Parlamentswahl

Ende eines EU-Streits? In Polen könnte bald ein Ex-EU-Ratspräsident regieren

Donald Tusk hofft, dass die Prognosen richtig liegen.
Donald Tusk hofft, dass die Prognosen richtig liegen.Imago / Attila Husejnow
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Die Regierungspartei PiS liegt in Nachwahlbefragungen zwar vorne, dürfte aber keine Mehrheit zustande bringen. Die Grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic appelliert an die ÖVP, den bei der polnischen Parlamentswahl siegreichen pro-europäischen Konservativen nachzueifern.

In Polen könnte es nach der Parlamentswahl einen Machtwechsel geben. Die regierende national-konservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat Prognosen zufolge keine Mehrheit mehr. Eine Schlüsselrolle kommt nun Oppositionsführer Donald Tusk zu. Der 66-jährige frühere EU-Ratspräsident könnte eine Regierung schmieden - und den Dauerstreit mit Brüssel beenden. Verbindliche Ergebnisse liegen aber noch nicht vor. Hochrechnungen sind in Polen nicht üblich. Erst im Laufe des Dienstags dürften Ergebnisse kommuniziert werden. Präsident Andrzej Duda, selbst aus dem PiS-Lager, könnte außerdem zunächst der PiS den Auftrag erteilen, eine neue Regierung zu formen.

In den jüngsten Prognosen aus der Nacht zu Montag kam die PiS auf 36,6 Prozent der Stimmen. Sie kann damit mit 198 der 460 Sitze im Parlament rechnen, hat also keine Mehrheit. Das liberalkonservative Wahlbündnis Bürgerkoalition (KO) von Tusk kommt auf 31,0 Prozent der Stimmen. Denkbar sind 248 Sitze für jene drei Oppositionsparteien, die gegen die PiS angetreten sind. Tusk könnte damit neuer Ministerpräsident werden, sollte er eine Regierung bilden können mit dem „Dritten Weg“, einem Bündnis der Mitte, sowie der „Neuen Linken“.

Tusk: „War in meinem Leben noch nie so glücklich“

Tusk sagte, die Demokratie habe gewonnen, und die PiS werde aus dem Amt entfernt. „Ich war in meinem Leben noch nie so glücklich.“ Die Regierungsbildung könnte sich allerdings über Monate hinziehen. Der Dritte Weg schloss eine Koalition mit der PiS bereits aus. Die polnische Währung - der Zloty - war nach der Wahl gefragt. Er verteuerte sich am Montag um 1,3 Prozent. Die wichtigsten Aktienindizes des Landes legten um rund drei Prozent zu, vor allem Papiere von Banken waren begehrt. Die Wahl galt aus europäischer Perspektive als eine der wichtigsten seit Jahren.

Ein möglicher Machtwechsel in Warschau würde auch eine Wende in der polnischen Außenpolitik bringen. Tusk hat versprochen, das Verhältnis zur EU wieder zu verbessern. Es ist seit Jahren stark belastet durch Streit über die Justizreform, über Rechte von Homosexuellen sowie wegen Migrationsfragen. Kritiker werfen der PiS vor, seit der Amtsübernahme 2015 die Unabhängigkeit von Gerichten und Medien untergraben zu haben. Deswegen hat die EU für Polen bestimmte Mittel im Umfang von rund 110 Milliarden Euro eingefroren.

Kaczyński: „Wir müssen hoffen“

PiS-Chef Jarosław Kaczyński hatte seinen Anhängern nach der Wahl zugerufen, es sei unklar, ob es für eine weitere Amtszeit reiche. „Wir müssen hoffen.“ Ministerpräsident Morawiecki erklärte seine Partei dagegen zum Sieger. Sie werde versuchen, eine stabile Regierung zu bilden, sollte sie den Auftrag dazu vom Präsidenten bekommen. Dieser hatte zuletzt signalisiert, der stärksten Partei den ersten Versuch überlassen zu wollen. Der PiS fehlen aber die Partner. Die rechtsextreme Konföderation ist mit 6,2 Prozent der Stimmen hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Rund 30 Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag aufgerufen, ein neues Parlament zu bestimmen. Wegen des Krieges im Nachbarland Ukraine und steigender Flüchtlingszahlen galt der Urnengang als Richtungswahl. Polen kommt bei der Unterstützung der Ukraine eine wichtige Rolle zu. Der Wahlkampf war geprägt vom Thema Migration und Attacken auf die EU und Deutschland.

Die PiS hat ihre Reformen immer wieder verteidigt. Sie sollen das Land und die Wirtschaft fairer machen und die letzten Überreste des Kommunismus beseitigen. Die Partei galt wegen großzügiger Sozialprogramme als erfolgreich und hat davor gewarnt, dass andere Parteien diese stoppen könnten.

Grüne Wahlbeobachterin Ernst-Dziedzic ortet Vorbildwirkung für ÖVP

Das Kräfteverhältnis im Parlament kann sich noch durch Nuancen von wenigen Prozentpunkten für kleinere Parteien verschieben. Erwartet wird eine langwierige Regierungsbildung

.SPÖ-EU-Abgeordneter Andreas Schieder sieht ein „starkes proeuropäisches Signal gegen Demokratieabbau und autoritäre Tendenzen“, heißt es in einer Aussendung. „Die neue Regierung hat einiges an Arbeit vor sich, die polnische Demokratie wieder vollständig in Stand zu setzen und vor zukünftigen Angriffen zu schützen.“

Die Grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic appellierte unterdessen an die ÖVP, den siegreichen pro-europäischen Konservativen nachzueifern. „Polen hat das ganz klare Signal an die europäischen Konservativen einschließlich unseres Koalitionspartners geschickt, dass man Wahlen gewinnen kann mit einer klaren Abgrenzung an Rechtsaußen“, sagte Ernst-Dziedzic am Montag. Sie war als Wahlbeobachterin in Ostpolen im Einsatz.

NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter sieht laut Aussendung in dem sich abzeichnenden Wahlerfolg der polnischen Bürgerkoalition ein „klares Zeichen für unsere gemeinsamen europäischen Werte“. Auch sei es „ein wichtiges Signal an alle Kräfte, auch hier in Österreich, die das europäische Projekt von innen schwächen wollen und so den Feinden unserer liberalen Demokratie in die Hände spielen“.

(APA/Reuters)

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