„,Boat people‘ auf Europa aufteilen“

SPAIN IMMIGRANTS INTERCEPTED
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Malta und andere Staaten fordern Solidarität bei der Aufnahme von Bootsflüchtlingen. Bis 31. Juli sind heuer bereits 13.900 Menschen in Lampedusa gelandet.

Wien/Brüssel/Valletta. Das Mittelmeer glitzert blau, sein Wasser ist wohltemperiert und ruhig. Ein trügerisches Bild, das auch dieser Tage wieder zahlreichen Bootsflüchtlingen auf dem Weg nach Europa zum Verhängnis wird.

Das jüngste Drama ereignete sich am vergangenen Samstag nahe der Stadt Catania auf Sizilien: Die Leichen von sechs jungen Männern wurden an einem beliebten Badestrand an Land gespült. Nachdem die Männer vom Boot aus das Ufer erspäht hatten, waren sie ins Wasser gesprungen – und ertrunken. 91 weitere Bootsinsassen – die meisten von ihnen Syrer – erreichten die Küste lebend.

Nach Angaben des UN-Hilfswerks für Flüchtlinge (UNHCR) sind in diesem Jahr bis einschließlich 31.Juli an der italienischen Küste und auf Lampedusa 13.900 Menschen gelandet. Zum Vergleich: Spanien meldet etwas mehr als 800Personen, Griechenland 4700. Auch die kleine Mittelmeerinsel Malta wird häufig von Booten angesteuert. 1294 Menschen zählten die maltesischen Behörden in den ersten sieben Monaten des Jahres. Die Mehrzahl auf der Mittelmeerinsel stammt aus Somalia, gefolgt von Eritrea, Nigeria und Ghana.

Malta trotzte Mahnungen Brüssels

Die maltesische Regierung erregte in der Vorwoche Aufsehen, als sie sich weigerte, ein Boot mit 102Passagieren – darunter vier Schwangere, eine Verletzte und ein Baby – in ihre Hoheitsgewässer zu lassen. Sie waren – auf einem Boot 39Kilometer vor der libyschen Küste treibend – von einem liberianischen Tanker mitgenommen worden. Der Kapitän handelte den Vorschriften entsprechend: Laut internationalem Recht sind Schiffe verpflichtet, Schiffbrüchigen Hilfe zu leisten.

Doch die Probleme begannen vor der Küste Maltas. Die Regierung blieb, trotz der Mahnungen von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, bei ihrem harten Kurs. Italien beendete das Drama schließlich und ließ die Menschen an Land. Ein Durchhalteerfolg für Premierminister Joseph Muscat. Er bedankte sich beim großen Nachbarn und erklärte, Südeuropa benötige ein Mehr an Solidarität. Im Klartext: Die Verantwortung sollte auf Europa aufgeteilt werden, andere Länder müssten ebenfalls Ankömmlinge aufnehmen. Malta nehme derzeit eine so hohe Zahl an Flüchtlingen auf, die umgelegt auf die Einwohnerzahl in Deutschland etwa einer Million entspreche.

Der Fall zeigt, dass die EU auch 2013 noch keine Lösung für die Verteilung der Bootsflüchtlinge gefunden hat. Zwar sind die Zahlen der Migranten nicht mehr so hoch wie 2011, als insgesamt 58.000 Bootsankömmlinge registriert wurden. Die Kontrolle wurde seither verstärkt, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten hat sich verbessert, und vertraut man offiziellen Zahlen, so ist auch die Zahl der Todesfälle bei der Überfahrt zurückgegangen. Doch die Frage der Ungleichverteilung der Flüchtlinge auf verschiedene EU-Staaten bleibt weiter ungelöst. Nach geltenden EU-Regeln – der sogenannten Dublin-Verordnung aus dem Jahr 2003 – ist das erste Mitgliedsland, in dem ein Flüchtling landet, auch für den jeweiligen Antrag zuständig. Genau dieses System sei aber unfair gegenüber südeuropäischen Staaten, die durch ihre Lage einem größeren Ansturm ausgesetzt seien, kritisieren deren Regierungen. Eine Neuregelung der Einwanderungsgesetze sei nötig. Eine Forderung, die angesichts der jüngst verhandelten EU-Asylreform als gescheitert betrachtet werden muss. Denn der ursprüngliche Antrag wurde von den weniger betroffenen nördlichen Mitgliedstaaten verwässert.

So wurde die Dublin-Verordnung nur marginal dahingehend abgeändert, dass es einen Frühwarnmechanismus gibt, der im Fall besonders starker Flüchtlingsanstürme eine temporäre Aufhebung der geltenden Regeln vorsieht. Damit aber will sich Malta nicht zufriedengeben. „Leere Worte über Solidarität genügen nicht mehr“, betonte Muscat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2013)

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