Lohnverhandlungen

Vor der Lohnrunde wachsen die Sorgen um den Standort

Auch auf die Voestalpine kommen saftige Lohnsteigerungen zu.
Auch auf die Voestalpine kommen saftige Lohnsteigerungen zu. Bloomberg
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Muss die Gewerkschaft bei ihrer Lohnforderung die Gesamtwirtschaft im Blick haben? Eine heiß diskutierte Frage vor der Herbstlohnrunde.

Wien. Es gibt in Österreich die Tradition, dass für Lohnverhandlungen die Sozialpartner zuständig sind. Soweit die Theorie. Kommenden Montag startet die Metallerlohnrunde. Und im Vorfeld wurden schon ordentlich viele Ratschläge verteilt. Diese richteten sich vor allem an die Gewerkschaft. Denn die für die Lohnverhandlungen maßgebliche Inflation ist mit 9,6 Prozent so hoch wie lange nicht. Steigen die Löhne zu stark, hat das auch Folgen für Österreichs Position im internationalen Wettbewerb.

Am Montag werden die Gewerkschaften den Arbeitgebervertretern ihre Lohnforderungen übergeben. Die Zahl ist bis zum Schluss ein gut gehütetes Geheimnis. Aber die Forderung wird zweistellig sein. Darauf hat sich die Gewerkschaft schon festgelegt.

Die Inflation in Österreich ist höher als in der Eurozone und in anderen Industriestaaten. Weil die Löhne an die Inflation gekoppelt sind, sind auch die Lohnabschlüsse in Österreich höher. Das führt zu höheren Kosten für Betriebe. Sie verlieren daher im internationalen Wettbewerb an Boden. Die Conclusio vieler Experten: Man müsse den Modus für die Lohnverhandlungen verändern, um die Lohnsteigerungen zu zügeln. Zum Beispiel, indem man anstatt des Verbraucherpreisindex (VPI) den sogenannten BIP-Deflator als Basis für die Verhandlungen heranzieht. Er bildet die Inlandsnachfrage ab und war zuletzt niedriger als der VPI. Im Juni gab Finanzminister Magnus Brunner den Lohnabschlüssen die Schuld an der hohen Inflation. Dass sich Politiker so deutlich zu Lohnverhandlungen äußern ist zutiefst unüblich. Aber offenbar rüttelt die hohe Inflation an alten Gewissheiten.

Die wirtschaftsliberale Denkfabrik Agenda Austria steht den Arbeitgebern ideologisch näher als den Gewerkschaften. Aber man will sich nicht mit konkreten Vorschlägen in die Lohnrunde einmischen, sagt der Ökonom Jan Kluge zur „Presse“: „Wir halten es für guten Stil zu sagen, die Sozialpartner müssen das ausverhandeln.“

Steigende Lohnstückkosten

Im Vorfeld der Herbstlohnrunde legt die Agenda Austria eine Analyse der Parameter vor, die für die Lohnverhandlungen relevant sind. Und ohne Ratschläge kommt diese freilich nicht aus. Die Ökonomen Jan Kluge, Dénes Kucsera und Hanno Lorenz untersuchten unter anderem die Frage, wie es um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Österreich bestellt ist. „Von hohen Lohnabschlüssen kann die Gefahr ausgehen, dass sowohl die Wachstumsaussichten sich weiter verschlechtern als auch, dass die Inflation weiter befeuert wird”, schreiben die Ökonomen. Sie zitieren eine Schätzung der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), laut der ein Lohnabschluss in Höhe von zehn Prozent die Inflation in Österreich um drei Prozentpunkte erhöht. Und diese Schätzung sei konservativ.

Der Indikator für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind die Lohnstückkosten, also die Lohnkosten je produzierter Einheit. Anfang der Nullerjahre stiegen diese in Österreich langsamer als in der Eurozone, aber seit 2015 schneller. Heuer werden sich die Lohnstückkosten laut Wifo sogar um zehn Prozent erhöhen – das ist der höchste Zuwachs in 30 Jahren. Laut Prognose wird sich Österreich bei den Arbeitskosten weiter von der Eurozone entkoppeln, die Lohnstückkosten sogar stärker steigen als in Italien. „Ein derartiger Anstieg der Lohnstückkosten würde Österreich im internationalen Wettbewerb in eine schwierige Lage bringen”, heißt es in der Analyse. Zumal Österreich bei der Entwicklung der Produktivität im Europavergleich nur im Mittelfeld liege und die jüngeren EU-Mitgliedsländer im Osten „gigantische Produktivitätssprünge” machen.

Teurer Zuschuss für Betriebe

Für Österreich sei das gefährlich. „Investoren dürften sich bei der Entscheidung, ein neues Werk entweder im östlichen Österreich oder in der westlichen Slowakei zu errichten, zukünftig immer leichter tun”, schreiben die Ökonomen etwas ironisch. Die Produktivität bemisst, wie viele Einheiten pro Stunde erzeugt werden. Wächst die Produktivität, bedeutet das, dass pro Stunde mehr Einheiten produziert werden. Die Logik der Lohnverhandlungen will es, dass den Beschäftigten zusätzlich zur zurückliegenden Inflation auch ein Anteil des Produktivitätszuwachses abgegolten wird.

Aber nicht nur der Faktor Arbeit sei eine Herausforderung für die Unternehmen, so die Agenda. Wegen der starken Abhängigkeit von russischem Gas stiegen die Energiepreise in Österreich stärker als anderswo. Noch gibt es den Energiekostenzuschuss für energieintensive Unternehmen. Doch der kostet schlanke sieben bis acht Milliarden Euro und läuft nur noch bis nächstes Jahr. Dann werde die Frage sein, „wie energieintensive Unternehmen in Österreich weiter wettbewerbsfähig produzieren können”, heißt es in der Analyse. Erschwerend dazu komme der Trend zu kürzeren Arbeitszeiten sowie die Tatsache, dass wegen der Alterung viele Menschen in Kürze den Arbeitsmarkt verlassen. „Sie werden auf dem Arbeitsmarkt fehlen, um zukünftiges Wachstum zu generieren”, schreiben die Ökonomen.

Kein Abschluss unter Inflation

Eine Möglichkeit sei auch, dass die Gewerkschaften die staatlichen Hilfszahlungen gegen die Teuerung in den Lohnforderungen berücksichtigten, sagt Jan Kluge von der Agenda. Das hat die Gewerkschaft aber bereits ausgeschlossen. Für sie zählt primär, dass die inflationsgeplagten Beschäftigten eine ordentliche und faire Lohnerhöhung erhalten, wie Reinhold Binder, Chefverhandler der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge, zur „Presse“ sagt. Und das bedeutet: Kein Lohnabschluss unter der Inflation. Die Konkurrenzfähigkeit der Betriebe ist nicht die primäre Sorge der Arbeitnehmervertreter.

Und das ist auch nicht ihre Aufgabe, findet die Agenda Austria. „Die Sozialpartner sollen nicht die strukturellen Probleme Österreichs lösen; das können sie auch gar nicht.“ Wenn sich aus den diesjährigen Lohnabschlüssen strukturelle Probleme für die Wettbewerbsfähigkeit ergeben, „folgen daraus Hausaufgaben für die Politik, nicht für die Sozialpartner.“

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