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Gutenberg schlägt Zuckerberg: Das Ende von Social Media

Der Filmstar Timothée Chalamet liebt Baseball, aber auch Bücher, wie sein Pullover verrät.
Der Filmstar Timothée Chalamet liebt Baseball, aber auch Bücher, wie sein Pullover verrät.Getty
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Es häufen sich Nachrufe auf die digitalen Netzwerke, und die Jungen lesen gedruckte Bücher: Sollen wir Mega-Moden einfach durchtauchen?

Wer hätte dem Schnauzbart vor fünf Jahren die Chance auf ein Comeback gegeben? Isolierte Gesichtsbehaarung oberhalb der Oberlippe, im Volksmund liebevoll „Rotzbremse“ genannt, wirkte ästhetisch abgewirtschaftet und schien endgültig ausgedient zu haben. Aber dann verdichtete sich der Flaum in den Antlitzen junger Männer, und wir haben uns, nach kurzer Irritation, rasch daran gewöhnt. Es kommt eben alles wieder. Im Gegenzug gibt es Phänomene, die uns lang als unverzichtbar erschienen und heute verblichen sind. Was wurde nicht alles vom Internet hinweggerafft, vom Brockhaus bis zu den guten Manieren. Aber nun frisst die digitale Weltrevolution ihre eigenen Kinder: Die sozialen Netzwerke seien am Ende, analysieren Leitmedien, vom britischen „Economist“ bis zur Hamburger „Zeit“.

Ihre Nachrufe gelten der kollektiven Hybris, der wir auf Facebook, Twitter und Instagram frönten: Das Private sollte öffentlich werden. Alle vernetzten sich und tauschten sich aus, als Selbstdarsteller und Experten für die Deutung des Weltgeschehens. Mach dich selbst zum Massenmedium: Damit soll es bald vorbei sein. Die typischen Nutzer von heute betäuben ihre Fadesse mit banalen TikTok-Kurzvideos, die ihnen ein Algorithmus zuführt. Sie sind so passiv wie einst, als sie sich auf dem Sofa den Müll des noch jungen Privatfernsehens reinzogen. Wer sich noch zu Wort melden will, tut dies lieber in kleinen Gruppenchats wie auf WhatsApp, mit ein paar echten Freunden statt Hunderten Friends. Das globale Forum regrediert zu Stammtisch und Lagerfeuer. Es ist, als hätte man vor einen Formel-eins-Boliden ein Paar Ochsen gespannt.

Aber was machen wir nun, statt wie besessen Bilder hochzuladen und jede Neuigkeit mit einer steilen These zu garnieren? Wir staunen: Immer mehr Leute lesen wieder Bücher. So richtige, gedruckte Bücher mit Einband, Rücken und papierenen Seiten.

Der Trend scheint von den Briten auszugehen, der „Guardian“ berichtet von Rekord-Verkaufszahlen und vollen Bibliotheken. Vor allem die Jungen lesen wieder, auch Weltliteratur. Noch frappierender sind die Vorbilder. Als Role Model dient etwa das Topmodel Kaia Gerber, die 22-jährige Tochter von Cindy Crawford. Sie hat einen Buchclub gegründet und schwärmt: „Lesen ist so sexy.“ Auch Film-Jungstar Timothée Chalamet ist ein Bücherwurm, mit Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ als Lieblingslektüre. Popstar Harry Styles lässt sich mit Romanen in der Hand fotografieren, die prompt zu Bestsellern werden. Und das alles, wie der „Guardian“ einen Literaturagenten zitiert, weil die Jugend „der Übersättigung und dem Lärm des digitalen Wilden Westens“ entfliehen will. Da fliehen wir gern mit.

Aber was ist die Lehre aus all dem? Sollen wir Mega-Moden, die uns suspekt sind, einfach durchtauchen, auch wenn es langen Atem erfordert? Sollen wir dem lieb Gewordenen treu bleiben, auch wenn wir damit total antiquiert wirken? Niemand, der unsere Epoche begreifen wollte, konnte sich dem digitalen Tollhaus Twitter entziehen. Und wer als Mann nicht gern allein sein Leben fristet, durfte an einen Schnauzer gar nicht denken. Heute darf er wieder sprießen. Und wer den Mund darunter küssen will, sagt sich großmütig: Was kratzt es mich?

E-Mail: karl.gaulhofer@diepresse.com

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