Leitartikel: Wenn Budgetlöcher einfach so verschwinden

Die Nationalbank sieht das Ende der Wirtschaftsflaute und nur minimalen Budget-Einsparungsbedarf. Geht es noch ein bisschen realitätsfremder?

Wochenlang haben die Koalitionsverhandler einander Budgetlöcher und Einsparungserfordernisse an den Kopf geworfen. Die Koalitionsverhandlungen drohten sogar zu platzen. Und jetzt stellt sich heraus: Alles nicht so schlimm. Die Rezession ist vorbei, und das Budget ist mit läppischen drei Milliarden Euro Einsparung so gut wie saniert.

Sagt die Nationalbank. Und die ist ja total unabhängig. Bis auf den kleinen optischen Schönheitsfehler halt, dass das Direktorium praktischerweise vom Ministerrat (exakt: vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung) bestellt und der Rest der 1000 Posten zwischen Rot und Schwarz brüderlich aufgeteilt wird.

Da kann man schon erwarten, dass die Notenbanker und deren Volkswirte ein bisschen bei der Regierungsbildung mithelfen. Mit netten Prognosen, in denen beispielsweise steht, die Staatsschuldenquote werde im kommenden Jahr leicht von 74,2 auf 73,7 Prozent zurückgehen.

Echt jetzt! Hat da jemand meckernd aufgelacht? Nur weil der Chef der Statistik Austria in dieser Woche gesagt hat, im kommenden Jahr müsste eine Reihe von außerbudgetären Schulden in die Quote eingerechnet werden, und diese werde deshalb „nur“ auf 77,5 Prozent und nicht in die Gegend von achtzig Prozent steigen, weil auch das BIP ab 2014 ein bisschen freundlicher errechnet wird?

Ich bitte Sie: Als OeNB-Volkswirt kann man schließlich nicht an alles denken! Hauptsache, das Endergebnis passt. Wofür auch immer. Ganz nebenbei: Die Differenz in der Staatsschuldenprognose von OeNB und Statistik Austria macht annähernd zehn Milliarden Euro aus. Damit könnte man die Staatsschuldenzinsen für mehr als ein Jahr zahlen oder das Budget nach der Methode Nowotny („drei Milliarden Konsolidierungsbedarf“) drei Mal sanieren.

Aber lassen wir das. Die Koalitionsverhandler wird es freuen, und wenn sich das Ganze in ein paar Jahren als freundliche Kaffeesudleserei herausstellt, kann sich ohnehin keiner mehr daran erinnern. Außerdem meint der Notenbankchef, wenn er „Defizit“ sage, nur das „strukturelle“. Also das laufende Geschäft ohne Einmaleffekte. Gott sei Dank stehen ja kaum noch Bankenhilfen an, sodass das schon einigermaßen der Realität entsprechen wird. Und die Rezession ist ja auch vorbei, sodass man keine überraschenden Mehrausgaben beispielsweise für Arbeitslose einplanen muss.


Letztere Behauptung, nämlich das Ende der Rezession in der Eurozone, ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, wie weit sich die Rechenwerke der Volkswirte von der Realität entfernt haben. Europaweit übrigens, das ist keine heimische Spezialität. Man muss, um der Realität ins Auge zu blicken, nur ein paar Fakten ansehen. Die da wären:
• Die Arbeitslosigkeit steigt, und zwar nach übereinstimmenden Aussagen auch in den kommenden Jahren.
• Die Inflation ist trotz weltweiter Geldschwemme niedrig und wird in den kommenden Jahren weiter sinken.
• Die Energie- und Rohstoffpreise sind auf dem absteigenden Ast.
• Die Zinsen sind auf einem Rekordtief und werden dort noch lange bleiben.

Und jetzt zur Zwölferfrage: Diese vier Indikatoren sind typisch für a) Boom, b) Wachstum, c) Stagnation oder d) Rezession. Wenn Sie c) oder d) angekreuzt haben, liegen Sie wahrscheinlich richtig. Sie werden aber wohl keinen Job bei der OeNB bekommen. Sorry!

Anders gesagt: Bei der gängigen Art der Berechnung beginnt echtes Wachstum bei einem ausgewiesenen Realwachstum von ungefähr 2,5 Prozent. Dort beginnen auch unsere vier Indikatoren zu steigen. Wir werden in nächster Zeit also bestenfalls stagnieren, wenn auch auf hohem Niveau. Eine verantwortungsvolle Regierung würde das in ihre Prognosen einkalkulieren, auch wenn Regierungsverhandlungen dann weniger angenehm sind.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2013)

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