsidenten in bestmöglichem Licht erscheinen lassen. Er darf auch einmal überarbeitet, traurig oder müde wirken, niemals aber desinteressiert, schlaff, unfreundlich. Im August 2012 – am Höhepunkt der Diskussion um die amerikanischen Waffengesetze – veröffentlicht das Weiße Haus ein Foto, das den Präsidenten in Camp David mit angelegtem Gewehr beim Tontaubenschießen zeigt, einem Hobby, dem er „sehr häufig“ fröne. Die Veröffentlichung war kein Zufall, sondern Propaganda: Obama wollte den Eindruck zerstreuen, er sei grundsätzlich gegen Waffen.

Die Kritik, die sich daraus ergibt, liegt auf der Hand: Zunehmend werde im Weißen Haus Fotojournalismus durch Propaganda ersetzt. Nicht alle politischen Ereignisse sind für die Öffentlichkeit bestimmt, amerikanische Medienorganisationen sehen sich durch Souza aber in zunehmendem Maß ausgeschlossen von der Berichterstattung über für sie relevante Themen. Es gibt in der Tat Fälle, bei denen dem Weißen Haus Manipulation vorgeworfen wurde: Nach dem Attentat auf Präsident Reagan 1981 wurden auf dem ersten Bild des genesenden Präsidenten die Infusionsschläuche durch die Wahl des Bildausschnitts versteckt. Die Öffentlichkeit wurde damit über den wahren Gesundheitszustand des Präsidenten nicht informiert.

Moment der Hingebung. Pete Souza ist bislang keine Bildmanipulation dieser Art nachgewiesen worden. Das hat er nicht nötig, stehen ihm doch im Unterschied zu seinen Vorgängern eine White-House-Website, ein YoutubeChannel, ein Flickr-Fotostream, Twitter, Facebook und die übrigen Social Networks zur Verfügung. Die Bildauswahl, die hier präsentiert wird, ist eine Mischung aus privatem Bereich und öffentlicher Amtsführung, sie ist kaum besser illustrierbar als durch das Bild, das am 7. November 2012 mit dem lapidaren Titel „Four more years“ auf Twitter um die Welt ging. Innerhalb kürzester Zeit wurde es zum häufigsten weitergereichten Tweet, es zeigt den Wahlsieger Barack Obama, der seine Frau Michelle innig umarmt. Er schließt weltabgewandt die Augen, sie hat die Arme um seinen Hals gelegt. Ein Moment der Hingebung und Ruhe, nichts Triumphales, wie wir es bei herkömmlichen Victory-Posen von Politikern kennen, sondern Beschwörung der Gattenliebe, ohne die kein amerikanischer Politiker auskommt.

Der Himmel über dem Paar ist grau, die Wirtschaftskrise und der schwere Konflikt mit den Republikanern bedrohen das Land, doch die aufgekrempelten Hemdsärmel weisen auf die Taten voraus, die Obama als dynamischer Leader setzen wird.


Kanalisierung der Nachrichten. Ironischerweise sind es also genau jene sozialen Medien, die während der arabischen Revolution geholfen haben, das Meinungsmonopol der Regierungen aufzubrechen und die Aufständischen mit Informationen zu versorgen, die nun der amerikanischen Administration eine Kanalisierung der Nachrichten ermöglichen, die kritischem Journalismus ein Dorn im Auge ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2013)

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