TV-Notiz

Nehammer und die „Wut-Mutter“ im „Bürgerforum“ auf Puls 24

Corinna Milborn und Karl Nehammer im Puls 24-„Bürgerforum“
Corinna Milborn und Karl Nehammer im Puls 24-„Bürgerforum“Puls24
  • Drucken
  • Kommentieren

In den thematisch breiten Debatten mit mehr oder weniger besorgten Bürgern wirkte der Kanzler über weite Strecken defensiv. Bis die Sprache auf einen Vorgänger kam.

Vielleicht lag es am Wirtshaussetting samt holzgetäfelten Wänden, aber einen Gedanken wurde man beim eineinhalb Stunden langen „Bürgerforum“ am Montagabend auf Puls24 nicht los. Wäre Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nicht in der Luftburg im Prater, sondern in einem Lokal in Hallein, wäre er nicht offensichtlich von Kameras und Scheinwerfern umgeben, sondern von einer Gruppe Männern mit Handy: Wie anders würden seine Antworten ausfallen?

Deutlich anders, davon kann man ausgehen und das würde Nehammer auch bestätigen. In Hallein wurde das viel zitierte Video mit dem Burger-Sager aufgenommen, das er jetzt zusammengeschnitten nennt und von dem Puls 24 darum auch eine längere Variante zeigte. Viel musste er sich dafür rechtfertigen, im „Bürgerforum“, bei dem er insgesamt recht defensiv war, tat er es so: Es sei eben ein „Unterschied, ob man am Fußballplatz miteinander redet oder am Elternabend“. Und sicher auch ein Unterschied, ob im Kreise von Unterstützern oder im TV mit mehr oder weniger besorgten Bürgerinnen und Bürgern.

Die direkte Debatte mit potenziellen Wählern fiel ohnehin kürzer aus als bei den vorherigen Ausgaben der Sendung, in der fast alle Chefs der Parlamentsparteien (FPÖ-Chef Herbert Kickl wollte nicht) zu Gast waren. Diesmal stand am Anfang ein herkömmliches Interview: Moderatorin Corinna Milborn befragte Nehammer zu Israel, er sicherte hier seine Unterstützung zu, sprach sich außerdem für humanitäre Hilfe für den Gaza-Streifen aus.

Konfrontativer wurde es bei der ersten Bürgerin, die im Forum zu Wort kam: Anna Schiff, alleinerziehende Mutter von vier Kindern in Wien, gab Nehammer in der „Burger-Debatte“ heftig Contra; „Wut-Mutter“ nennt sie die Gratiszeitung „Heute“ darum. Es sei ein „Hohn“ zu sagen, man solle mehr arbeiten, findet sie. Sie selbst hat vor ihrer Pensionierung 20 Stunden gearbeitet, „normalerweise ist vier Kinder zu erziehen ein Full-Time-Job“. Sie ließ ihn auch nicht aus, als Nehammer zu kalmieren versuchte: Nicht sie habe er gemeint, sondern Menschen ohne Betreuungspflichten.

Sozial kalter Kanzler? „Das bin ich nicht“

Den Burger-Sager nannte die vierfache Mutter trotzdem „unverantwortlich. Denn Sie sind mein Vertreter“. Es werde versucht, „das Bild eines sozial kalten Bundeskanzlers zu zeichnen“, glaubt Nehammer: „Das bin ich nicht“. Es sei aber die Aufgabe der Eltern für ihre Kinder zu sorgen. Was, wenn diese das nicht können? Die Antwort fiel zerfranst aus.

„Armut und soziales Leid ist immer individuell“, meinte Nehammer. „Ich muss hier unterbrechen“, konterte Schiff. „Der Staat ist dafür verantwortlich, die Ärmsten zu schützen und sie zu unterstützen“. Der Kanzler wechselte die Argumentationslinie: Der Sozialstaat könne nur dann funktionieren, wenn Menschen arbeiten und Steuern zahlen würden, sagte er (mit mehr Worten).

Besser konterte Nehammer den FPÖ-Wähler Gerhard Hasewend aus Kapfenberg, der glücklicherweise unterbrochen wurde, ehe er seine Ausführungen über die Ansprüche Russlands an ukrainischem Gebiet ausführen konnte. Nehammer ließ keinen Zweifel daran, wer der Aggressor in diesem Krieg ist.

Bei Klima-Thema „nicht überfordern“

Beim Thema Klima – angesprochen von einer 18-jährigen Erstwählerin – lobte Nehammer die Errungenschaften der Koalition, die wohl eher einen grünen als türkisen Anstrich haben (Ökosoziale Steuerreform, Photovoltaik-Förderung etc.), richtete der Wirtschaft aber auch aus: Klimaschutz ja, aber man müsse konkurrenzfähig bleiben und dürfe Menschen „nicht überfordern“.

Schwammig wurde es bei den Themen Kinderbetreuung und Pflege, die wichtig seien und Anerkennung bräuchten, aber Länder und Bund und überhaupt. Nur an der Oberfläche blieb man beim Thema Migration („Österreich braucht organisierte Zuwanderung“; Nein zu Schleppern), bei den Gehaltsverhandlungen mit den Metallern („Gut, sich als politischer Vertreter aus diesen Verhandlungen herauszuhalten“).

„Herbert Kickl ist nicht die ganze FPÖ“

Auf Angriff ging Nehammer erst in der Kickl-Frage: Warum solle sie ihm glauben, wenn er behaupte, dass er mit Kickl nicht koalieren werde, fragte eine Erstwählerin aus Niederösterreich. „Weil ich ihn als Sicherheitsrisiko kennengelernt habe“, sagte Nehammer. Als sein Vorgänger als Innenminister „hat er den Verfassungsschutz zerstört“. In der Corona-Debatte nutze Kickl die Angst der Menschen aus, und auch die Nichtbeteiligung der FPÖ am Luftverteidigungssystem „Sky Shield“ hält er für einen Fehler. In Richtung möglicher künftiger Koalitionspartner richtete er aus: „Es ist Herbert Kickl. Es ist nicht die ganze FPÖ.“ In so einer Koalition werde es jedenfalls „keinen Kanzler Nehammer“ geben.

Am Schluss ging es noch einmal um Othmar Karas, der nicht mehr für die ÖVP kandidieren wird, und „strategisch notwendigen Unsinn“ aka Sommerloch-Bargeld-Debatte. Karas‘ Entscheidung sei „zur Erkenntnis zu nehmen“, so der Kanzler. Man darf davon ausgehen, dass gerade diese Antwort am Fußballplatz deutlich anders geklungen hätte.

>> Die Sendung zum Nachsehen

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.