Der Homolka beim Komolka

Hoch über dem Mariahilfer-Straßen-Trubel lebt es sich ganz abgeschottet. Hier schreibt, fotografiert und wohnt Martin Swoboda alias Homolka.

So schnell ändern sich die Begehrlichkeiten: Als Martin Swoboda alias Homolka 1986 sein Atelier in der Mariahilfer Straße bezog, war der Ort wenig gefragt. Billigläden dominierten, die U3-Baustelle dividierte die Einkaufsmeile auseinander: „In der Früh hat man sich überlegen müssen, ob man rechts oder links geht, um irgendwann die andere Seite zu erreichen. Du hast nie gewusst, wo sich der nächste Übergang befindet.“ Aber der Wiener Fotograf und Autor ließ sich davon nicht abhalten, die Räume ganz oben zu mieten, wo sich in dem Haus doch Komolka, das Stoffgeschäft, befindet.

Homolka schätzt den Witz an den Dingen: „Wollte ich in der Dunkelkammer Bilder vergrößern, hab ich gewartet, bis der Bagger unten fertig war, das Haus nicht mehr gezittert hat. Dann hab ich die Fotos schnell belichtet, damit sie nicht verwackelt sind.“ Robust ist das Gebäude aus der 1900er-Wende ja, war es doch eines der ersten Eisenbetonhäuser Wiens.

Licht aus dem Norden

Seine Wohnung war schon vorher ein Hort der Kunst. „Ein Herr Aufsichtsrat pflegte hier nach seinen Sitzungen zu malen – nackt“, grinst Homolka. Die Bedingungen sind ideal: Die Räume messen über sechs Meter, fast über die ganze Länge fällt gleichmäßiges Licht durch eine drei Meter hohe Fensterfront – Nordlicht, genau, was Studiofotografen brauchen. „Die Mariahilfer Straße ist voller Ateliers. Auf der Seite des sechsten Bezirks sieht man sie, weil die Fenster zur Straße zeigen. Auf der Seite vom Siebenten aber fühlt man sich wie abgeschottet. Wie im Kloster. Wenn ich den Wahnsinn will, brauch ich nur in den Lift steigen.“

Tatsächlich dringt kein Laut von der neuen Fußgängerzone (deren ausdrücklicher Befürworter Homolka ist) hinauf. Früher glich sein Refugium noch mehr einer Insel. „Damals gab's keine Gegensprechanlage, sondern ein Emailschild, auf dem stand, dass die Tür über Nacht versperrt zu sein hat. Und von Freitagabend bis Montagmorgen war man unerreichbar.“ Zumal der Festnetzanschluss auch auf sich warten ließ, ging man halt in die Telefonzelle, um Shootings zu besprechen. Oder ins verlängerte Wohnzimmer in einem der Szenelokale der Achtziger, die heute noch funktionieren, wie das Europa. In der New-Wave-Ära war Neubau ein Dorf.

Und diesem Dorf ist der leidenschaftliche Städter schon lange treu. Das erste Atelier befand sich in der Lindengasse, in einem für die Branche relevanten Haus, der ehemaligen Grafischen. Homolka alteriert sich gern, wenn das Thema auf den Abriss des Gebäudes kommt („Die Oper hat man doch auch nicht abgerissen“). Historisch versiert führt er die Geschichte von Neubau als einem der ersten Filmzentren aus – überall in den Hinterhöfen befanden sich nach 1900 Film- und Fotostudios, bis sie an die Peripherie zogen oder gleich starben. Doch ein Rest von diesem Genius Loci sei noch spürbar.

Früher wurde viel in seinem Atelier fotografiert – „das schönste Tageslicht von Wien“ – mit Models, Stylisten, Werbemenschen. Heute verströmt es vielmehr die Atmosphäre des bürgerlichen Bohemiens, bewusst reduziert bestückt. Die Hobelbank hat Homolka noch „aus der Kirchengasse von einer alten Tischlerei daherzahrt“. Sein Lieblingsstück ist ein Fauteuil aus Familienbesitz, ein Import vom Traunsee nach Wien. Und im Eck wirken die metallenen Registerkästen, die einst bei der Stellungskommission ausgemustert wurden.

Viel war nicht da ursprünglich, bloß ein Ofen und leicht ramponiertes Fischgrätenparkett. Handwerklich nicht unbegabt, legte Homolka oft selber Hand an. So baute er eine leichte Bürobox ein, mit transluzenter Wand, auf der oben genug Platz für eine breite Schlafstatt ist. Die Nebenräume sind voll mit Büchern, Bildern, Ski- und Motorradzeug und Zeugnissen längerer Wanderbewegungen zwischen Wien und Athen. Dass manche Interieur-Idee den Rahmen sprengte, amüsiert ihn: Das Nirostabecken fürs WC trieb Homolka noch um 39 Schilling auf, der Einfall, den Unterbau von einem Milchtankhersteller anfertigen zu lassen, kostete schließlich 19.000 Schilling. Aber schöne Dinge mit Seele, wie auch die vom Onkel getischlerte Holzküche, sind es eben wert, Geld hineinzustecken.

LAGEN & LESEN

Innere Mariahilfer Straße: Gemischte Nutzung prägt die Häuser, besonders viele Kreative (Architekten, Fotografen) haben sich in den Hinterhöfen und Ateliers zu beiden Bezirksseiten angesiedelt. Die zweite Geschoßzone ist in den meisten Fällen von Geschäften belegt, darüber sind Büros und Wohnungen. Etliche der aus der Wende zum 20.Jahrhundert stammenden Häuser haben bis zu drei Kelleretagen.

Buchtipp: Martin Swoboda, Andrea Peller: „Wien für Neugierige. Eine Stadteroberung“, www.metroverlag.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2013)

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