Wohngeschichten: Kommissar – allein zu Haus

Einige „Tatort“-Ermittler wohnen bürgerlich, manche im Büro. Aber oft nicht so fein wie der Täter. Die Häuser und Städte der seit 1970 laufenden Krimiserie auf dem Prüfstand.

Wenn am Sonntag die „Tatort“-Fangemeinde vorm Fernseher sitzt, kann sie immer wieder einmal einen Blick in Moritz Eisners gestyltes Loft und Bibi Fellners schäbige Altbauwohnungsküche werfen. So kontrastreich und gegen das Rollenklischee wohnt das Wiener Kriminalistenduo Krassnitzer/Neuhauser. Anders die Kollegin aus Bremen, die diesen Sonntag TV-Dienst hat, sie lebt mit Zeichen der „äußerlichen Verbürgerung“ in einer Wohnung, die eher auf das Salär eines Uniprofessors schließen ließe, denn auf das einer antibourgeoisen Ermittlerin. Über das Wohnverhalten der Kommissare in Konstanz (Mattes), Hannover (Furtwängler) oder Wiesbaden (Tukur) befinden die Autoren des Buches „Schauplatz Tatort“ Ähnliches: „bürgerlich, Altbau bis 1950“, heißt es darin, denn man wollte Attribute für den Wohnstil der Ermittler in allen Tatort-Städten verteilen. Von „WG-Gemütlichkeit bis zu überwachungsparanoid, Wohnwelten, die präszise entworfen und ausgestattet sind, schließlich geht es um Wiedererkennbarkeit. Autor Udo Wachtveitl kennt sich dabei aus, denn er agiert eben auch als „Tatort“-Kommissar in München.

In dieser durchaus ernsthafen Bestandsaufnahme wird dingfest gemacht, was neben Täter, Opfer und Aufklärer in einer Krimiserie eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt: die Häuser, die Straßen, das Lokalkolorit. Räume, die den Städten zugeordnet werden können, und die Rituale, die mit ihnen verbunden sind.

Der Täter wohnt in der Villa

Durch die jahrzehntelange Arbeit der Drehbuchautoren, Locationscouts und Setdesigner hat sich eine bestimmte Erwartung einzementiert: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter in einer Villa, das Opfer in einem Architektenhaus und der Kommissar in einer mittelprächtigen Wohnung wohnt, ist in der Fernsehwirklichkeit wahrscheinlicher als umgekehrt. Auch das Auftauchen von Siebzigerjahre-Siedlungen signalisiert dem Seher schon automatisch soziale Verwahrlosung, obwohl sie vom Drehbuchautor einst gar so nicht intendiert war, wie Regisseur Dominik Graf am Beispiel des Olympischen Dorfes in München zeigt.

Selbst der Büroalltag der Ermittler bietet interessante Einsichten: Präsidiumsarchitektur ist meist wenig anheimelnd, kann aber berühmt sein, etwa in Gestalt der Zentrale der Konsumgenossenschaft in Leipzig (1929–1932), einem Bau von Fritz Höger, oder ein Bankgebäude der Behnisch Architekten von 2002 in Hannover. Manch eine Stadt bekam durch den „Tatort“ überhaupt erst ein Gesicht in der Öffentlichkeit: Hochofen, Industrieanlagen, proletarische Wohnblocks, dafür steht das Duisburg-Bild heute noch, ist aber kaum noch existent und Drehortarchäologen tun sich schwer, Horst Schimanskis Wohnung auszumachen. Doch manch Stilbildendes aus der „Tatort“-Historie steht noch, etwa die Kneipe eines der Bergarbeiter-Fußballklubs in Essen, aus der Zeit, als Hansjörg Felmy Mörder jagte.

Aber man soll sich von Tatorten nie täuschen lassen. Die Ermittler aus Stuttgart, Ludwigshafen oder Konstanz wohnen gar nicht dort, sondern an einer Adresse: im „Tatort“-Haus in Baden-Baden.

TATORTE, WOHNORTE

Buchtipp. Seit 1970 wurden an die 900 „Tatort“-Folgen gedreht. Unverkennbar sind die Wohnorte, Büros und Stadtansichten. Eine originelle wie gehaltvolle Analyse, was Architektur und Lokalkolorit verraten, liefern Udo Wachtveitl, Alexander Gutzmer. Guido Walter, Oliver Elser in „Schauplatz Tatort. Die Architektur, der Film und der Tod“, Callwey Verlag, www.callwey.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2014)

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