Zusammenarbeit

Warum Nehammer die Nähe zu Erdoğan sucht

Es war der erste Besuch eines österreichischen Kanzlers in der Türkei nach 22 Jahren.
Es war der erste Besuch eines österreichischen Kanzlers in der Türkei nach 22 Jahren.APA / APA / Helmut Fohringer
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Bundeskanzler Karl Nehammer wurde am Dienstag mit militärischen Ehren in Ankara empfangen, im Präsidentenpalast fand anschließend ein einstündiges Arbeitsgespräch statt. Nehammer und Erdoğan zeigten sich einig über die künftige Zusammenarbeit. Es waren aber auch die unterschiedlichen Fronten sichtbar.

Auch sie waren da, die 16 Kämpfer in osmanischer Kluft: Kettenhemden, Ritterhelme, Krummsäbel und Schwerter. Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor mehreren Jahren erstmals die historischen Kampfkostüme präsentieren ließ, war von Zirkus und Nostalgie die Rede. Heute fallen sie bei Staatsbesuchen schon gar nicht mehr auf. So wurde Kanzler Karl Nehammer am Dienstag mit militärischen Ehren in Ankara empfangen, im Präsidentenpalast fand anschließend ein einstündiges Arbeitsgespräch statt. Es war der erste Besuch eines österreichischen Kanzlers in der Türkei nach 22 Jahren, wie Erdoğan bei der Pressekonferenz betonte. Der Austausch mit seinem „geschätzten Freund“ Nehammer sei wahrlich ein historisches Ereignis.

So sehr sich Nehammer und Erdoğan einig zeigten über die künftige Zusammenarbeit, so sehr waren am Dienstag auch die unterschiedlichen Fronten sichtbar. Während Nehammer die österreichische Position zur einem möglichen EU-Beitritt der Türkei kurz und knapp darlegte – nämlich kein Beitritt – betonte Erdoğan erneut, dass es zu einem Beitritt keine Alternative geben könne. „Wir sind Freunde, wir sind Partner“, sagte Nehammer dazu, „Freunde sagen sich die Dinge aber auch ganz ehrlich.“ Dazu gehört auch der blutige Angriff der Hamas auf Israel. Nehammer verurteilte den Angriff „aufs Schärfste“, wiederholte die Ankündigung, dass Wien alle Zahlungen an die Palästinensergebiete einstellen wird. Erdoğan hingegen rief zwar zu einem sofortigen Stopp des Blutvergießens auf, zeigte sich aber in erster Linie mit der palästinensischen Bevölkerung solidarisch. „Es gibt auf beiden Seiten Tote und Verletzte. Aber wie sind wir an diesem Punkt angelangt? Das passiert nicht an einem Tag.“

So blieb die Wirtschaft ein wesentlicher Punkt, auf den sich am Dienstag alle einigen konnten. Nichts anderes als eine neue Ära der Handelsbeziehungen soll Nehammers Arbeitsbesuch in Ankara einläuten – und die Türkei soll als Partner bei der Bekämpfung der irreguläre Migration gewonnen werden.

Österreich gegen EU-Beitritt der Türkei

Der Besuch Nehammers ist bisher der größte Indikator für das türkisch-österreichische Tauwetter nach frostigen Jahren: „Wir haben mit meiner Kanzlerschaft begonnen, den Kontakt proaktiv zu suchen.“ So nahm der Kanzler nicht nur Innenminister Gerhard Karner und Wirtschaftsminister Martin Kocher nach Ankara mit, sondern auch Wirtschaftstreibende und den Präsidenten der Industriellenvereinigung, Georg Knill. Er stehe für eine „pragmatischen Zusammenarbeit“, so Nehammer, nicht für „einen Kuschelkurs“. Konkret heißt das, dass Österreich weiterhin nicht einen EU-Beitritt der Türkei unterstützen wird, sehr wohl aber eine Reform der Zollunion zwischen der EU und Ankara. Ebenfalls ein Thema sind Visaliberalisierungen für türkische Staatsbürger, allerdings eingeschränkt auf Geschäftsleute und Fachkräfte.

Die strategische Bedeutung der Türkei sei nicht von der Hand zu weisen. Man müsse ehrlich und auf Augenhöhe miteinander sprechen, wie der Kanzler sagte. Ehrlich auch, wenn es um die Menschenrechtslage in der Türkei geht? Er habe sie im Gespräch mit Erdoğan jedenfalls zur Sprache gebracht. Offen bleibt der Zugang zur Menschenrechtslage, was neben der Wirtschaft den zweiten großen Punkt Nehammers bei seinem Arbeitsbesuch darstellt: Die Migrationsfrage. 80 Prozent der Asylanträge haben einen direkten oder indirekten Bezug zur Türkei, sagte Innenminister Karner. So kamen die meisten Asylwerber, etwa aus Syrien oder Afghanistan, über die Türkei nach Österreich. Darüber hinaus sind zuletzt die Asylanträge von türkischen Staatsbürgern gestiegen (bis Ende August: 2944 Anträge, die Anerkennungsquote liegt bei 2,3 Prozent). Kurz gefasst sollen die Asylwerber, anstatt nach Österreich weiterzuziehen, in der Türkei bleiben. „Perspektiven schaffen im sicheren Drittstaat“, sagte Nehammer dazu, „dadurch wird der Migrationsdruck nach Westen gelindert“.

Nehammer: Erdoğans als Vermittler zwischen Moskau und Kiew

Zurück zur Wirtschaft, sehen die Unternehmer stabilere Zeiten auf die Türkei zukommen. Erdoğan, der sich sonst als resistent gegen Ratschläge von Ökonomen zeigt, hat das Finanzministerium und die Nationalbank mit Experten besetzt. Eine konservative Finanzpolitik soll die kostspielige Wahlkampfzeit sowie die hohe Inflation wieder lindern. Jedenfalls stehen österreichische Unternehmen wie Andritz, Post, Pessl Instruments, Zeman oder Doppelmayr für Investitionen bereit. Die bilateral schwierigen Jahre haben sich auch auf die Handelsbeziehungen ausgewirkt, das bestreitet in Ankara niemand. Um es mit dem Senior Vice President von Andritz, Alexander Schwab, zu halten: „Wir haben uns die letzten zehn Jahre sehr geplagt in der Türkei.“ Große Chancen sehen die Österreicher im Bereich erneuerbare Energie: Wasserkraftwerke, Windkraftwerke, Solarenergie – hier sei der Austausch und das Potenzial sehr ausbaufähig.

Nehammers Arbeitsbesuch fällt übrigens auch in eine Zeit der Jubiläen. Die Türkei feiert heuer ihr hundertjähriges Bestehen als Republik, gleichzeitig feiert Ankara 100 Jahre Hauptstadt. Im nächsten Jahr werden beide Länder 100 Jahre diplomatische Beziehungen feiern. Genug Stoff für Symbolik – auf Nehammers Programm stand auch ein Besuch des Atatürk-Mausoleums. Die Beziehungen der beiden Länder sind lang, waren stets wechselhaft aber konstant. Zuletzt war es der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Ankara und Wien einander näher gebracht hat. Nehammer betonte Erdoğans Rolle als Vermittler zwischen Moskau und Kiew, vor seiner eigenen Reise nach Moskau im vergangenen Jahr sei Erdoğan „ein wichtiger Ratgeber“ gewesen. Nun hat sich Erdoğan als Vermittler im Nahost-Konflikt angeboten, was Nehammer positiv bewertet hat.

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