Betreutes Wohnen für den verurteilten Berlusconi?

Betreutes Wohnen für den verurteilten Berlusconi?
Betreutes Wohnen für den verurteilten Berlusconi?(c) REUTERS (REMO CASILLI)
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Nach dem Urteil. Wie geht es nun mit dem Ex-Premier weiter? Hier einige mögliche Szenarien, wie die Zukunft des Medienmagnaten aussehen könnte.

Wie geht es weiter? Diese Frage stellte sich am Tag eins nach dem wohl wichtigsten und spektakulärsten juristischen Gerichtsurteil der italienischen Nachkriegszeit wohl fast jeder Italiener.

Dass sich Silvio Berlusconi – der Mann, der alles hat und sich bisher alles erlauben konnte – nun künftig für jeden seiner Schritte juristisch rechtfertigen muss, und das auch noch vor den von ihm so gehassten „roten Roben“, das kann sich im Belpaese derzeit kaum jemand vorstellen. In den Sternen steht auch, welche politischen Folgen die letztinstanzliche Verurteilung des Ex-Premiers zu vier Jahren Haft wegen Steuerbetrugs haben könnte – für den 76-Jährigen ebenso wie für das Land. Hier einige Antworten:

Betreutes Wohnen. Das für Silvio Berlusconi zuständige Mailänder Gericht wird als Erstes dem Verurteilten die Entscheidung der Höchstrichter (Kassationsgericht) vom Donnerstagabend zustellen. Das Urteil ist rechtlich sofort vollstreckbar, wird praktisch aber erst später exekutiert. Drei Jahre Haft bekommt der dreimalige Premier ohnedies geschenkt – wie alle italienischen Verurteilten, weil die Strafanstalten aus allen Nähten platzen –, und für das vierte Jahr kann er wählen zwischen Hausarrest und betreuter Bewährung (theoretisch auch in sozialen Einrichtungen oder in therapeutischen Wohngemeinschaften für Drogenabhängige).

Hinter Gitter geht Berlusconi auf keinen Fall, rechtlich darf er es gar nicht – auch wenn er einmal pathetisch angekündigt hat, er werde das tun –, weil das italienische Strafrecht für Delinquenten ab 70 Jahren einen Gefängnisaufenthalt nicht mehr vorsieht. Weil Sommerferien sind, hat Berlusconi mit seiner Entscheidung zwischen Hausarrest und sozialer Bewährung bis Mitte Oktober Zeit.

Kein Pass, keine Interviews. Theoretisch darf er nur zu seinen Familienangehörigen Kontakt halten und (ausgerechnet der Medienkönig und Profi-Selbstinszenierer Berlusconi!) keine Interviews geben. Ausgang bekommt er nur nach richterlicher Genehmigung. Seinen Reisepass muss der Noch-Senator abgeben, wegen Fluchtgefahr ins Ausland. Das sollte bereits am gestrigen Freitag geschehen, berichteten italienische Medien. Was den Diplomatenpass betrifft, wird das italienische Außenministerium diesen zurückfordern.

Verlust des Mandates. Politisch verliert Silvio Berlusconi sein Abgeordnetenmandat im italienischen Senat. Zwar haben die Höchstrichter die Zahl der Jahre (maximal drei) offengelassen, für die er von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen wird – darüber muss ein Gericht unterer Instanz neu verhandeln – aber ein neues Antikorruptionsgesetz sieht vor, dass niemand im Parlament sitzen darf, der rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt ist. Dieses Gesetz hatte vor dem Urteil des Kassationsgerichts niemand so recht im Blick. Ironischerweise ist es eine von Silvio Berlusconis früherer Regierung entworfene Norm, die unter Mario Montis Technokratenregierung vom Parlament beschlossen worden ist.

Theoretisch verliert Berlusconi sein Senatsmandat sofort, praktisch muss aber erst der zuständige Parlamentsausschuss darüber entscheiden. Das kann dauern: Im Fall von Berlusconis Anwalt Cesare Previti, der im Auftrag seines Chefs etliche Millionen an Bestechungssummen verteilt hatte, dauerte die Entscheidung (im Jahr 2007) neun Monate.

Zudem wird Silvio Berlusconis Partei „Volk der Freiheit“ alles daransetzen, diese Entscheidung so weit es geht hinauszuzögern und dadurch zugleich ihren Regierungspartner, die Sozialdemokraten von Premier Enrico Letta, unter Druck zu setzen. Bereits vorab haben Berlusconis Abgeordnete im Fall einer Verurteilung ihres Chefs gedroht, geschlossen aus dem Parlament auszuziehen.

Ein Antrag auf Begnadigung? Einen Funken Hoffnung hat Berlusconi noch: Der Staatspräsident könnte ihn eines Tages begnadigen. Dazu müsste Berlusconi einen formellen Antrag stellen. Und für den nächsten Prozess womöglich gleich mit: Der Fall Ruby wird nächstes oder übernächstes Jahr auch vor der Cassazione landen. In der ersten Instanz wurde Berlusconi im Juni zu sieben Jahren verurteilt. Ein lebenslanges Ämterverbot steht auch noch im Raum. Wenn auch dieses Urteil bestätigt wird, dann wird's eng, selbst für den wohlmeinendsten Staatspräsidenten.

Politische Zukunft. Fatal für Berlusconi ist, dass er nach seinem eigenen Antikorruptionsgesetz auch nicht mehr für einen Parlamentssitz kandidieren kann – unabhängig davon, wie lange das andere Gericht ihn formell von öffentlichen Ämtern ausschließen wird. Für sechs Jahre, sagen Rechtsexperten, bleibe Berlusconi auf jeden Fall gesperrt. Die nächsten regulären Parlamentswahlen finden im Jahr 2018 statt, aber kein Mensch erwartet, dass die augenblicklich regierende Große Koalition so lange hält.

Dass Berlusconi sich gänzlich aus der Politik zurückzieht, ist wenig wahrscheinlich. Der an Erfolg gewöhnte Medienmagnat ist keiner, der leicht aufgibt – im Gegenteil: Je heftiger der Rückschlag, desto heftiger reagiert Berlusconi. Dass er keine Absicht hat, die Politik zu verlassen,  hat er wenige Stunden nach dem Richterspruch bewiesen. In einer Videobotschaft stilisierte er sich als Märtyrer und Opfer. Und in dieser Botschaft hat er auch erklärt, dass  er im Herbst „Forza Italia“ – die Partei, mit der er seine politische Karriere startete – neu gründen und die Justiz reformieren will.

Tatsache ist, dass Silvio Berlusconis seine Leute fest im Griff hat. Ohne ihn geht nichts – das hat sich gezeigt, als er sich im vergangenen Jahr kurz aus der Politik zurückgezogen hat. Die Umfragewerte seiner Partei sanken drastisch. Kaum war Berlusconi wieder zurück, wurde das „Volk der Freiheit“ zweitstärkste Partei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2013)

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