Generation Berlusconi: Ein Erfahrungsbericht

Generation Berlusconi
Generation Berlusconi(c) Reuters (STEFANO RELLANDINI)
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Zwanzig Jahre schon verkauft sich die Marke Berlusconi politisch gut. Nicht nur wegen des Marketings Wie der Medienunternehmer und Politiker seit den 1980er-Jahren Italien und die Italiener geprägt hat.

Italien in den 1980er-Jahren war bunt und schillernd, genauso wie Silvio Berlusconis kommerzielles TV. In unserem Städtchen am norditalienischen See zeigte man Reichtum ostentativ. Vor allem am Wochenende, wenn „die Mailänder“ kamen: Einige besaßen Jachten, zu groß für das Binnengewässer, aber perfekt geeignet für die „Bella Figura“. Die Frauen trugen schweren Goldschmuck, auch am Strand.

In vielen Wohnungen lief den ganzen Tag das Fernsehen – fast immer nur Privatkanäle. Bei uns nicht. Deshalb schlichen wir uns am helllichten Tag zu den Nachbarskindern, um die verbotenen Lieblingssendungen zu sehen: japanische Zeichentrickfilme, in denen Roboter kämpften oder kleine Mädchen zu steinreichen Volleyball-Champions wurden. Dass Werbespots ständig unsere Helden unterbrachen, störte uns nicht. Einige Kinder durften am Abend sogar „Drive-in“ auf dem Berlusconi-Kanal „Italia 1“ sehen. Das war die Quotenhit-Komikshow mit den Tänzerinnen im knappen Paillettenbikini.

Am Tag darauf tanzten diese Kinder uns etwas aus der Show nach oder erzählten die Sketches. Wir verstanden wenig, waren aber voller Neid. Werbejingles trällerten wir dafür alle, mit derselben Inbrunst wie Popsongs. Dass der melancholische Limonadensong in Wirklichkeit „Roxanne“ hieß und im Original auf Englisch gesungen wurde, erfuhren wir erst viel später.

"Reich werden wie Berlusconi"

Giada jedenfalls plante mit sechs Jahren eine Karriere als TV-Tänzerin. Und Simone wusste schon mit zehn genau, war er wollte: „Reich werden. Wie Berlusconi.“

Ein Blick zurück in diese Zeit hilft zu verstehen, wieso Italiens Ex-Premier trotz aller Skandale immer wieder ein politisches Comeback schafft – vermutlich auch jetzt, nach seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs. Denn damals schon formte Berlusconi seine spätere Anhängerschaft. Vermutlich war ihm das selbst gar nicht bewusst: Als 1976 private TV-Sender zugelassen wurden, witterte der damalige Baulöwe vor allem eine Goldgrube. Zu Recht: Die farbenfrohe, seichte Unterhaltung, die er auf seinen neuen Kanälen anbot, erreichte bald höhere Einschaltquoten als das schwerfällige Program der öffentlichen RAI-Sender. Der Unternehmer kaufte US-Serien, japanische Trickfilme und Shows mit Tänzerinnen. Werbespots brachten das Geld.

Mit Polizeischutz in die Schule

Schon damals hatte Berlusconi den Finger am Puls der Zeit: In den wirtschaftlich boomenden Achtzigern begann eine neue Ära. Die Menschen wollten die dunklen, blutigen Siebzigerjahre vergessen – die Terroranschläge, Entführungen, den Rechts- und Linksextremismus. Die Zeit, in der Kinder der Mailänder Bourgeoisie nur mit Polizeischutz in die Schule konnten.

Vor allem in Norditalien dominierte plötzlich das große Geld. Das „made in Italy“ war ein Exporthit geworden, der Konsum explodierte. Kleinindustrielle und Handwerker aus der Provinz wurden quasi über Nacht zu Millionären. In unserem Städtchen öffnete eine Nobelboutique nach der anderen, sogar Kleinkinder trugen Armani. Mailand mit seinen Modeleuten, Werbern und Grafikern verwandelte sich indes in Italiens Partyhauptstadt. Und in ein Dorado für Bettino Craxis Sozialisten – die durch Schmiergelder das Wirtschaftsleben der Finanzmetropole steuerten und Milliarden verdienten. Berlusconi war Craxis enger Freund.

Ein Seifenopernheld

Die Epoche des zügellosen Hedonismus wurde von den Mailändern Staatsanwälte jäh beendet. Sie entlarvten den Riesenbetrug, auch bei anderen Parteien, und das alte System stürzte zusammen: Die 1990er hatten begonnen. Und der stets vorausblickende Berlusconi wechselte die Karriere. 1994 ging er in die Politik, auf Anhieb wurde er zum Premier gewählt. Geholfen hat ihm sein TV: Gar nicht mal, weil er über die Nachrichtensendungen politische Botschaften verbreiten ließ. Sondern vor allem, weil er sich zum Seifenopernhelden inszenierte. Mit allem, was dazugehört: einer schönen Frau, schönen Kindern, Villas, Autos und einer Mama (Rosa).

Berlusconi verkörperte die Glitzerwelt von Macht und Geld, die sein TV Millionen von Italienern jahrelang vorgegaukelt hatte. Es war alles so angenehm vertraut: Die strahlenden Menschen, die Berlusconi in seinem Wahlkampfspot umringten, erinnerten an die glückliche Familie aus einer Frühstückskekswerbung. Später verwandelte Berlusconi auch TV-Tänzerinnen in politisches Kapital, ließ sie erfolgreich für seine Partei kandidieren. Sogar die allerniedrigste Stufe dieser Frauendegradierung – der „Bunga Bunga“ – wirkte wie ein Déjà-vu aus einer besonders vulgären Show.

Man muss die "Richtigen" kennen

Zwanzig Jahre schon verkauft sich die Marke Berlusconi politisch gut. Nicht nur wegen des Marketings: Heute noch repräsentiert der 77-Jährige wie kein anderer ein Italien, in dem viele gelernt haben zu überleben: wo Steuerverbrechen als schlaue Businesstricks gelten und unsaubere Verstrickungen zwischen Staat und Wirtschaft „dazugehören“; das Land, dessen Institutionen zynisch verachtet werden. Wo man die „Richtigen“ kennen – und wählen – muss, um etwas zu erreichen.

Doch die Berlusconi-Generation ist müde geworden. Viele, die den Unternehmer und Politiker seit ihrer Kindheit kennen, wollen ihn da sehen, wo er hingehört: ins Geschichtsbuch. Oder ins Gefängnis. So geht es auch Jacopo Iacoboni, Journalist bei „La Stampa“: „Dieser Mann ist ein fixer Bestandteil unserer Vergangenheit. Und die will einfach nicht vergehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2013)

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