Der Mittelmeersturm war ein bleibendes Erlebnis zwischen haushohen Wellen, vollen Toiletten und singenden Schweden.
Kindheitserinnerungen haben es eigentlich an sich, dass das Erlebte viele Jahre später im Kopf schöner oder spektakulärer wieder auftaucht, als es eigentlich war. Der Sturm im Mittelmeer, den ich als Kind auf einem Schiff während der Überfahrt zwischen Korsika und dem Festland erlebte, war noch größer.
Bis heute kommt es mir bei „Universum“-Dokumentationen über das Meer oder Katastrophenfilmen über Schiffe immer wieder in den Sinn: Mit Poseidon legt sich niemand an!
Dabei hat es sich damals, in der Haut des knapp 10-jährigen Pimpf der ich war, ein bisschen wie eine Achterbahn im ganz großen Stil angefühlt. Kurz nach dem Auslaufen aus dem Hafen von Ajaccio begann die Crew mit dem Verteilen von Tabletten gegen die Seekrankheit. Während sich Mama vorsorglich auf der Toilette unserer Kabine verkroch, nahm Papa uns Kinder an der Hand und stellte sich wie ein Fels in der Brandung hinter der Brüstung am Vorderdeck auf. Das 150 Meter lange und mit 2000 Passagieren belegte Schiff tauchte im Sturm bis zur Bugspitze in die haushohen Wellenberge ein, sodass alles vibrierte. Ziemlich beeindruckend.
Während viele Gleichaltrige vor Freude johlten, bildeten sich unter Deck lange Schlangen vor den Toiletten, auch an der Reling stand man dicht gedrängt. Neben uns Kindern gab es zumindest im Bordrestaurant noch einige andere, die ihren Spaß hatten. Eine Gruppe sturmgestählter Schweden bediente sich reichlich am Schnaps. Andreas Wetz
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2013)