Analyse

Michael Ludwigs Kuschelkurs

Eine gemeinsame Richtung: Karl Javurek (Präsident des Vereins der Freunde der Wiener Polizei), Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl eröffneten am Montag den „Info Store“ der Polizei.
Eine gemeinsame Richtung: Karl Javurek (Präsident des Vereins der Freunde der Wiener Polizei), Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl eröffneten am Montag den „Info Store“ der Polizei.APA / APA / Helmut Fohringer
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Wiens Bürgermeister Ludwig umarmt plötzlich die Bundes-ÖVP. Der Grund liegt (auch) im Herbst 2024.

Nur auf den ersten Blick war es ein gewöhnlicher Termin: Am Montag wurde der „Info Store“ der Landespolizeidirektion Wien eröffnet – eine niederschwellige Beratungsstelle für jene, die sich für den Polizeiberuf interessieren. Schließlich kämpft auch die Polizei mit massivem Personalmangel und muss aktiv Nachwuchs rekrutieren.

Auf den zweiten Blick war es eine kleine politische Sensation. Die Eröffnung wurde von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gemeinsam mit Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) vorgenommen – umrahmt von Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl und Karl Javurek („Freunde der Wiener Polizei“).

Schwere Verstimmungen

Nach den Verwerfungen zwischen dem roten Wien und der Bundes-ÖVP gab es plötzlich wieder einen gemeinsamen öffentlichen Auftritt. Dazu ein Auftritt, bei dem kleine Scherze gemacht wurden, gute Laune herrschte und es keine Spur von der früheren feindseligen Stimmung zwischen der Bundes-ÖVP unter Sebastian Kurz und der Wiener SPÖ gab. Die atmosphärischen Störungen hielten nach der Ära Kurz an – bis jetzt. Bei dem gemeinsamen Termin am Montag wiesen Karner und Ludwig gemeinsam darauf hin, dass in den vergangenen zwei Jahren (trotz des Arbeitskräftemangels) „beim Recruiting einiges gelungen“ sei. So gab es laut dem Innenminister im Herbst 2022 noch 143 Neuaufnahmen bei der Wiener Polizei, ein Jahr später waren es 323. „Es ist das Ziel, heuer für Wien über 1000 Polizisten zu werben“, sagte Karner. Das freute Ludwig sichtlich, auch wenn er (routinemäßig) darauf hinwies, dass die Wiener Exekutive mit 25 Prozent des österreichischen Polizeipersonals zwei Drittel der Polizeiaufgaben schultern müsse: „Wir können durchaus mehr Polizistinnen und Polizisten gebrauchen.“ 

»Beim Recruiting ist einiges gelungen.«

Innenminister Karner und Bürgermeister Ludwig freuen sich gemeinsam über zahlreiche Neuaufnahmen bei der Wiener Polizei.

Ist die jahrelange Eiszeit mit der türkis geführten Bundesregierung zu Ende? Zumindest vorerst. Ludwig folgt seit seinem Kurswechsel einer stringenten Linie. Im „Presse“-Interview Ende Dezember hatte er eine neue politische Kultur gefordert. Diese setze er nun konsequent um, ist in der SPÖ zu hören. Das bedeutet: Keine unnötigen Provokationen mehr aus der Wiener SPÖ in Richtung Bundes-ÖVP, ein gelassener Umgang bei kritischen türkisen Aussagen, rein sachliche Verhandlungen mit türkisen Ministern, um möglichst viel für Wien herauszuholen. Nur die strikte Abgrenzung zu den Freiheitlichen bleibt bestehen.

Abgrenzung nur von der FPÖ

Dass Ludwig seit einiger Zeit Politiker anderer Parteien (ausgenommen der Freiheitlichen) serienweise umarmt, hat weniger mit dem Naturell des Wiener Bürgermeisters zu tun als mit der Nationalratswahl im Herbst. Nachdem die Freiheitlichen auf Bundesebene im Höhenflug sind und laut Umfragen mit etwa 30 Prozent unangefochten auf Platz eins liegen, ist in der Wiener SPÖ die Erkenntnis gereift: Erbittert geführte rot-türkise Auseinandersetzungen helfen nicht der Mobilisierung der roten Wählerschaft, sondern zahlen direkt auf das Konto der Freiheitlichen ein. Dadurch entsteht eine rot-türkise Zweckgemeinschaft, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Ludwig gilt als Großkoalitionär und strebt eine Koalition mit der ÖVP an – nachdem eine rot-grün-pinke Koalition auf Bundesebene laut Umfragen unrealistisch ist. Für eine Koalition mit der ÖVP muss nicht nur das Wahlergebnis stimmen, sondern auch die Stimmung zwischen beiden Parteien, die zuletzt auf dem Tiefpunkt war. Die ÖVP will dagegen türkis-rote Auseinandersetzungen eher vermeiden, um FPÖ-Chef Herbert Kickl nicht weitere Wähler zuzutreiben. Außerdem sieht sie Kickl als Hauptgegner. In der ÖVP regiert dazu das Prinzip Hoffnung, also dass die ÖVP es bei den Nationalratswahlen irgendwie vor die Freiheitlichen schafft, um weiterhin den Kanzler zu stellen. Die Gesprächsbasis mit der SPÖ soll auch so weit erhalten bleiben, dass die ÖVP selbst als zweitstärkste Partei die Option hätte, den Kanzler in einer möglichen türkis-roten Bundesregierung zu stellen – auch wenn die Beliebtheitswerte von Sozialdemokraten bei vielen in der Volkspartei zwischen Pest und Cholera liegen. Türkise Anhänger einer türkis-roten Koalition verweisen aber gern auf jene Bundesländer, in denen ÖVP und SPÖ gemeinsam regieren.

»Rot-türkise Auseinandersetzungen zahlen nur auf das Konto der FPÖ ein.«

Ein hochrangiger SPÖ-Funktionär

Nebenbei: Begonnen hatte Ludwigs Kuschelkurs lang vor dem gemeinsamen türkis-roten Auftritt am Montag. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte der Bürgermeister Anfang 2023 begonnen, mit den oppositionellen Wiener Grünen eine Baurechtsnovelle auf Augenhöhe zu verhandeln – was selbst die Wiener Grünen völlig überrascht hatte. Auch die Eiszeit mit der Wiener ÖVP wurde kürzlich beendet.

Und am Dienstag wird die rot-türkise Beziehung weiter harmonisiert. Ludwig tritt mit Walter Ruck, dem ÖVP-Präsidenten der Wirtschaftskammer Wien, auf, um Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel in Wien zu präsentieren. Wobei die ÖVP nicht vergessen sollte: Nicht jede Umarmung ist gut. Manche wurden schon zu Tode umarmt.

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